Ballonfahrten
Ballonfahrten. In Europa beginnt die Luftfahrt möglicherweise 1709 mit dem Ballonaufstieg, den der portugiesische Physiker Gusmao durchführte. Die 1783 in Frankreich enthusiastisch bewunderten und bestaunten Heißluftballons (Montgolfieren) und Wasserstoffballons (Charlieren) weckten in ganz Europa die Lust zur Nachahmung; in der Literatur wurden die verschiedensten Ausdrücke verwendet.
Am 5. Juni 1783 starteten die Brüder Joseph und Etienne Montgolfier, Papierfabrikanten aus Avignon, den ersten Ballon in Annonay bei Lyon. Am 21. November 1783 fand der erste bemannte Aufstieg statt. Schon Ende 1783 ließ der erste österreichische Aeronaut Alois Beckh von Widmanstätter seine Luftbälle im geschlossenen Raum emporsteigen. Am 14. Jänner 1784 fand auf der Wieden (4, Wiedner Hauptstraße 60) im Garten des Herrn von Damm ein öffentlicher (unbemannter) Ballonaufstieg statt, der am 17., 18. und 19. Jänner wiederholt wurde. Als das Aufsteigenlassen von "Aerostatischen Luftkugeln" überhand nahm, erließ die Niederösterreichische Landesregierung am 17. Mai 1784 ein Verbot, diese zwischen Häusern aufsteigen zu lassen. Den ersten bemannten Ballonaufstieg führte Johann Georg Stuwer durch; am 6. Juli 1784 startete sein Sohn Kaspar mit Architekt Daniel Hakmillner und den Gehilfen Michael Schmalz und Johann Hiller auf dem Feuerwerksplatz (erster Fesselballonaufstieg). Am 26. Juli fand der zweite, am 25. August 1784 der dritte Aufstieg statt (bei dem die Halteseile rissen und die Luftschiffer in arge Bedrängnis gerieten); 1785 fanden mehrere Aufstiege statt, der letzte am 26. Juni 1785 (der Ballon wurde durch Unvorsichtigkeit vernichtet und nicht wieder erneuert). Mit dem Freiballon wurden in der Folge wissenschaftliche Experimente, Hoch- und Weitfahrten unternommen.
1786 ersuchte Jean-Pierre Blanchard (der am 7. Jänner 1785 den Ärmelkanal überquert hatte; Stuwer hatte kurz danach diesem Ereignis ein Feuerwerk gewidmet) um die Genehmigung, in Wien aufsteigen zu dürfen; obwohl Joseph II. bis dahin neuen Versuchen ablehnend gegenübergestanden war, erteilte er Blanchard am 2. Mai 1786 die Genehmigung. Dieser traf im November 1790 aus Prag in Wien ein und zeigte ab 1. Dezember seinen Luftballon in der Mehlgrube (1, Neuer Markt 5). Nach einem Misserfolg am 9. März 1791 verlief die 38. „Luftreise" am 6. Juli erfolgreich (Landung in der Nähe von Groß-Enzersdorf; erste freie Luftfahrt eines mit Wasserstoffgas gefüllten Kugelballons in Wien). Weitere Fahrten erfolgten am 2. August (Landung in Simmering), 14. August (Laa) und 15. August (Wienerberg). Anschließend trat in der Wiener Luftschifffahrt wieder eine längere Pause ein. 1804 sprang Stefan Kaspar Robertson erstmals im Prater mit einem Fallschirm aus einem Ballon ab. Am 10. August 1820 unternahm Wilhelmine Reichard im Prater (Feuerwerksplatz) einen Ballonaufstieg; sie landete beim Belvedere. 1845 erreichte der Wiener Dr. Natterer mit dem Ballon „Adler von Wien" (den der deutsche Luftschiffer Christian Lehmann nach Wien gebracht hatte) eine Höhe von 2.500 Meter.
Populär wurde der Ballon in Österreich durch Victor Silberer, eine der markantesten Gestalten der frühen Luftfahrt. 1882 unternahm er mit einem von der Pariser Firma Brossinet gelieferten Ballon (getauft auf „Vindobona") 15 Fahrten (insgesamt rund 150). Im späteren 19. Jahrhundert fanden verschiedentliche Ballonfahrten zu Vergnügungszwecken statt (so etwa Fesselballonaufstiege in der Hietzinger „Neuen Welt" 1882) oder die Ballonfahrten bei der Kaiser-Jubiläums-Ausstellung 1898, an der sich das Publikum beteiligen konnte. Der Österreichische Aero-Club erzielte am 2. Oktober 1902 mit dem Ballon „Jupiter" einen Höhenweltrekord (6.810 Meter); 1910-1913 erkundete Heinrich Ficker bei Ballonfahrten über den Alpen das Wetter; der Ballonführer Ferdinand Deutelmoser avancierte während des Ersten Weltkriegs zum Kommandeur der Luftstreitkräfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden durch den Schweizer Ballonpiloten Fred Dolder die Ballonfahrten neu belebt (seit 1948 von der Generalpostdirektion genehmigte Ballonpostaufstiege zugunsten der Österreichischen Pro-Juventute-Kinderdorfvereinigung). Bei einer Ballonfahrt im Wiener Donaupark verunglückte ein Ballon am 6. Juni 1968, als er durch ungünstigen Wind an die Aussichtsgalerie des Donauturms getrieben wurde und platzte.
Siehe auch: Luftfahrt; Zeppelin
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Literatur
- Hans Kronberger: Das österreichische Ballonbuch. Wien: Hora-Verlag 1987
- Ignaz Schwarz: Die Anfänge der Luftschiffahrt in Wien. In: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien. Wien: Alterthumsverein zu Wien 1913, S. 151 f.
- Ignaz Schwarz: Die ersten Wiener Luftschiffahrten. Nach dem am 20. Dezember 1912 im Altertumsverein in Wien gehaltenen Vortrag. Wien: Schwarz [1926]
- Helmut Kretschmer: Aus der Geschichte des Flugwesens in Wien. Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 1990 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe B, 32), S. 5 ff.
- Hans Georg Bergmann: 200 Jahre Ballonfahrten in Österreich (Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken 1984)
- Österreich zur Zeit Kaiser Josephs II. Mitregent Kaiserin Maria Theresias, Kaiser und Landesfürst. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung, Stift Melk, 29. März - 2. November 1980]. Wien: Amt der Niederösterreichischen Landesregierung 1980 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, Neue Folge 95), S. 146 ff., 470 ff.
- Otto Nirenstein: Luftfahrt im alten Wien. Eine Studie. Wien: Verlag des k. k. österreichischen flugtechnischen Vereines in Kommission bei Gilhofer & Ranschburg 1917
- Gottfried Stangler: Die Luftfahrt in Niederösterreich. St. Pölten [u.a.]: Verlag Niederösterreichisches Pressehaus 1979 (Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich, 38)
- Hans Pemmer / Ninni Lackner: Der Prater. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien, München: Jugend & Volk 1974 (Wiener Heimatkunde), S. 121 ff.
- Arbeiter Zeitung, 13.01.1984.