Die Herausbildung des Schneiderhandwerks im 12. Jahrhundert steht im Zusammenhang mit dem Aufkommen differenzierterer Formen von Kleidung im Hochmittelalter. Schon relativ früh sind in Wien Organisationsformen des Schneidergewerbes nachweisbar und mit der Ordnung Herzog Albrechts II. aus dem Jahr 1340 erhielt die Zeche der Schneider eine der ältesten erhaltenen ausführlichen Zechordnungen Wiens. In diesem Statut wird neben verschiedenen wirtschaftlichen Regelungen zum Handwerksbetrieb auch bereits das religiös-gesellige Leben innerhalb der Zeche genauer bestimmt. Beispielsweise wird festgelegt, wie sich die Zechmitglieder beim Ableben eines anderen Mitglieds zu verhalten haben, und dass sie beim Begräbnis des Verstorbenen anwesend sein sollen. Bei Abwesenheit von den Trauerfeierlichkeiten ist eine Strafe zu zahlen. Außerdem werden die Rolle der Zechmeister beschrieben und die Feiertage, an denen nicht gearbeitet werden darf, festgelegt. Wenn ein Geselle seinen Meister außerhalb dieser Zeiten verlasse, dürfe er von keinem anderen Meister aufgenommen werden.
Auch im 1430 zusammengestellten Wiener Handwerksordnungsbuch sind bis in die 1360er Jahre zurückreichend zahlreiche Handwerksordnungen der Schneider überliefert. Diese Texte regeln etwa schon früh (1368, siehe Abbildung) die Aufnahmekriterien für neue Schneidermeister in Wien. Für Wiener Verhältnisse ebenfalls schon früh belegt ist ein eigener Verband der Schneidergesellen. Bereits im Jahr 1419 traten Vertreter der Schneidergesellen vor den Rat, um auf eine Beschwerde der Schneidermeister in Bezug auf unerlaubtes Fernbleiben von der Arbeit zu antworten – ein gewisser Organisationsgrad der Schneidergesellen wird also hier schon greifbar. [1] Im Jahr 1442 erhielt der Verband der Schneidergesellen, die „Gesellenzeche“, eine ausführliche Ordnung. [2] In dieser finden sich zahlreiche Regelungen zur Organisation der Gesellenzeche (regelmäßige Einzahlungen in eine Kasse, vier Zechvorsteher, Darlehen für kranke Gesellen). Die Schneidergesellen schafften es also, neben der Meisterzeche einen weitgehend selbstständigen Verband aufzubauen, wenngleich vor allem in Hinblick auf finanzielle Belange die Kontrolle der Handwerksmeister nicht ausblieb. Die nicht unerhebliche Bedeutung der Gesellen ergibt sich vor allem aus der generellen Arbeitsweise der Schneider: Üblicherweise schickten die Schneidermeister ihre Gesellen auf Verlangen in die Häuser des Auftraggebers oder bekamen die Stoffe zur Bearbeitung direkt von den Kunden. Gerade die erste Variante war eine enorm personalintensive Arbeitsweise, weswegen die Meister genügend Hilfskräfte brauchten, um bei entsprechender Auftragslage agieren zu können. Die Zahl der benötigten Gesellen muss demnach relativ hoch gewesen sein.
Wiederholt sind Abgrenzungsversuche der Schneider von verwandten, ebenfalls in der Herstellung von Kleidung involvierten Gewerben zu beobachten. Schon im Mittelalter gab es etwa immer wieder Streitigkeiten mit den Käufeln (Altkleiderhändler, die mitunter bestimmte Kleidungsstücke selbst herstellen durften). Konflikte sind aber auch in der Frühen Neuzeit zu beobachten: Beispielsweise wandten sich die Schneider im Jahr 1664 gegen die Gewandschneider, die keine bestellte Arbeit nach Maß, sondern spezifizierte Kleidersorten auf Lager herstellten (siehe Gewandkeller). Auch Abgrenzungsversuche zu den Pfaidlern (Hemdenmacher) sind nachweisbar, die 1698 mittels einer Bestimmung vorübergehend auf die Herstellung von Leinenerzeugnisse ohne Fütterung beschränkt wurden.
Wo sich das Zunfthaus ursprünglich befand, ist unklar. 1515 lag das Haus in der Kleeblattgasse Nummer 9, identisch mit Kurrentgasse Nummer 10. 1548 kaufte die Zunft das Haus Stadt 347.
Wappen der Kleidermacher
1904 hat der Heraldiker Hugo Gerard Ströhl Wappen der Genossenschaften vorgelegt, die zur künstlerischen Innenausstattung der Versorgungsheimkirche dienten. Das Wappen der Kleidermacher hat folgendes Aussehen:
In Schwarz eine geöffnete goldene Schere, überhöht von dem kleinen Wappen von Wien.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Innungen und Handelsgremien: Schneider
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Innungen und Handelsgremien: Kleidermacher
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Innungen und Handelsgremien, U: Urkunden: Gesamtserie aller Innungen (enthält Urkunden der Schneider- und Kleidermacherinnungen)
Literatur
- Jakob Dont: Das Wiener Versorgungsheim. Eine Gedenkschrift zur Eröffnung. Wien: Verlag der Gemeinde Wien 1904, Taf. IV (Kleidermacher)
- Jakob Dont [Hg.]: Der heraldische Schmuck der Kirche des Wiener Versorgungsheims. Mit dem Anhang: Beschreibung der Siegel der ehemaligen Wiener Vorstädte und Vorort-Gemeinden. Wien: Gerlach & Wiedling 1910, S. 25, Taf. IV (Kleidermacher)
- Markus Gneiß: Das Wiener Handwerksordnungsbuch (1364 bis 1555). Edition und Kommentar. Wien: Böhlau Verlag 2017 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 16) (FWF-E-Book-Library), S. 225-233 (frühe Ordnungen des Schneiderhandwerks)
- Jakob Ebner: Wörterbuch historischer Berufsbezeichnungen. Berlin / Boston: de Gruyter 2015, S. 659 f.
- Gerlinde Sanford: Wörterbuch von Berufsbezeichnungen aus dem siebzehnten Jahrhundert. Gesammelt aus den Wiener Totenprotokollen der Jahre 1648-1668 und einigen weiteren Quellen. Bern / Frankfurt am Main: Lang 1975 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur, 136), S. 118
- Ingeborg Petraschek-Heim: Die Meisterstückbücher des Schneiderhandwerks in Innsbruck. In: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 50 (1970), S. 159-218, bes. S. 159-164 (auch zu Wiener Ordnungen)
- Paul Harrer-Lucienfeld: Wien, seine Häuser, Geschichte und Kultur. Band 2, 2. Teil. Wien ²1952 (Manuskript im WStLA), S. 420