Hoher Markt 5
1, Hoher Markt 5 (Konskriptionsnummer 545), Tuchlauben 22, Landskrongasse 10.
Dieses Haus ist das historisch denkwürdigste Gebäude des Platzes, denn hier befand sich für fast genau 400 Jahre (1440 bis 1839) die Schranne, die allerdings nur einen Teil der Grundfläche des heutigen Hauses einnahm und und erst später durch Einbeziehung der angrenzenden Objekte vergrößert wurde.
Schranne
Ursprünglich befand sich hier das schon 1350 erwähnte Seithaus (Saithaus). Nach dem großen Brand 1437 wurde der Bauplatz von der Stadt eingezogen, die Kirche, die das Gebäude zuletzt besaß, entschädigt und an dieser Stelle die Schranne neu gebaut. Auch das bereits 1372 erwähnte Mautstüblein, ein schmaler, etwas eingerückter Anbau auf der Seite der Tuchlauben, wurde wieder neu errichtet. Der Zweck dieses Hauses, das weiterhin als Mautstüblein bezeichnet wurde, ist unklar, denn seit 1424 existierte ein Mauthaus beim alten Rathaus in der Wipplingerstraße. Bei einem Umbau im Jahr 1630 dürfte das Mautstübchen verschwunden sein. Das Schrannengebäude aus dem Jahr 1630 ist auf einer Zeichnung Fischer von Erlachs aus dem Jahr 1719 dargestellt. Auf einem Türmchen auf dem Gebäude war die "Armensünderglocke“ angebracht. Im Erdgeschoß befand sich die sogenannte Löwengrube, ein Gefängnis für säumige Schuldner, in dem Boden des Erdgeschoßes herausgerissen war und sich eine Galerie rund um den Raum befand. Die Gefangenen saßen aber in einem im Keller liegenden Raum. 1656 wurde der Schuldenarrest in das Rumorhaus am Tiefen Graben verlegt.
Im Jahr 1740 war das Gebäude dem Einsturz nahe. Die Freistiege, die in den ersten Stock führte und schon beim Umbau 1630 zum Abbruch vorgesehen war, wurde entfernt und die Schranne auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia unter der Leitung von Anton Erhard Martinelli mit einem Aufwand von 15.000 Gulden umgebaut und mit einer neuen Fassade ausgestattet. Dieses Gebäude wird auf einem Stich von Schütz und Ziegler aus dem Jahr 1797 dargestellt. Bereits auf dem Gebäude von 1630 befand sich eine von einem Giebel überdachte Uhr, die eine der ersten öffentlichen Uhren Wiens gewesen sein dürfte. Beim Umbau des Gebäudes im Jahr 1885 fand man auf der Rückseite der Uhr die Inschrift "Diese Uhr schlägt keinem Glücklichen“. In der Schranne befand sich auch eine Kapelle mit dem Namen "Zur Todesangst Christi". Vor dem Eingang in die Gerichtsstube waren zwei Tafeln angebracht, die in deutscher und lateinischer Sprache über ein Eigentumsdelikt eines zum Christentum konvertierten Juden berichteten und ausführlich dessen Folterung beschrieben.
Rechtsprechung in der Schranne
Seit dem Mittelalter amtierte in der Schranne ein Stadtrichter, der landesfürstlicher Beamter war. Das änderte sich auch nicht, als Bürger zu diesem Amt berufen werden konnten. Der Stadtrichter richtete in Zivil- und Strafsachen gemeinsam mit den zwölf Stadträten, die das Stadtgericht bildeten. Während der öffentlichen Verkündung des Urteils saß der Stadtrichter auf dem steinernen Richterstuhl und hatte das Schwert der Gerechtigkeit in der Hand.
Hinrichtungen
Unmittelbar vor Hinrichtungen, die meist sofort nach dem Urteilsspruch auf dem Hohen Markt vollstreckt wurden, wurde am Gebäude eine rote Fahne ausgesteckt. Am Schrannenturm läutete dann die Glocke, Frohnboten riefen das Urteil aus und der Verurteilte wurde mit gebunden Händen und im schwarzen Bußhemd auf eine aus Brettern gezimmerte Erhöhung geführt. Ihm voran ging der Bettelrichter, der ein Kruzifix trug. Danach verlas ein Mitrichter noch einmal das Urteil und übergab das Richtschwert dem Henker, der auf ein Zeichen hin das Urteil exekutierte. Misslang die Hinrichtung, konnte es passieren, dass der Scharfrichter von der Zuschauermenge gelyncht wurde, wie es zum Beispiel im Jahr 1501 geschah.
Die mittelalterliche Strafjustiz kannte außerdem noch den Tod durch das Rad (bei politischem und Landesverrat) und Ertränken (vor allem für Frauen bei Kindesmord, schwerer Unzucht, Ehebruch sowie vereinzelt auch bei Irrglauben). Das Ertränken ist bis 1603 als Urteil belegt. Aus dem 16. Jahrhundert ist auch das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen bekannt (Ketzerei; Hexenverbrennung). Der Feuertod wird zum letzten Mal erst im Jahr 1768 verhängt!
1683 wurde ein Schnellgalgen errichtet, der zunächst als Warnung für Verräter dienen sollte. Solche Schnellgalgen wurden außerdem am Neuen Markt und auf der Freyung aufgestellt.
