Handwerksordnungsbuch
Das Wiener Handwerksordnungsbuch wurde im Jahr 1430 unter Stadtschreiber Ulrich Hirssauer angelegt und enthält in erster Linie Statuten diverser Wiener Handwerksbranchen von der zweiten Hälfte des 14. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts. Es gehört in die Quellengruppe der mittelalterlichen Wiener Stadtbücher.
Anlage und verwaltungsgeschichtlicher Kontext
Das Wiener Handwerksordnungsbuch entstand im Jahr 1430 im Zuge von Ordnungsmaßnahmen in der städtischen Verwaltung, die unter anderem einen Überblick über die große Zahl der Wiener Handwerkssparten und der für diese bestehenden Ordnungen ermöglichen sollten. Der zu dieser Zeit amtierende Stadtschreiber Ulrich Hirssauer war an der Anlage dieser Handschrift federführend beteiligt. Der Grundstock der in das Buch eingetragenen Handwerksordnungen stammt mit großer Wahrscheinlichkeit von der Hand Hirssauers. Als Quelle für die bis in das Jahr 1364 zurückreichenden Statuten benutzte der Stadtschreiber dabei großteils Einträge in andere Stadtbücher (zum Beispiel die sogenannten Testamentenbücher oder das Eisenbuch).
Die Handschrift besteht heute aus 225 Papier- (von Folio 1 bis 232 durchnummeriert, einige Blätter fehlen mittlerweile) und insgesamt zehn Pergamentblättern (Folio A IIIv, A1–A8, Folio 233). Die Pergamentblätter wurden spätestens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dem Papierbuchblock vorgebunden und enthalten zum überwiegenden Teil Eide für zahlreiche städtische Ämter, Treu- sowie Bürgereide. Das heutige Erscheinungsbild der Handschrift geht auf eine umfassende Restaurierung und Neubindung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück.
Im Papierbuchblock sortierte Hirssauer die Ordnungen zunächst gruppenweise nach Handwerkssparten; spätere Einträge wurden – auch aus Platzgründen – oftmals außerhalb dieser Grundstruktur chronologisch fortgeführt. Das Handwerksordnungsbuch wurde bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts durchgehend und intensiv verwendet: Das jüngste eingetragene Statut ist jenes der Leinweber vom 19. Juli 1555.[1] Benützungsspuren finden sich allerdings bis weit in das 17. Jahrhundert: Ein Vermerk zu einer undatierten, in das beginnende 16. Jahrhundert zu setzenden Fischerordnung bezieht sich auf eine Bestätigung durch Leopold I. aus dem Jahr 1661 und muss folglich nach diesem Zeitpunkt eingetragen worden sein.[2]
Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts erfolgte parallel zur Führung der älteren Handschrift die Anlage eines weiteren Handwerksordnungsbuchs, in den zeitgenössischen Quellen üblicherweise newes ordnungpuech genannt. Das zweite Ordnungsbuch hat sich allerdings nicht erhalten.
Inhalt
Der vermehrt seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts belegten Bezeichnung entsprechend (der hanntwercher ordnungpuech oder der stat Wienn ordnungspuech) liegt der inhaltliche Schwerpunkt der Handschrift auf Ordnungen für in Wien ansässige Handwerke. Das mittelalterliche Verständnis von Handwerk war jedoch weiter gefasst als dies heute der Fall ist: Neben dem im weitesten Sinne manuellen Gewerbe mit klassischen handwerklichen Berufen wie Schuster, Schneider, Tischler, Weber und dergleichen fielen auch Vertreter des Kleinhandels, also etwa Krämer, und des Dienstleistungsgewerbes, zum Beispiel Leitgebe und Köche, unter diesen Begriff. Dementsprechend finden sich ebenso zahlreiche Ordnungen für die letztgenannten Kategorien in der Handschrift.
