Gauakten

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Daten zum Eintrag

Die im Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrten Gauakten sind verschiedene Unterlagen aus dem Bereich der Kreisleitungen und Ortsgruppen der NSDAP des Gaues Groß-Wien.[1] Sie wurden nach kurz nach Kriegsende 1945 von der Bundespolizeidirektion Wien eingezogen und in den folgenden Monaten und Jahren durch zusätzliche Quellen ergänzt. Die Gauakten stellen eine wesentliche Quelle für die Biografien von NSDAP-Mitgliedern dar.

Voraussetzungen

Im April 1945, am Ende des Zweiter Weltkriegs, wurde Wien von sowjetischen Truppen erobert. Schon kurz darauf, zwei Wochen vor Inkrafttreten des Verbotsgesetzes vom 8. Mai 1945, begann ein polizeilicher Hilfsdienst der sowjetischen Kommandantur mit der Erfassung von Nationalsozialisten. Mit Erlass des Staatsamtes für Inneres vom 9. Juni 1945 endete zwar die Tätigkeit dieses kommunistisch dominierten polizeilichen Hilfsdienstes, die Beamten wurden jedoch von der am 13. Juni 1945 gegründeten Bundespolizeidirektion Wien übernommen.

Unter Heinrich Dürmayer, dem Leiter der Staatspolizeilichen Abteilung I, begann die Behörde mit der „Sammlung und Auswertung der Originalunterlagen und Materialien über Parteizugehörigkeit, Funktionen oder sonst entfaltete Aktivität in NS-Organisationen, sowie die karteimäßige Erfassung aller staatspolizeilich interessanten Personen".

"Ein Zwang oder Druck, der Partei beizutreten, darf unter keinen Umständen ausgeübt werden, der Grundsatz der Freiwilligkeit als eines der wertvollsten und wesentlichsten Merkmale der Bewegung muss vielmehr voll aufrecht erhalten werden!" (Anordnung 24/37).[2] Die Aufnahme in die NSDAP war stark reglementiert, nur durch ein aktives Herantreten an die Partei und den Nachweis der politischen Linientreue war eine Aufnahme möglich. Die Aufnahme erfolgte über einen schriftlichen Antrag, der über die Ortsgruppe, Kreis- und Gauleitung über den parteiinternen Dienstweg an den Reichsschatzmeister der NSDAP übermittelt wurde. Dort wurden die Anträge in einer Nummernkartei aufbewahrt.

Aufbau und Inhalt

Die von der Bundespolizeidirektion Wien gesammelten Unterlagen wurden durchnummeriert oder gestempelt und zur leichteren Wiederfindbarkeit in einer Kartei erfasst. Für jede Person wurden einlangende Unterlagen von der Polizei mit einer sogenannten Urkundenzahl versehen. In den ersten Jahren wurden diese Unterlagen unter einer Zahl zusammengelegt, bei späteren Ergänzungen unter einer eigenen Zahl getrennt gelegt. Bei Angehörigen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) wurde auf die Karteikarten mitunter im rechten oberen Eck ein "G" eingetragen.

Unter den Gauakten findet man Personalakten von Angehörigen der "Österreichischen Legion" und etwa 200.000 Dokumente und Personalunterlagen der einzelnen Ortsgruppen und der Kreise des NS-Gaues Wien, ergänzt durch aufgefundenes Material aus der Zeit 1945 bis 1955. Teilweise sind Herkunftsgruppen wie Personalakten der Kreisleitungen, der SA, der Wehrbezirke (zum Beispiel Angehörige des Wehrbezirkskommandos Wien II oder des Wahlsprengels Wien 17) erkennbar. Die personalbezogenen Akten enthalten auch NS-Unterlagen wie etwa Briefwechsel zwischen Ortsgruppenleitungen und Kreisleitungen, Formulare der Gauleitung Wien, Formulare des Gaupersonalamtes, Karteikarten der Ortsgruppen als auch Unterlagen, die nach 1945 zu den Akten gelegt wurden wie beispielsweise Registrierungsverfahren nach dem Verbotsgesetz.

