Annie Reich
Annie Reich, * 9. April 1902 Wien, † 5. Januar 1971 Pittsburgh (USA), Psychoanalytikerin.
Biografie
Herkunft und frühe Jahre
Als Tochter des wohlhabenden jüdischen Geschäftsmannes Alfred Pink und dessen Ehefrau Theresa, geborene Singer, die selbst ausgebildete Lehrerin und Suffragette war, erhielt Annie Reich eine umfassende Bildung. Dazu zählte der Besuch des Mädchenrealgymnasiums in der Wiener Josefstadt und ab 1921 das Studium der Medizin an der Universität Wien, wo sie 1926 promovierte und anschließend ihre psychoanalytische Ausbildung begann. Gemeinsam mit ihren Brüdern Fritz und Ludwig engagierte sie sich in der sozialistischen Wiener Jugendbewegung, wo sie auch mit Berta Bornstein, Siegfried Bernfeld, Wilhelm Reich und Otto Fenichel in Kontakt kam. 1922 heiratete sie Wilhelm Reich. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter, Eva Reich und Lore Reich Rubin, hervor.
Berufliches Wirken
1928 wurde Anni Reich ordentliches Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, deren Veranstaltungen sie schon während des Studiums besucht hatte. Im Dezember 1928 gründete das Ehepaar Reich gemeinsam mit den kommunistischen Ärztinnen und Ärzten Marie von Frischauf-Pappenheim, Isidor Fassler, dem Parteianwalt Eduard Fliegel sowie den Psychoanalytikern Anny Angel und Edmund Bergler in Wien die Sozialistische Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung. Im Zuge dessen wurden sechs kostenlose Sexualberatungsstellen für Arbeiterinnen und Arbeiter eingerichtet. Annie Reich übernahm die Leitung einer Beratungsstelle in der Blindengasse 46a, Anny Angel, Edith Buxbaum und andere die fünf weiteren Stellen. Auf Basis der Erfahrungen, die sie aus diesen Beratungen gewann, verfasste sie gemeinsam mit Marie von Frischauf die Schrift "Abtreibung schädlich?", die großes Aufsehen erregte und sogar in Polizeidurchsuchungen bei den beiden Autorinnen resultierte.
1930 ging das Ehepaar Reich mit ihren Kindern nach Berlin, wo Annie Reich als außerordentliches Mitglied in die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft aufgenommen wurde. Infolge ihrer politischen Aktivität in der Gruppe marxistischer Analytiker um Otto Fenichel war sie sogar kurze Zeit inhaftiert.
Exil
1933 trennten sich Annie und Wilhelm Reich. Während er nach Kopenhagen emigrierte, floh sie mit ihren beiden Töchtern nach Prag. Eine Gruppe von acht bis zehn Psychoanalytikern blieb trotz exilbedingter Trennung zwischen 1934 und 1945 durch geheime Rundbriefe, die Otto Fenichel redigierte und versandte, miteinander in Verbindung. Zu dieser Gruppe gehörten Annie Reich, Edith Jacobson und Edit Gyömroi. In der psychoanalytischen Gruppe, die Otto Fenichel ab 1935 leitete, lernte sie Jakob Reich (1886–1955) kennen, der aufgrund seiner Vergangenheit als ehemaliger hochrangiger Geheimagent unter unterschiedlichen Pseudonymen bekannt war. Zuletzt, nach der Ermordung von Leo Trotzki, dem er nahestand, änderte er seinen Namen in "Arnold Thomas Rubinstein". Gemeinsam mit Jakob Reich und den Töchtern emigrierte Annie Reich 1938 in die USA und während Jakob ein Leben im Verborgenen führte, richtete Annie Reich eine analytische Praxis in New York City ein und besetzte eine Stelle am Mount Sinai Hospital. Zudem war sie von 1960 bis 1962 Präsidentin des New York Psychoanalytic Institute. Ihre Tochter Lore Reich Rubin wurde wie ihre Mutter Psychoanalytikerin, Eva Reich wurde Ärztin.
Annie Reich starb am 5. Januar 1971 in Pittsburgh, Pennsylvania.
Quellen
Literatur
- Austria-Forum: Annie Reich [Stand: 08.09.2023]
- Wikipedia: Annie Reich [Stand: 08.09.2023]
- ANNO: Späte Kontakte. Reich – Trotzki – Briefe. In: Werkblatt (1987), S. 75–84
- Doris Ingrisch / Ilse Korotin / Charlotte Zwiauer [Hg.]: Die Revolutionierung des Alltags. Zur intellektuellen Kultur von Frauen im Wien der Zwischenkriegszeit. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH 2004
Annie Reich im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.