Koedukation
Der gemeinsame Unterricht von Mädchen und Burschen war im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schulwesen grundsätzlich nicht vorgesehen. In Winkelschulen mag er vereinzelt vorgekommen sein.
Mit der Allgemeinen Schulordnung (1774) erfuhr die Koedukation eine behördliche Genehmigung. Der Unterricht von Mädchen und Buben in einem Klassenzimmer, aber auf getrennten Bänken, war nun möglich. In der Praxis überwogen aber weiterhin reine Knaben- und Mädchenschulen. 1849 wurde sogar wieder eine Trennung von Knaben- und Mädchenschulen vorgeschrieben.
Mit dem Reichsvolksschulgesetz erlebte die Mädchenbildung im Grundschulwesen zwar einen großen Aufschwung, die überwiegende Mehrzahl der Schulen wurde aber weiterhin geschlechtsspezifisch geführt. Das Gesetz erlaubte zwar Koedukation im Unterricht, doch blieb diese in öffentlichen Volksschulen in Wien die Ausnahme von der Regel. In den obersten drei Klassen von achtklassigen Volksschulen und in Bürgerschulen war diese ohnehin nicht erlaubt. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs gab es in Wien unter den städtischen Volksschulen 133 für Mädchen, aber nur 34 für Knaben und Mädchen und nur 22 wurden koedukativ geführt. Unter den privaten Volksschulen überwogen Mädchenschulen deutlich (27 gegenüber 13 für Knaben und neun koedukativ geführte).[1] Eine eigene Koedukations-Volksschule wurde beispielsweise 1906 im Cottage-Lyzeum in der Gymnasiumstraße eingerichtet. Grundsätzlich wurden Mädchen nur vereinzelt und nur mit behördlicher Genehmigung zu Knabenschulen zugelassen. In den 1920er Jahren wurden lediglich rund zwölf Prozent der Volksschülerinnen und Volksschüler in Wien koedukativ unterrichtet und ihr Anteil stieg in den 1930er Jahren nur geringfügig.[2]
Ab den 1960er Jahren war Koedukation in den öffentlichen Schulen gelebte Praxis, seit 1976 der Regelfall von dem nur aus organisatorischen oder lehrplanmäßigen Gründen ausnahmsweise abgewichen werden darf.[3] Im Schuljahr 1965/66 entfielen von 204 Volksschulen nur noch 19 als Mädchen und 16 als Knabenschulen geführt. Im Bereich der Hauptschulen waren von 129 36 Mädchen- und 25 Knabenschulen.[4]
Literatur
- Ulrike Denk: Schulwesen und Universität. In: Karl Vocelka / Anita Traninger [Hg.]: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert). Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2003 (Wien. Geschichte einer Stadt, 2), S. 365-421
- Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater. Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015 (Geschichte der Stadt Wien 8), S. 585-780
- Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 3-5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1985-1986
- Jahrbuch der Stadt Wien 1965, Wien: Magistrat der Stadt Wien 1966
- Markus Juranek: Das österreichische Schulrecht. Einführung in die Praxis. Lehrbuch, 5. Auflage, Wien: Verlag Österreich 2021
- Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 16 (1913)
Einzelnachweise
- ↑ Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 16 (1913), S. 439, 476.
- ↑ Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 107 f.
- ↑ Markus Juranek: Das österreichische Schulrecht. Einführung in die Praxis. Lehrbuch, 5. Auflage, Wien: Verlag Österreich 2021, S. 45.
- ↑ Jahrbuch der Stadt Wien 1965, Wien: Magistrat der Stadt Wien 1966, II. S. 250.