Kurt Tucholsky
Kurt Tucholsky, * 9. Jänner 1890 Berlin, † 21. Dezember 1935 Hindås (Schweden), Schriftsteller, Publizist.
Biografie
Herkunft und Werdegang
Kurt Tucholsky kam als ältester Sohn des jüdischen Bankkaufmanns Alex Tucholsky (1855–1905) und seiner Ehefrau und Cousine Doris Tucholski (1861–1943) am 9. Jänner 1890 in Berlin-Moabit zur Welt. Er hatte noch zwei weitere Geschwister: den jüngeren Bruder Fritz und die Schwester Ellen. Die Familie war wohlhabend und lebte im gehobenen Bürgertum. Tucholsky verbrachte eine äußerlich behütete Kindheit. Jedoch war das Verhältnis zur Mutter stark belastet und nicht von besonderer Zuneigung geprägt, da die Kinder unter ihrer tyrannischen und unerbittlichen Art litten. Der von Tucholsky geliebte Vater hingegen war vielbeschäftigt und hatte auf das häusliche Leben nur wenig Einfluss. Als er 1905 aufgrund einer syphilitischen Erkrankung verstarb, war Tucholsky 15 Jahre alt.
Auch in der Schule kam es zu Problemen. 1899 im Französischen Gymnasium Berlin eingeschult, wechselte er 1903 auf das Königliche Wilhelms-Gymnasium, verließ die Schule allerdings 1907, um sich privat auf das Abitur vorzubereiten. Der früh entwickelte satirisch-kritische Blick Tucholskys hatte sich auf die Autorität der Lehrer fokussiert, die ihn zu Spott und Parodie reizte. Im Deutschunterricht bekam er schlechte Zensuren, da er sich nicht an thematische Vorgaben hielt. Schließlich blieb er sitzen, bestand aber das Externen-Abitur 1909. Gleich anschließend immatrikulierte sich Tucholsky an der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Das vom Vater ererbte Geld ermöglichte ein finanziell unbeschwertes Leben mit Reisen und mehrfachem Wechsel des Studienortes. Vielseitig interessiert besuchte er zudem Vorlesungen zu historischen, literarischen, medizinischen und ökonomischen Themen. Das Studium selbst vernachlässigte er. Stattdessen zog ihn das weltläufige, schrille Großstadtleben Berlins an, was seinen kritischen Blick für die gesellschaftlichen Verhältnisse schärfte.
Ab 1911 begann Tucholsky für die sozialdemokratische Zeitschrift Vorwärts Artikel zu schreiben. 1912 veröffentlichte er die Erzählung Rheinsberg, eine Liebesgeschichte. Sie basierte auf einem gemeinsam verbrachten Wochenende mit seiner damaligen Freundin und späteren ersten Ehefrau Else Weil, die er 1920 heiratete. Der leichte, verspielt-erotische Ton machte Tucholsky sofort bekannt und eröffnete ihm wichtige journalistische Kontakte. So bot ihm Siegfried Jacobsohn, der Herausgeber der Zeitschrift Die Schaubühne (später Die Weltbühne), die Mitarbeit an. Am 9. Januar 1913 erschien der erste Artikel Tucholskys in der Schaubühne und Jacobsohn wurde bis zu seinem Tod 1926 Tucholskys enger Freund und Mentor.
Für die neue journalistische Tätigkeit nutzte Tucholsky die Pseudonyme Paul Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel (1918 kam Kaspar Hauser dazu). Dieser Kunstgriff war notwendig geworden, da regelmäßig mehrere Texte aus seiner Feder in einer Ausgabe der Schaubühne erschienen und die alleinige Autorschaft auf diesem Wege verdeckt werden konnte. Des Weiteren ermöglichten die Pseudonyme die freie Variation von Stil, Ton und Form, je nach Situation und Anlass. Tucholsky behielt sie bis zum Ende seines publizistischen Wirkens bei.
