Austromarxismus

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Siehe auchVerweist auf andere Objekte im Wiki  Friedrich Adler, Max Adler (Soziologe), Zwischenkriegszeit, Karl Renner, Otto Bauer, Café Central
RessourceUrsprüngliche Ressource  Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 28.11.2022 durch WIEN1.lanm08uns


Ende der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts ging aus der Wiener Sozialistischen Studentenbewegung eine junge marxistische Schule hervor, deren bekannteste Vertreter Max Adler, Karl Renner und Rudolf Hilferding waren. Etwas später schlossen sich Gustav Eckstein, Friedrich Adler und Otto Bauer an. Ihre regelmäßigen Zusammenkünfte fanden im Café Central statt. Auf akademischem Boden, in der Auseinandersetzung mit den Geistesströmungen der akademischen Welt dieser Jahre gewachsen, standen sie den aktuellen Problemen der Zeit näher als die ältere Marxistengeneration um Kautsky, Mehring, Lafargue und Plechanow.

Die austromarxistische Schule bemühte sich um größere Subtilität und Flexibilität, als sie im materialistischen Darwinismus Kautskys, im soziologischen Empirismus Bernsteins oder im simplifizierten Konzept der II. Internationale von Politik und Ökonomie als bloßem "Reflex" von Ökonomischen Determinanten offenbar wurden. Unter diesen Prämissen entwickelte sich eine Theorie und Praxis, die späterhin als "Dritter Weg" zwischen Reform und Revolution bekannt wurde. Die seit 1904 im Rahmen der "Marx-Studien" erscheinenden Analysen und Studien der Schule wurden - wie Renners "Soziale Funktion der Rechtsinstitute", Bauers "Nationalitätenfrage" und Hilferdings "Finanzkapital" - zu Klassikern des internationalen sozialistischen Schrifttums. Renner war der Rechts- und Staatstheoretiker, Max Adler der Philosoph, Hilferding der Ökonom des Austromarxismus; das polyglotte Genie Bauer entzieht sich solcher Klassifizierung, wiewohl seine Vorliebe den historischen Sozialwissenschaften galt. Der Erste Weltkrieg und die revolutionären Umgestaltungen in seinem Gefolge haben die austromarxistische Schule politisch in einen "rechten" und einen "linken" Flügel differenziert. Hilferdings im "Finanzkapital" entwickelte These, dass es in der kapitalistischen Entwicklung gleichsam objektive Tendenzen zu einem quantitativen Hineinwachsen in den Sozialismus gebe, blieb aber das einigende Leitmotiv der Politik des Austromarxismus.

Das von Bauer verfasste "Linzer Programm" von 1926 ist als "Herz und Hirn" des Austromarxismus bezeichnet worden; ausgehend von seiner heftig umstrittenen These eines "Gleichgewichts der Klassenkräfte" legte es die österreichische Sozialdemokratie auf eine Strategie der ausschließlichen demokratischen Machtergreifung, der qualitativen Reform und der defensiven Gewalt fest. Nur in dem Fall, in dem die politische Rechte einen auf demokratischen Weg errungenen Sozialistischen Sieg mit Waffengewalt brechen wollte, müsste die Sozialdemokratie die Republik im Bürgerkrieg und kurzfristig mit den Mitteln der Diktatur sichern (eine Formulierung, die massive Kontroversen auslöste und zu vordergründigen Anschuldigungen der "Bolschewisierung" führte). Der austromarxistische Demokratiebegriff implizierte als ein zentrales Element die kulturelle Hegemonie, also den geistigen Kampf um die Mehrheit des Volks. Insbesondere nach dem Desaster der spontanen Revolte der Wiener Arbeiterinnen und Arbeiter vom 15. Juli 1927 beschränkte sich die Sozialdemokratie auf eine Defensivpolitik und zog sich auf ihr Aufbauwerk in den großen Städten (vor allem im "Roten Wien") zurück. In dem Maß, in dem sich die politischen Voraussetzungen verschlechterten, gewann die Strategie des "antizipatoríschen Sozialismus" an Bedeutung. In einem dichten, in sich geschlossenen Netz von Kultur- und Bildungsorganisationen sollte innerhalb der bestehenden Verhältnisse ein "Neuer Mensch" herausgebildet werden. Die Reformpolitik des "Roten Wien" darf in vielerlei Hinsicht als die praktische Umsetzung dieses Konzepts gesehen werden. Die katastrophalen sozialen und politischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 markierten sehr schnell die Grenzen dieser Strategie. Das Scheitern des militärischen Aufstands des Republikanischen Schutzbunds am 12. Februar 1934 ist auch das Ende des Austromarxismus; er erlangte nach dem Zweiten Weltkrieg keine Bedeutung mehr.

Literatur

  • Charles A. Gulick: Österreich von Habsburg zu Hitler. 5 Bände. Wien: Danubia 1948.
  • Raimund Löw / Siegfried Mattl / Alfred Pfabigan: Der Austromarxismus. Eine Autopsie. Frankfurt am Main: Isp 1986.
  • Anson Rabinbach: Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg. Wien: Löcker 1989.