Edward Timms
Edward Timms, * 3. Juni 1937 Sunningdale, Berkshire (Großbritannien), † 21. November 2018 Brighton (Großbritannien), Germanist, Literatur- und Kulturwissenschaftler.
Biografie
Als drittes von acht Kindern des Pfarrers John Timms und dessen Ehefrau Joan, geborene Axford, wuchs Edward Timms in einfachen Verhältnissen auf. Seine Kindheit und Jugend waren vom Zweiten Weltkrieg und den Nachkriegsjahren geprägt. Nach dem Schulbesuch studierte er ab 1956 moderne Sprachen (Französisch und Deutsch) am Gonville und Caius College in Cambridge. Nach dem Studienabschluss 1960 ging er für ein Jahr als Englischlehrer nach Nürnberg. Danach kehrte er zurück nach Cambridge und begann unter (Joseph) Peter Stern an einer Dissertation über Karl Kraus zu arbeiten. Seine Forschungen führten Edward Timms bald nach Wien in die damalige Wiener Stadt- und Landesbibliothek (heute: Wienbibliothek im Rathaus) wo er von Paul und Sophie Schick mit dem Kraus-Archiv vertraut gemacht wurde.
Ab 1963 war er als Lektor an der Universität Sussex tätig. In dieser Zeit lernte er die Physikerin und spätere Psychoanalytikerin Saime Göksu kennen, die er 1966 heiratete und mit der er drei Adoptivkinder großzog. Einer neuerlichen Beschäftigung in Cambridge ab 1965 folgte 1992 die Berufung als Professor für Germanistik an die Universität Sussex. Bereits seine Antrittsvorlesung mit dem Titel "The Wandering Jew: A Leitmotif in German Literature and Politics" verdeutlichte den Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit.
Nachdem er bereits 1990 gemeinsam mit Ritchie Robertson das Jahrbuch "Austrian Studies" ins Leben gerufen hatte, gründete er kurz nach seiner Berufung das an der Universität Sussex angesiedelte "Centre for German-Jewish Studies". Diesem stand er in den ersten Jahren als Gründungsdirektor vor.
Edward Timms war einer der bedeutendsten Forscher zur Wiener Moderne und ausgewiesener Karl Kraus-Experte. Mit seiner zweibändigen Monographie zu Karl Kraus (1986/2005) setzte er in der Kraus-Forschung neue Maßstäbe. Sein Schaffen zeichnet sich vor allem durch dichte Kontextualisierung und durch das innovative Zusammendenken von Interaktionen aus, die er als "Wiener Kreise" visualisierte. Neben Karl Kraus galt Timms’ wissenschaftliches Interesse auch der Frühgeschichte der Psychoanalyse. 1988 war er Mitherausgeber des Konferenzbandes "Freud in Exile" und drei Jahre später von "Freud: Dreaming, Creativity and Therapy". Unter dem Titel "Freud and the Child Woman" editierte er die Erinnerungen von Fritz Wittels. Diese Arbeit liegt auch in deutscher, französischer und spanischer Übersetzung vor.
In seiner Funktion als Direktor des "Centre for German-Jewish Studies" organisierte er zahlreiche internationale Konferenzen über die politische Geschichte sowie die Kultur- und Literaturgeschichte der Juden. Als "permanent fellow" der Wiener Vorlesungen der Kulturabteilung der Stadt Wien hielt er Vorträge unter anderem über "Karl Kraus und der Kampf ums Recht" und "Das Denken der Wiener Moderne. Dynamik der Kreise, Resonanz der Räume". Anlässlich der Buchpräsentation von "Dynamik der Kreise, Resonanz der Räume" (2013) in Wien wurde Timms das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen. Gemeinsam mit Fred Bridgham übertrug Timms zwei zentrale Werke Kraus’ erstmals ins Englische – "The Last Days of Mankind" (Yale University Press 2015) und "The Third Walpurgis Night" (posthum, Yale University Press 2020). Die deutschsprachige Übersetzung seiner Karl Kraus-Biografie "Karl Kraus – Die Krise der Nachkriegszeit und der Aufstieg des Hakenkreuzes" erschien in der Buchreihe "Enzyklopädie des Wiener Wissens. Porträts" und wurde 2017 im Beisein des Autors im Wiener Rathaus präsentiert.
Abseits der Moderne-Forschung beschäftigte sich Timms auch mit vergleichender europäischer Literaturwissenschaft. Gemeinsam mit seiner Frau Saime Göksu veröffentlichte er 1999 "Romantic Communist: The Life and Work of Nazim Hikmet". Mit Deborah Schultz verfasste er gemeinsam das 2009 erschienene Buch "Pictorial Narrative in the Nazi Period: Felix Nussbaum, Charlotte Salomon and Arnold Daghani". 2011 erschien seine Autobiografie "Taking up the Torch – English Institutions, German Dialectics and Multicultural Commitments".
Edward Timms wurde für seine Forschungen zur Wiener Moderne mehrfach ausgezeichnet. Ein Teilnachlass des renommierten Germanisten und Kulturwissenschaftlers befindet sich in der Wienbibliothek im Rathaus. Darin sind unter anderem ein Arbeitsexemplar seiner unveröffentlichten Dissertation "Language and the Satirist in the Work of Karl Kraus", Vorarbeiten und Entwürfe zu seinen Monografien sowie zahlreiche Kalender, Tage- und Traumtagebücher erhalten.
Quellen
Literatur
- Ritchie Robertson: Edward Timms (1937–2018). A Memoir. In: Austrian Studies 27 (2019), S. 237–245
- Nachruf auf Edward Timms, in: The Guardian, 27.12.2018 [Stand: 28.04.2022]
- Zum Ableben von Edward Timms (1937–2018). In: Rathauskorrespondenz, 05.12.2018
- Edward Timms: Taking up the Torch. Sussex: University Press 2011
Edward Timms im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.