Andere Urteile
Auch für Verbrechen, die nicht mit dem Tod geahndet wurden, gab es grausame Strafen. So wurde zum Beispiel bei Verbrechen gegen die Gesellschaft, Staatsverrat, Münzfälschung und anderen Delikten das Blenden ("Augen auzzprechen“) als Strafe ausgesprochen. Andere Strafarten waren das Abschneiden der Ohren und der Zunge, das Aufschlitzen der Nase, das Abhacken der Finger oder Hände bei Meineid und Kirchenraub, aber auch das Zwicken mit glühenden Zangen und das Einbrennen von Rad und Galgen an der Stirn. Diese Brandmarken sollten die Umgebung des Verurteilten nach seiner Entlassung vor seiner Gefährlichkeit warnen. Ab 1656 wurden die Brandmarken nur mehr am Rücken angebracht und ab 1790 nicht mehr angewandt. Vom 11. bis zum 13. Jahrhundert wurde das "Hundetragen“ als Ehrenstrafe verhängt. Daher leitet sich auch die Redewendung "auf den Hund kommen“ ab. Im 15. Jahrhundert mussten Frauen, die öffentliches Ärgernis erregten, in Begleitung von Schergen schwere Steine durch die Stadt tragen ("Bockhsteintragen“).
Eine viel angewendete Strafverschärfung war zu gewissen Zeiten, vor allem aber unter Joseph II. das Straßenkehren. Den dazu Verurteilten mussten monatlich "zur Erhaltung der Gesundheit, Sauberkeit und Sicherheit“ die Haare abgeschnitten werden.
Öffentlicher Ruf
Bevor es Verordnungs-, Gesetzblätter und Zeitungen gab, wurde wichtige Informationen durch Rufer von dem Söller des Schrannengebäudes verkündet. Bevor dies geschah, läutete in St. Stephan ein eigenes Rufglöcklein. Dann schritt der Ausrufer vom Peilertor durch die Tuchlauben zur Schranne. Auf diesem Weg schlossen sich ihm viele Schaulustige an. Dort bestieg er den Söller und begann seine Verlautbarungen nach einem Trompetensignal mit den Worten "Nun hört und schweigt!“. Außerdem gab es die Weisung: "Und saget das ein Mann dem anderen!“
de Biel'sches Gebäude
Neben der Schlagstube und dem Mautstübchen lag noch ein weiteres Gebäude auf diesem Areal. Es wird erstmals im Jahr 1371 erwähnt und 1386 wird es, "gelegen an dem Hohen Markt an einem Teil nächst dem Mauthaus und an dem andern nächst der Schlagstube mit allen den Gemächen und Kellern und Rechten, die dazu gehören und ir chram [Verkaufsladen]“ verkauft. Am 27. Mai 1418 erhob der Mathes, der Pfarrer von Hietzing, der das Seithaus für die Kirche verwaltete, Beschwerde gegen ein Bauvorhaben, doch bereits am 1. Juli 1418 bekam das Haus einen neuen Besitzer und im Jahr 1439 kauften der Bürgermeister Hans Steger und der Rat der Stadt das Haus, von dem nach dem großen Brand im Jahr 1437 nicht mehr viel übrig geblieben zu sein scheint. Unter Umständen hatte die Stadt Wien die Absicht, die neue Schranne auf dem Grundstück aller drei Häuser zu errichten.
Tatsächlich wurde die Schranne als eigenständiges Gebäude errichtet, die beiden dahinter liegenden Häuser wurden jedoch durch ein einziges ersetzt. Bis 1541 fehlen jegliche Daten zu diesem Haus. Im Jahr 1636 erwarb es der Baumeister Simon Radac (Radegk), der auch an der Restaurierung der Schranne im Jahr 1630 beteiligt gewesen war. 1744 kam das Haus in den Besitz von Maria Anna de Biel, die es einer Stiftung widmete, deren Zweck nicht bekannt ist. 1775 wurde es gegen das große Jesuitenhaus am Heiligenkreuzerhof, das die de Biel'sche Stiftung erhielt, eingetauscht und ging in den Besitz der Stadt über.
Erweiterung der Schranne
1786 wurde das hinter der Schranne liegende de Biel'sche Gebäude mit der Schranne vereint. Dabei entstand ein Zubau mit gedecktem Vorbau und ein von Mauern umgebener Hof. Von Zeitgenossen wurde sowohl die Architektur als auch die innere Einrichtung kritisiert. Das de Biel'sche Gebäude war wesentlich größer als die Schranne.
Das Kriminalgericht am Hohen Markt bestand bis 1839. Von dort übersiedelte es in das neuerbaute Kriminalgerichtsgebäude in der Alser Straße. Die Schranne am Hohen Markt diente aber weiterhin als Zivilgericht des Wiener Magistrats. 1855 wurde das Gebäude umgebaut, wobei ein Teil des Hauses nun in Privatwohnungen umgewandelt wurde. Im April 1945 erlitt das Haus einen Bombentreffer, der aber keinen wesentlichen Schaden anrichtete. Als am 14 April 1945 das Nachbarhaus brannte, griffen die Flammen auch auf das Gebäude über und konnten erst nach schwierigen Löscharbeiten durch die Bewohner eingedämmt und schließlich gelöscht werden.
Gewerbe und Firmen innerhalb des Hauses im Laufe der Jahre
- Tuchbereiter, Lodenwirker, Seitverkäufer (seit = Wollstoff)
Literatur
- Paul Harrer-Lucienfeld: Wien, seine Häuser, Geschichte und Kultur. Band 1, 2. Teil. Wien ²1951 (Manuskript im WStLA), S. 400-416