Die im Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrten Gauakten der Staatspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wien dürfen nicht mit den im Österreichischen Staatsarchiv, Archiv der Republik, befindlichen Gauakten verwechselt werden. Die dortigen Gauakten wurden aus politisch begründeter Konkurrenz auf Grundlage der Akten des Gaupersonalamtes des Gaues Wien im Staatsamt für Inneres, Sektion I, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Abteilung 2 (Staatspolizeiliches Büro) angelegt. Sie sind daher, sofern es überhaupt zu Überschneidungen kam, als komplementäre Quellen zu den Gauakten im Wiener Stadt- und Landesarchiv betrachten.

Benutzung der Akten

Die Gauakten im Wiener Stadt- und Landesarchiv sind über eine phonetische Namenskartei, der sogenannten Gaukartei, erschlossen. Zur eindeutigen Identifikation einer Person ist neben dem vollständigen Namen auch das Geburtsdatum notwendig.

Die Heterogenität des gesammelten Materials macht es schwer, allgemein gültige Aussagen zum Inhalt der einzelnen Gauakten zu treffen. Bedingt durch die unterschiedliche Herkunft der zusammengetragenen Akten finden sich jedoch teilweise Vordrucke verschiedener NS-Behörden, die den Akteninhalt vorstrukturieren. Die verwendeten Aktendeckel zu den Gauakten sind keine einheitlich gestaltete Drucksorte, sondern bestehen aus übriggebliebenen Papieren der Polizei aus der NS-Zeit. Die Akten haben daher kein einheitliches äußeres Erscheinungsbild.

Für die Verfolgung von NS-Verbrechern wurden insgesamt 3.844 Gauakten an die Staatsanwaltschaft für Verfahren vor dem Volksgericht abgetreten. Diese Akten wurden nach dem jeweiligen Prozess nicht mehr zurückübermittelt, sondern verblieben beim entsprechenden Strafakt des Volksgerichts. Die Einsicht in diese Gauakten hat daher im Rahmen der Einsicht in den jeweiligen Volksgerichtsakt zu erfolgen.

Bestandsgeschichte

Bei einer Revision der Akten durch die Ermittlungsbehörde um 1955 wurde damit begonnen, die Akten jener Personen, zu denen es wenig Material gab oder wo die rechtliche Situation nicht mehr von aktueller Relevanz war, auszusondern.

Die Gauakten wurden gemeinsam mit anderen erhobenen Unterlagen der Staatspolizei anlässlich der Übersiedlung der Bundespolizeidirektion Wien am 27. Jänner 1975 aus dem Keller der Polizeidirektion (Wien 1, Parkring) dem Wiener Stadt- und Landesarchiv übergeben. Nach Wunsch des Bundesministeriums sollte der Bestand für die Benützung durch Privatpersonen gesperrt bleiben oder nur mit Genehmigung des Bundesministeriums für Inneres, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, benützt werden dürfen. Erst mit dem Wiener Archivgesetz aus dem Jahr 2000 fiel diese Beschränkung.

Quellen

Literatur

  • Winfried R. Garscha: Die Rolle der Sicherheitsexekutive bei der Entnazifizierung: Aktenbestände und Bestandslücken, in: Walter Schuster/Wolfgang Weber (Hrsg.): Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Linz: Archiv der Stadt Linz 2004, S. 554.
  • Rudolf Jerabek: „In einer Demokratie höchst bedenkliche Akten“: Die Gauakten, in: Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher, Sabine Fuchs (Hg.): Macht Literatur Krieg. Österreichische Literatur im Nationalsozialismus. Wien u. a. 1998, S. 449–462
  • Heinrich Dürmayer: Bericht über die Entstehung, Entwicklung und Tätigkeit der staatspolizeilichen Abteilung vom April 1945 bis 31. Dez. 1945

Einzelnachweise

  1. Die im Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrten Gauakten der Staatspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wien dürfen nicht mit den im Österreichischen Staatsarchiv, Archiv der Republik, befindlichen Gauakten verwechselt werden. Siehe dazu: Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik: Bestand Gaupersonalamt des Reichsgaues Wien ("Gauakten")
  2. Deutsches Bundesarchiv: PG - Zur Mitgliedschaft in der NSDAP (Stand 29.9.2023)