Erwachsenenfürsorge
Erwachsenenfürsorge. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bedurfte die bisher ausschließlich private Fürsorge einer Neustrukturierung, weil die Erwachsenenfürsorge nunmehr durch Steuermittel finanziert wurde; man unterschied dabei zwischen offener und geschlossener Fürsorge (Versorgungsheime), die Grenzen zur (auch prophylaktischen) Gesundheitsfürsorge (beispielsweise der Armenkrankenbehandlung, Tuberkulose- oder Trinkerfürsorge) und zur Sozialfürsorge (beispielsweise Eheberatungsstellen) waren fließend (Behandlung aller einschlägigen Bereiche in einer Geschäftsgruppe, die Stadtrat Julius Tandler unterstand). Im weiteren Verlauf der sozialdemokratischen Fürsorgegesetzgebung wurde die Erwachsenenfürsorge durch das Armenversorgungsgesetz des Landtags vom 11. Juli 1928 (Landesgesetzblatt 32/1928) neu gefaßt. An laufenden Unterstützungen und Aushilfen wurden an Erwachsene 1924 6,7 Millionen Schilling 1930 15,2 Millionen Schilling und 1933 17,6 Millionen Schilling ausbezahlt. Zu den wichtigsten Fortschritten der Ersten Republik zählen die kostenlose Insulinabgabe an Mittellose (ab Oktober 1925), die Einrichtung einer Blindenfürsorgestelle (Gemeinderats-Beschluß vom 26. November 1926), die Durchführung öffentlicher Ausspeisungen (Gemeinderats-Beschluß vom 26. Oktober 1927) und eine Taubstummenfürsorge (seit 1929). Die gesetzliche Fürsorge für Erwachsene erstreckte sich auf alle in Wien wohnenden bedürftigen Personen vom vollendeten 14. Lebensjahr an. Sie umfasste Armenwesen im allgemeinen sowie Armenpflege, Hauskrankenpflege, Erhaltungsbeiträge, Geld- und Sachaushilfen, Wärmestuben, Verwaltung von Stiftungen für Fürsorgezwecke, Versorgungshäuser, Obdachlosenheime, Behindertenbetreuung, Wohn- und Pflegeheime, Wohnsiedlungen für alte Leute, Landaufenthalte, Pensionistenbetreuung, Notstandsaktionen, Familienunterstützungen, Verpflegungskosten in fremden Fürsorgeanstalten und sonstige Maßnahmen, wie Arbeitslosenfürsorge und Berufsberatungsamt. Am Beginn der Zweiten Republik war die Fürsorge auf ausländische Unterstützung angewiesen. Nach dem Rechtsüberleitungsgesetz 1945 galten die deutschen Normen über die öffentliche Fürsorge bis 1948 als österreichische Rechtsvorschriften weiter. Mit Landesgesetz vom 23. Dezember 1948 (Landesgesetzblatt 11/1949) kam es zu einer vorläufigen Regelung der öffentlichen Fürsorge und der Jugendwohlfahrt. Die Fürsorge wurde durch Aufgaben in den Bereichen Allgemeinen Sozialhilfe, Behindertenhilfe, Betreuung durch diplomierte Sozialarbeiter und soziale Dienste bestimmt. In der mittelbaren Bundesverwaltung blieben das Opferfürsorgegesetz von 1947 Opferfürsorge) und das Tuberkulosegesetz von 1968 (Tuberkulose) in Geltung. Das Wiener Behindertengesetz trat 1966 in Kraft (Landesgesetzblatt 22/1966), das Wiener Blindenbeihilfengesetz 1969 (Landesgesetzblatt 14/1969) und das Wiener Sozialhilfegesetz 1973 (Landesgesetzblatt 11/1973). Die Ausgaben des Sozialamts betrugen (gerundet) 1955 144 Millionen Schilling (inklusive Fürsorgeverbandskosten, jedoch ohne Obdachlosenherbergen), 1965 192 Millionen Schilling (ohne Obdachlosenherbergen), 1973 548 Millionen Schilling, 1985 3,4 Milliarden Schilling und 1991 5,2 Milliarden Schilling. Zum historischen Überblick siehe auch Sozialwesen.
Literatur
- Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der ersten Republik (1919 - 1934). Band 2. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1959 (Wiener Schriften, 11), S. 188 ff., 208 ff., 234 ff.
- Herbert Drapalik: Geschichte der Wiener Sozialverwaltung von 1945-1985. Hg.: Sozialamt der Stadt Wien. Wien: Sozialamt der Stadt Wien [1990]