Lorenz Böhler
Lorenz Böhler, * 15. Jänner 1885 Wolfurt, Vorarlberg, † 20. Jänner 1973 Wien 20, Donaueschingengasse 13 (Lorenz-Böhler-Krankenhaus), Unfallchirurg. Nach Studium der Medizin in Wien (Dr. med. univ. 1911) unternahm Böhler Reisen nach Süd- und Nordamerika, wo er sich weiter ausbildete (1911-1912 Schiffsarzt auf der Linie Triest-Buenos Aires, 1912 Krankenhaus Bozen, 1914 Mayo-Klinik in Rochester, USA). 1916 kam er als Chirurg in das Kriegsspital in Bozen, das er zu einer Spezialanstalt für Knochenbrüche und Gelenkschüsse ausbaute. Die 1916 erdachte Methode der fachgemäßen Ruhestellung von Knochenbrüchen und die Verwendung eines Marknagels zur Heilung gebrochener Knochen (für die Nägel wird der sogenannten Chromnickel-Molybdän-Stahl der Edelstahlwerke Gebrüder Böhler & Co. AG verwendet) sicherten ihm weltweite Anerkennung.
Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Böhler an der Chirurgischen Klinik Hochenegg und an der Orthopädischen Universitätsklinik von Adolf Lorenz in Wien, anschließend war er als Chirurg in Gries bei Bozen tätig, danach wurde er Leiter des Krankenhauses in Brixen. Seine Zielsetzung, den Verwundeten bzw. Verletzten Amputationen und Verkrüppelungen zu ersparen, weckten frühzeitig das Interesse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien (AUVA). Am 1. August 1925 übernahm Böhler als Primarius und Direktor die Leitung des nach seinen Plänen errichteten ersten Unfallkrankenhauses in 20, Webergasse (Lorenz-Böhler-Krankenhaus), das er zu einer Mustereinrichtung ausbaute und das vielen europäischen und amerikanischen Instituten zum Vorbild diente (Leitung bis 1963). Bereits 1930 hatte er sich an der Wiener Universität habilitiert (ao. Prof. 1936, o. Prof. für Unfallchirurgie 1954). Neben seiner ärztlichen Tätigkeit veröffentlichte Böhler insgesamt 450 wissenschaftliche Werke und Abhandlungen, von denen sein dreibändiges Hauptwerk „Technik der Knochenbruchbehandlung" in 13 deutschen Auflagen erschien (1929) und in alle Weltsprachen übersetzt wurde.
Prinz-Eugen-Medaille (1945), Ehrenring der Stadt Wien und Ehrenmitglied des American College of Surgeons (1965); Begründer („Vater") der modernen Unfallchirurgie. Seit 1980 vergeben die Vorarlberger Landesregierung, die Gesellschaft der Ärzte sowie die Vorarlberger Ärztekammer den Durig-Böhler-Preis, benannt nach Arnold Durig und Lorenz Böhler.
Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe war Lorenz Böhler ab 1938 Mitglied der NSDAP (ob noch vor dem "Anschluss“ ist strittig, da es dazu unterschiedliche Datumsangaben in den Akten gibt), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und des Reichsluftschutzbundes und ab 1940 Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes. Auf seinem Dienstzettel findet sich der Hinweis einer SS-Fördermitgliedschaft ab 1939. Böhler protestierte 1939 mit anderen 12 Universitätsangehörigen der Medizinischen Fakultät in einem Schreiben gegen die Verlegung der American Medical Association (A. M. A.) von Wien nach London, in dem die Vorwürfe einer rassistisch motivierten Universitätspolitik zurückgewiesen wurden. Während des Krieges war Böhler u. a. beratender Chirurg der Wehrmacht, Oberfeldarzt im Rudolfspital (Reservelazarette IXa) sowie Oberfeldführer (Landesstelle XVII im Dekanat der Medizinischen Fakultät), wobei er auf Grund seiner Tätigkeiten mehrfach geehrt wurde (1941 "Eisernes Kreuz II. Klasse", 1942 "Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse mit Schwertern", 1945 "Prinz-Eugen-Medaille"). Nach Kriegsende wurde Böhler bis 1946 als "Illegaler" geführt und erhielt im Zuge dessen bis 1947 Lehrverbot an der Universität Wien. Nach Fürsprache Karl Renners wurde er amnestiert.
Wenngleich laut Kommission Böhlers Naheverhältnis zum Nationalsozialismus wohl weniger politisch-ideologisch als karrieretechnisch motiviert gewesen zu sein scheint, seien jedoch zur umfassenden Beurteilung seiner Person noch weitere Forschungen nötig.
Lorenz-Böhler-Gasse, Lorenz-Böhler-Krankenhaus. Briefmarke (8. Jänner 1985)
Quellen
- Meldezettel von Lorenz Böhler (WStLA, BPD Wien: Historische Meldeunterlagen, K11)
- WStLA, Gauakten, A1: 158.632
- WStLA, Gauakten, A1: 242.423
Literatur
- Österreichische Akademie der Wissenschaften: Almanach. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 123 (1973), S. 312 ff.
- Neue österreichische Biographie. 1815 – 1918. Band 19. Wien [u.a.]: Amalthea-Verlag 1977
- Robert Teichl: Österreicher der Gegenwart. Lexikon schöpferischer und schaffender Zeitgenossen. Wien: Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei 1951
- Tausend Jahre Österreich. Eine biographische Chronik. Hg. von Walter Pollak. Band 3: Der Parlamentarismus und die beiden Republiken. Wien/München: Jugend & Volk 1974, S. 472 ff.
- Lorenz Böhler. Ein Leben für die Unfallchirurgie. In: Carinthia. Zeitschrift für geschichtliche Landeskunde von Kärnten 155 (1965), S. 32 ff.
- Friedrich Lorenz: Lorenz Böhler, der Vater der Unfallchirurgie. Eine Festgabe des Verlages Wilhelm Maudrich zum 70. Geburtstag. Wien: Maudrich 1955
- Otto Wruhs: Lorenz Böhler und seine Verdienste um das Militärsanitätswesen. In: Wiener klinische Wochenschrift 77 (1965), S. 37 ff.
- Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken (1985)
- Rathaus-Korrespondenz. Wien: Presse- und Informationsdienst, 14.01.1955
- Wiener Zeitung, 15.01.1955, S. 3
- Die Presse, 05.02.1973, S. 4
- Amtsblatt der Stadt Wien. Wien: Stadt Wien - Presse- und Informationsdienst, 22.01.1955
- Daniela Angetter: Lorenz Böhler: erstens die Knochen, zweitens die Knochen, drittens die Knochen. URL: http://www.oeaw.ac.at/inz/forschungen-projekte/oesterreichisches-biographisches-lexikon/biographien-des-monats/jaenner-2015/ [Stand: 25.06.2015]
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 48–51
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013