Olga Misař
Olga Misař, * 11. Dezember 1876 Wien, † 8. Oktober 1950 Enfield (Großbritannien), Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin, Journalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin.
Biografie
Als Olga Popper in eine jüdische Familie geboren – die Mutter war Hausfrau, der Vater im Textilgewerbe tätig – verbrachte sie ihre Jugend in England, wodurch sie zweisprachig aufwuchs. Ab 1899 war sie mit Wladimir (auch: Vladimir) Misař (1872–1963) verheiratet, einem Lehrer für Mathematik und Physik der zudem Sekretär der Großloge in Wien war. Die Zwillingstöchter Olga (1900–1952) und Vera wurden 1900 geboren.
Ab 1908 trat sie als Rednerin und Referentin im Rahmen von Aktivitäten der bürgerlichen Frauenbewegung öffentlich in Erscheinung. Ab 1910 war sie im Vorstand des Frauenvereins "Diskutierklub" tätig. Von 1911 bis 1912 fungierte sie als verantwortliche Redakteurin für die "Mitteilungen des Österreichischen Bundes für Mutterschutz". Sie engagierte sich im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein und setzte sich für das Frauenstimmrecht ein. Im April 1915 nahm sie am ersten Internationalen Frauenkongress in Den Haag teil. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann ihr Engagement in der Friedensbewegung.
Im Februar 1919 kandidierte sie bei den ersten Nationalratswahlen der Republik für die "Demokratische Mittelstandspartei" von Ernst Viktor Zenker, konnte allerdings kein Mandat erlangen. Im selben Jahr erschien ihr Hauptwerk, die sexualethische Schrift "Neuen Liebesidealen entgegen", die mehrere Auflagen erfahren sollte. Daneben veröffentlichte sie regelmäßig Texte in verschiedenen Publikationsmedien wie etwa der von Pierre Ramus (Pseudonym für Rudolf Großmann) herausgegebenen Zeitschrift "Erkenntnis und Befreiung", der internationalen Frauen- und Friedenbewegungspresse sowie in österreichischen Zeitungen. Als Übersetzerin übertrug sie John W. Grahams "Friedenshelden im Weltkrieg" (Berlin: Quäker-Verlag 1926) ins Deutsche.
Engagement in der Friedensbewegung
Ab 1921 gehörte sie dem Vorstand des österreichischen Zweigs der "Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit" (IFFF) an und arbeitete dort unter anderen mit Else Beer-Angerer, Leopoldine Kulka, Yella Hertzka und Rosa Mayreder zusammen. Parallel dazu war Olga Misař auch in der Dachorganisation der IFFF, der "Women’s League for Peace and Freedom" aktiv. Dem 1921 gegründeten "Bund für Kriegsdienstgegner" stand sie mehrere Jahre als Präsidentin vor. Auf internationaler Ebene wirkte sie als Mitglied im "International Council of the War Resisters" (WRI) und organisierte die zweite "Internationale Konferenz der Kriegsdienstgegner", die im Juli 1928 im niederösterreichischen Sonntagberg abgehalten wurde. Bei zahlreichen weiteren Friedens- bzw. Antikriegskundgebungen trat sie als Organisatorin und Rednerin auf.
"Ständestaat" und NS-Regime
Nachdem im April 1936 der "Bund der Kriegsdienstgegner" durch das Schuschnigg-Regime aufgelöst worden war, konnte Olga Misař ihre Arbeit in Österreich nicht mehr fortsetzen. Weiterhin pflegte sie jedoch ihre internationalen Netzwerke. Im März 1938 kam es beim Ehepaars Misař zu einer Hausdurchsuchung, bei der auch zahlreiche Bücher beschlagnahmt wurden. Daraufhin flüchteten Olga und Wladimir Misař im April 1939 nach Enfield, in die Nähe von London, wo sie bei ihrer Tochter Olga und deren Ehemann Ernst Schwarz unterkamen. Diese hatten Österreich bereits im Herbst 1938 verlassen.
Exil in England
Im Exil war es für das Ehepaar im fortgeschrittenen Alter schwer, beruflich Fuß zu fassen. Mit Gelegenheitsarbeiten, Übersetzungen und Nachhilfestunden versuchten die beiden ein Einkommen zu lukrieren, blieben aber dennoch stark von der Unterstützung durch Tochter und Schwiegersohn abhängig. Nur selten ergaben sich Publikationsmöglichkeiten. Von 1942 bis 1948 lebten sie im nordenglischen Huddersfield, wo Wladimir Misař Arbeit in einem Büro in einer Textilfabrik gefunden hatte. Danach zogen sie zurück zu ihrer Tochter nach Enfield. Dort verstarb Olga Misař 1950, nur zwei Jahre später Tochter Olga Schwarz. Nach dem Tod von Ehefrau und Tochter kehrte Wladimir Misař nach Wien zurück.
Im Exil versuchten Olga und Wladimir Misař ihre Netzwerke aufrechtzuerhalten. Vor Ort trafen sie regelmäßig mit anderen Exilantinnen und Exilanten wie etwa Yella Hertzka oder Helene Stöcker zusammen. Olga Misař engagierte sich in der englischen Women's International League for Peace and Freedom (WILPF) sowie der Flüchtlingshilfe. Zahlreiche Korrespondenzen zwischen dem Ehepaar Misař und Freunden wie Wilhelm Börner oder Felix Braun befinden sich in den Beständen der Wienbibliothek im Rathaus.
Werke
- Olga Misař: Neuen Liebesidealen entgegen. Wien: Anzengruber-Verlag 1919
- John W. Graham: Friedenshelden im Weltkrieg. Die Geschichte des Kampfes gegen die allgemeine Wehrpflicht in England von 1916–1919. Übersetzt von Olga Misař. Berlin: Quäker-Verlag 1926.
Quellen
Literatur
- Brigitte Rath: Gemeinsam getrennt. Die Familie Misař im englischen Exil. In: Das Exil von Frauen. Historische Perspektive und Gegenwart. Hg. von Ilse Korotin und Ursula Stern. Wien: Praesens Verlag 2020, S. 268–299
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 2. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2016, S. 2266 f.
- Beatrix Müller-Kampel [Hg.]: "Krieg ist der Mord auf Kommando". Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte. Bertha von Suttner und Pierre Ramus. Mit Dokumenten von Lev Tolstoj, Petr Kropotkin, Stefan Zweig, Romain Rolland, Erich Mühsam, Alfred H. Fried. Olga Misař u.a. Nettersheim: Verlag Graswurzelrevolution 2005
- Frauen in Bewegung: Olga Misař [Stand: 09.03.2022]
- Österreichisches Biographisches Lexikon ab 1815 (2. Überarbeitete Auflage) [Stand: 09.03.2022]
Olga Misař im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.