Aufgrund der gestiegenen journalistischen Verpflichtungen entschied sich Tucholsky 1913 dafür, die erste juristische Staatsprüfung nicht abzulegen. Allerdings ersuchte er die Universität Jena um Zulassung zur Promotion, um auf diese Weise sein Studium abschließen zu können. Die von ihm eingereichte Dissertation zum Hypothekenrecht wurde zunächst abgelehnt, in der Folge aber – nach mehrfacher Überarbeitung – letztlich angenommen, sodass er am 12. Mai 1915 mit Aushändigung der Urkunde formalgültig zum Dr. jur. promoviert wurde.
Bereits im April 1915 war Tucholsky als Soldat im Ersten Weltkrieg eingezogen worden und an die Ostfront beordert worden. Mit dem Kriegsende 1918 kehrte er als überzeugter Pazifist und Antimilitarist nach Berlin zurück. Rückblickend resümierte er:
"Ich habe mich dreieinhalb Jahre im Kriege gedrückt, wo ich nur konnte. […] ich wandte viele Mittel an, um nicht erschossen zu werden und um nicht zu schießen – nicht einmal die schlimmsten Mittel. Aber ich hätte alle, ohne jede Ausnahme alle, angewandt, wenn man mich gezwungen hätte: keine Bestechung, keine andre strafbare Handlung hätt' ich verschmäht. Viele taten ebenso."
Kompromissloser Republikaner
Nach dem Krieg setzte Tucholsky seine journalistische Tätigkeit unter anderem für die mittlerweile in Weltbühne umbenannte Schaubühne fort. Die neu gegründete Demokratie in Deutschland verteidigte er vehement gegen ihre Feinde und stieg so zum bedeutendsten deutschen Publizisten der 1920er Jahre auf. Immer wieder griff er die seiner Meinung nach in vielen Bevölkerungsgruppen noch vorherrschende militaristisch-subalterne Grundhaltung auf das Schärfste an, wobei er die Nachkriegsgesellschaft folgendermaßen einteilte:
"Wir Deutsche zerfallen in drei Klassen: die Untertanen – die haben bisher geherrscht; die Geistigen – die haben sich bisher beherrschen lassen; die Indifferenten – die haben gar nichts getan und sind an allem Elend schuld."
Die Programmatik seiner Publizistik richtete sich daher im Kern darauf, diesen Zustand zu ändern und eine langfristig überlebensfähige Demokratie im europäischen Kontext zu etablieren. Politisch vereinnahmen ließ er sich dabei nicht. Tucholsky gehörte zeit seines Lebens keiner Partei an.
Jedoch zunehmend von den Entwicklungen in Deutschland enttäuscht, entschloss sich Tucholsky im Frühjahr 1924 als Korrespondent für die Weltbühne und die Vossische Zeitung nach Paris überzusiedeln. Im Februar 1924 hatte er sich von Else Weil scheiden lassen. Kurze Zeit danach heiratete er im August des gleichen Jahres die Deutschbaltin Mary Gerold, die er in seiner Zeit als Soldat in Lettland kennengelernt hatte und mit der brieflich in Kontakt gestanden hatte. Von nun an kehrte Tucholsky nur noch sporadisch nach Deutschland zurück, blieb aber ein scharfer Beobachter, der sich weiterhin in die gesellschaftlichen Debatten und Problematiken einmischte.
So warnte er früh vor der Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus und vor der Möglichkeit eines weiteren Weltkriegs innerhalb einer Generation. Die sich verschärfenden sozialen und weltanschaulichen Konflikte sah er sowohl in Deutschland als auch in Österreich mit großer Sorge. Als Ursache identifizierte er eine kapitalistisch-militaristische Grundausrichtung beider Gesellschaften, deren Eliten gewaltsam auf eine Unterdrückung sozialliberaler Impulse und eine Revision der Nachkriegsordnung hinarbeiteten. 1930 spitzte er diese Analyse in dem anklagenden Gedicht O DU MEIN ÖSTERREICH -! folgendermaßen zu:
"[…] Revolutionen erleben wir rings
von rechts – mit dem Vokabular von links.
