Karl Emil Franzos (Bestände)
Der am 25. Oktober 1848 im galizischen Czortkow (heute Tschortkiw, Ukraine) geborene und am 28. Jänner 1904 in Berlin verstorbene Karl Emil Franzos hinterließ der Nachwelt nicht nur eine kaum überschaubare Zahl an Manuskripten und Korrespondenzen, sondern zudem auch eine so gewaltige wie bedeutende Autographensammlung, teils prominentester Provenienz. Die große Menge an nachgelassenen Papieren resultierte zum einen aus seiner unermüdlichen journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit und war zum anderen seiner publizistisch in erstaunlicher Konsequenz gelebten Berufung zu einem der wichtigsten Literaturvermittler des deutschsprachigen Raums im 19. Jahrhundert geschuldet. In diesem Zusammenhang muss man insbesondere die von Franzos erfolgreich herausgegebene Zeitschrift "Deutsche Dichtung" nennen, die es auf 35 Bände brachte. Das Projekt war bei schon etablierten Autorinnen und Autoren wie Ludwig Anzengruber, Marie von Ebner-Eschenbach, Theodor Fontane, Paul Heyse, Conrad Ferdinand Meyer, Christian Morgenstern, Peter Rosegger, Ferdinand von Saar oder Theodor Storm genauso beliebt wie bei literarischen Nachwuchskräften, so etwa Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig – Letzterer war in schöner Regelmäßigkeit mit lyrischen Werken vertreten.
Geschichte der Übernahme
Im Frühjahr 1925 nahm die inzwischen wieder in Wien lebende Ottilie Franzos (1856–1932) – das Paar war 1887 nach Berlin übersiedelt – Verbindung zu den Städtischen Sammlungen auf und formulierte ihren Wunsch, den Nachlass ihres Gatten "in den Besitz der Stadt Wien übergehen zu lassen". Die Experten der Wiener Stadtbibliothek erkannten die exorbitante Größe des Bestands und mussten darüber hinaus feststellen, dass sich die Verhandlungen mit der Witwe Franzos über den Kaufpreis als sehr schwierig entpuppten, wie dem Ankaufsakt zu entnehmen ist, "da sie, als Gattin eines Autographensammlers, der selbst auf dem Autographenmarkte versiert war, die Tendenz verfolgte, die Sammlung möglichst hoch einzuschätzen". Nach zähem Ringen gestand man der Hinterbliebenen eine ab 1. April 1926 zahlbare monatliche Leibrente von 140 Schilling in Gold zu, was 2023 einer Kaufkraft von 650 EUR entspricht. Offenbar war die Erfahrung der erst jüngst überwundenen Hyperinflation nicht spurlos an Ottilie Franzos vorübergegangen. Glücklicherweise hatte sie während der Jahre des dramatischen Währungsverfalls wohl der Versuchung widerstanden, wichtige Papiere aus dem Nachlass ihres Mannes in dringend benötigtes Geld zu verwandeln – ein Motiv, das Stefan Zweig in seiner Erzählung "Die unsichtbare Sammlung" just 1925 so mitleiderregend literarisiert hat. Doch an den teilweisen Verkauf von Stücken aus der Sammlung Franzos dachte nun die Stadt Wien selbst, denn die Verantwortlichen rangen Ottilie Franzos das Zugeständnis ab, einen Teil des Bestands verkaufen zu dürfen, um die Erwerbung überhaupt finanzieren zu können. Argumentiert wurde diese partielle Veräußerung einzelner Konvolute damit, dass wesentliche Teile des Nachlasses nicht zum Sammelgebiet der Stadtbibliothek gehörten, so würde nur "etwa ein Viertel der Handschriften infolge seines wienerischen oder österreichischen Charakters für eine Erwerbung" in Frage kommen. Dass das Pertinenzprinzip an dieser Stelle von der Wiener Stadtbibliothek über das Provenienzprinzip gestellt wurde, mag zwar kein einmaliger Vorgang im Archivwesen sein, überrascht aber angesichts der Exzellenz