Wie weiter oben bereits angedeutet, stammt die älteste im Handwerksordnungsbuch erhaltene Ordnung aus dem Jahr 1364 und betrifft die Zaumstricker, also Hersteller von Pferdegeschirr.[3] Die eingetragenen Statuten werden mit den Jahren teilweise deutlich umfangreicher, folgen jedoch öfters einem bestimmten Formular. Sehr häufig enthalten die Ordnungen Regelungen bezüglich der Aufnahme eines neuen Meisters in die Zeche, Bestimmungen zur Qualitätssicherung der hergestellten Produkte oder in Bezug auf den Umgang mit gesten, also stadtfremden, sich innerhalb Wiens aufhaltenden Handwerkern beziehungsweise Kaufleuten. Auch bezüglich der Gesellen und Lehrlinge wurden zahlreiche Normen festgelegt, etwa in Lohn- und Arbeitszeitfragen. Ab circa Mitte des 15. Jahrhunderts nimmt die Anzahl von Satzungen für Gesellenverbände einzelner Handwerke stark zu. Auf diese sogenannten Gesellenschaften übten je nach Gewerbe die jeweiligen Meisterzechen mehr oder weniger Einfluss und Kontrolle aus.
Daneben bietet das Handwerksordnungsbuch jedoch ebenso Einblick in die unterschiedlichsten Bereiche des spätmittelalterlichen städtischen Lebens in Wien. So etwa geben die Amtseide diverser städtischer Funktionsträger eine Ahnung von den mit dem betreffenden Amt verbundenen Aufgaben. In anderen Texten werden wiederum Regelungen zur Stadtverteidigung getroffen. Statuten zum Weinbau und zum städtischen Weinausschank sind in der Handschrift ebenso enthalten wie Marktordnungen sowie Weistümer. Diese Themenvielfalt macht das Wiener Handwerksordnungsbuch zu einer über die engere handwerksgeschichtliche Forschung hinausgehende Quelle und zu einem der zentralen Produkte der städtischen Wiener Stadtverwaltung im Spätmittelalter.
Quelle
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handschriften, A97/1: Handwerksordnungsbuch: hochauflösendes Digitalisat
- Markus Gneiß: Das Wiener Handwerksordnungsbuch (1364 bis 1555). Edition und Kommentar. Wien: Böhlau Verlag 2017 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 16) (FWF-E-Book-Library): Edition des Handwerksordnungsbuches
Literatur
- Archivalien aus acht Jahrhunderten. Ausstellung des Archivs der Stadt Wien. Dezember 1964 - Februar 1965. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1965 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 15), S. 17
- Joseph Feil: Beiträge zur älteren Geschichte der Kunst- und Gewerbs-Thätigkeit in Wien. In: Berichte und Mitteilungen des Altertums-Vereines zu Wien 3 (1859), S. 204–307
- Markus Gneiß: Das Wiener Handwerksordnungsbuch als Quelle für Konflikte zwischen Meistern und Gesellen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 122 (2014), S. 410–417
- Ferdinand Opll: Zeitverständnis und Zeitbegriff im Alltag mittelalterlicher Städte. Beobachtungen anhand des spätmittelalterlichen Wiener Handwerksordnungsbuches. In: Viliam Čičaj / Othmar Pickl [Hg.]: Städtisches Alltagsleben in Mitteleuropa vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Referate des Internationalen Symposions in Častá-Pila vom 11.–14. September 1995. Bratislava: Academic Electronic Press 1998 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 6), S. 35–46
- Heinz Zatschek: Handwerk und Gewerbe in Wien. Von den Anfängen bis zur Erteilung der Gewerbefreiheit im Jahre 1859. Wien: Österreichischer Gewerbeverlag 1949
- Heinz Zatschek: Die Ordnungen für das Wiener Handwerk. Wien 1958/1959 (maschinenschriftliches Manuskript) [Auflistung aller bekannten Wiener Handwerksordnungen. WStLA, Archivbibliothek: W 184]