Und so sind die faschistisch verkleideten Massen
Nachtportiers der besitzenden Klassen.
Arm soll verrecken – aber reich bleibt reich.
O du mein…
o du mein Österreich-!"
Gleichwohl kam es im Verlauf von Tucholskys Eintreten für die gefährdeten Nachkriegsdemokratien in Deutschland und Österreich zu keinem Zeitpunkt zu einem Schulterschluss mit Karl Kraus, der in Wien mit seiner Zeitschrift "Die Fackel" ähnliche gesellschaftliche Ziele verfolgte. Zwar schrieb Tucholsky zum 20-jährigen Bestehen der Fackel eine positive Würdigung in der Weltbühne, wie er auch wenig später Kraus als Vorleser lobte. Ein persönliches Verhältnis entwickelte sich jedoch nicht, weil Kraus moralische Vorbehalte gegenüber Tucholskys publizistischer Haltung hegte. Ein von Tucholsky vorgeschlagenes Treffen 1925 in Paris, anlässlich einer Vorlesungsreihe von Kraus, kam nicht zustande, da Tucholsky nicht erschien, wie Kraus in der Fackel berichtete. Anfang der 1930er Jahre distanzierte sich Kraus sodann explizit in der Fackel von Tucholsky, indem er ihm wiederholt vorhielt, gegen Ende des Weltkriegs ein Werbegedicht für eine Kriegsanleihe verfasst zu haben. Tucholsky wurde damit in ganz ähnlicher Weise von Kraus angegriffen wie zuvor schon der Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr, der im Krieg patriotische Verse gedichtet hatte. In beiden Fällen erblickte Kraus im Kern eine zum Pazifismus gewendete journalistisch versierte Haltungslosigkeit, die er in Bezug auf Tucholsky in der Formulierung "feuilletonistischer Mitarbeiter der bürgerlichen Presse" resümierte. Zudem war Kraus mit Nachdruck bemüht, zu verhindern, dass er oder seine Schriften öffentlich in einen Zusammenhang mit Tucholsky gestellt wurden. Einer persönlichen Annäherung beider Publizisten in ihrer letzten Werkphase war damit von vorneherein die Grundlage entzogen.
Nationalsozialismus und Tod
In seinen letzten Jahren resignierte Tucholsky immer mehr. Er erkannte, dass der Nationalsozialismus eine von Massen getragene Mentalität war, der seine kritische Publizistik letztlich nichts entgegensetzen konnte. Seine späten Texte antizipieren in Wortwahl und Metaphorik bereits das kommende Weltkriegsgrauen. Zwar versuchte er 1932 – er war in diesem Jahr auch Kurgast im Parksanatorium Hietzing – noch zusammen mit der Redaktion der Weltbühne eine Wiener Ausgabe, die Wiener Weltbühne, zu etablieren, um demokratisch-sozialistische Positionen besser bündeln und wirksamer gegen die starken nationalistischen Strömungen in beiden Ländern in Stellung bringen zu können. Dieses Vorhaben war jedoch nur von kurzer Dauer. Die im Redaktionsvertrag formulierte Strategie, die Weltbühne gegebenenfalls vollständig aus dem österreichischen Exil zu publizieren, kam nicht mehr zum Tragen. Die Wahl Hitlers zum deutschen Reichskanzler am 30. Januar 1933 machte diese Pläne zunichte. Am 13. März 1933 wurde die Weltbühne verboten, ihr Herausgeber Carl von Ossietzky war zuvor am 28. Februar verhaftet worden. Auch die Wiener Weltbühne unter Leitung des Journalisten Willi Siegmund Schlamm wurde eingestellt. Die Redaktion musste nach Prag und später nach Paris ausweichen, wo sie bis zum endgültigen Verbot 1939 die Exilzeitschrift Die Neue Weltbühne herausgab.