weiter Teile jener Konvolute, die man abzugeben bereit war und die zumeist mit Franzos’ Herausgebertätigkeit der Zeitschrift "Deutsche Dichtung" in Zusammenhang standen. Fieberhaft suchte man nach einem Händler, der die als wenig einschlägig erachtenden Dossiers im Auftrag der Stadtbibliothek verkaufen sollte und fand diesen in Gestalt des Wiener Antiquars V. A. Heck, der nun die schwierige Aufgabe hatte, Interessenten für die ausrangierten Posten zu finden – es handelte sich nach eigenen Schätzungen um rund 1.000 Autographen. Dazu zählten beachtliche Brief- und Manuskriptkonvolute von Adalbert von Chamisso, Annette von Droste-Hülshoff, Theodor Fontane, Paul Heyse, Wilhelm Jensen, Detlev von Liliencron, Hugo Salus, Hermann Sudermann u.v.a.m. Ein großes Konvolut des aus Zürich stammenden Schriftstellers Conrad Ferdinand Meyer, mit mehreren Manuskripten und mehr als 30 Korrespondenzstücken, vermittelte Heck bereits nach kurzer Zeit für 2.500 Schilling (nach heutigem Wert etwa 11.500 €) an die Zentralbibliothek Zürich. So war die Erwerbung des Bestands von Karl Emil Franzos zumindest in diesem Falle auch die Geschichte eines Verlusts. Doch erwiesen sich die Erwartungen der städtischen Bibliothekare angesichts der stattlichen Liste von Urhebern, deren Autographe von Heck verkauft oder gegen eine Zahlung von 5.000 Schilling von ihm selbst übernommen werden sollten, als überzogen. Denn weder gab man Heck genügend Zeit für die Suche nach Abnehmern noch ließ er sich zwingen, Handschriften, für die auch er sich nicht interessierte, in sein Portfolio zu übernehmen – weshalb die meisten jener von der Wiener Stadtbibliothek als randständig erachteten Autographen zum Glück noch immer zu den Beständen der heutigen Wienbibliothek im Rathaus gehören.
Inhalte
Der Nachlass von Karl Emil Franzos umfasst rund 7.900 Inventarnummern. Dazu zählen mehr als 1.300 zur Gruppe Werke, wovon knapp 300 von Franzos selbst stammen, darunter die Manuskripte zu seinen Büchern "Junge Liebe", "Der Präsident", "Mann & Weib" oder "Der Pojaz" sowie eine Unzahl von Roman- und Novellenfragmenten aus seiner Feder. Die Liste zu den Manuskripten Dritter führt Hermann Lingg mit 68 Treffern an, von Wilhelm Jensen erhält man 23. Marie von Ebner-Eschenbach ist mit einem Dutzend Manuskripten vertreten. So prominente Autoren wie Ludwig Fulda, Friedrich Theodor Vischer oder Hugo Salus jeweils mit elf. Von den 6.600 Korrespondenzstücken sind 6.135 von und an Franzos selbst, 183 von und an Ottilie Franzos, 133 stammen von Paul Heyse, 71 von Ludwig Fulda, 42 von Stefan Zweig, 35 von Eduard von Bauernfeld usw. Insgesamt kann man sich nur der zeitgenössischen Einschätzung der Mitarbeiter der Stadtbibliothek anschließen, die lakonisch feststellten, dass unter den Briefen "kaum ein Name nicht vertreten ist, der in der Literatur der Jahre 1870–1900 bekannt geworden" sei.
Nach dem Tod von Ottilie Franzos am 5. März 1932 wurde die Rentenauszahlung mit Datum vom 1. April 1932 eingestellt. Umgerechnet auf die Kaufkraft von 2023 hat sie für den Nachlass ihres Mannes knapp 50.000 Euro erhalten (ausgegangen wird von zwölf Zahlungen jährlich).
Quellen
Literatur
- Karl Emil Franzos (1848–1904). Der Dichter Galiziens. Zum 150. Geburtstag. Hg. von Herwig Würtz. Gestaltung und Text: Hermann Böhm. Mit einem Beitrag von Kerstin Paulik: Der Briefwechsel zwischen Karl Emil Franzos und Marie von Ebner-Eschenbach 1886–1888. Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek 1998