Tucholsky war damit faktisch seiner wesentlichen Publikationsmöglichkeit beraubt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er ausgebürgert und seine Bücher wurden verbrannt. Die Sanktionsmaßnahmen trafen ihn allerdings nur indirekt, da er sich 1933 im schwedischen Exil aufhielt. Bereits 1929 hatte er aufgrund der immer schwieriger werdenden Publikationsbedingungen in Deutschland seinen dauerhaften Wohnsitz nach Hindås bei Göteborg verlegt. Ohne Arbeitserlaubnis im Exil und finanziell von Freundinnen abhängig verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Hinzu kam die Scheidung von seiner zweiten Ehefrau Mary Gerold 1933. Wie seine persönlichen Aufzeichnungen belegen, verstummte Kurt Tucholsky letztlich desillusioniert. Seit längerem von Schlafmitteln abhängig verstarb er am 21. Dezember 1935 an einer Überdosis Tabletten. Die Frage eines Suizids ist bis heute ungeklärt.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, BPD Wien: Historische Meldeunterlagen, K11: Meldezettel: Kurt Tucholsky
- ZVAB: Die Wiener Weltbühne [Stand: 19.06.2024]
- Austrian Academy Corpus: Die Fackel
Literatur
- BR 2, Radiowissen: Kurt Tucholsky, 23.05.2019 [Stand: 16.06.2024]
- Florian Wenninger: Genosse ex negativo? Hypothesen zum Verhältnis von Karl Kraus und der österreichischen Sozialdemokratie. In: Geist versus Zeitgeist: Karl Kraus in der Ersten Republik. Hg. von Katharina Prager. Wien: Metroverlag 2018, S. 60-79
- Niels Beintker: Moralischer Anwalt der Weimarer Republik. In: Deutschlandfunk, 07.05.2012 [Stand: 16.06.2024]
- Jochen Barte: Panther, Tiger und Co.. Werdegang und publizistisches Wirken des Juristen Kurt Tucholsky. In: justament online, 02.01.2012 [Stand: 16.06.2024]
- Edward Timms: Karl Kraus. Apocalyptic Satirist. The Post-War Crisis and the Rise of the Swastika. New Haven and London 2005
- Reinhard Stumm: Beißende Satire gegen die junge Weimarer Republik. In: Deutschlandfunk, 16.08.2004 [Stand: 30.06.2024]
- Edward Timms: Karl Kraus. Satiriker der Apokalypse. Leben und Werk 1874 bis 1918, Frankfurt a.M. 1999
- Michael Hepp: Kurt Tucholsky. Biografische Annäherungen. Berlin: Rowohlt 1999
- Gerd Zwerenz: Kurt Tucholsky. Biografie eines guten Deutschen. München: Bertelsmann 1979
- Mary Gerold-Tucholsky/Fritz J. Raddatz. [Hg.]: Kurt Tucholsky. Gesammelte Werke 1919-1920, Bd. 2. Reinbek: Rowohlt 1975
- Mary Gerold-Tucholsky/Fritz J. Raddatz. [Hg.]: Kurt Tucholsky. Gesammelte Werke 1930, Bd. 8. Reinbek: Rowohlt 1975
- Mary Gerold-Tucholsky/Fritz J. Raddatz. [Hg.]: Kurt Tucholsky. Gesammelte Werke 1932, Bd. 10. Reinbek: Rowohlt 1975
- Wikipedia: Kurt Tucholsky [Stand: 19.06.2024]
- Wikipedia: Die Weltbühne [Stand: 19.06.2024]
- Lexikon zum Literatur- und Kulturbetrieb im Österreich der Zwischenkriegszeit: Schlamm, Willi[Stand: 19.06.2024]
- NDR: Nach Nazi-Verbot: Die letzte Ausgabe der "Weltbühne" [Stand: 19.06.2024]
Kurt Tucholsky im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.