Rohrpost
Rohrpost (Pneumatische Post). 1799 entwickelte Matthias Zagizek einen Plan, "mittels einem Rohr einen geschwinden Briefwechsel herzustellen", und unterbreitete diesen Franz II. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte Josef Ressel einen ähnlichen Vorschlag, doch ebenfalls erfolglos. Erst 1874 (als in London ab 1853, in Berlin ab 1865 und in Paris ab 1867 bereits "pneumatische Postbeförderungsanlagen" bestanden), wurde die Errichtung einer Stadtrohrpostanlage beschlossen. Für die Ausführung zeichneten die Ingenieure Franz Felbinger und Auguste oder Arthur Crespin verantwortlich. Der Beförderungsbetrieb für Telegramme wurde am 15. Februar, jener für Briefe und Karten am 1. März 1875 aufgenommen. Die Rohrnetzlänge betrug im Eröffnungsjahr 14.011 Meter und war auf die Innere Stadt und die Vorstadtbezirke beschränkt. Die aus Stahl gefertigten Rohre mit einem Innendurchmesser von 65 Millimeter wurden in circa ein Meter Tiefe unter dem Boden verlegt. Die Beförderung in den Rohren erfolgte mit zylinderförmigen, zunächst aus Stahl, später aus Aluminium gefertigten Kapseln, indem entweder vor der Kapsel Unter- oder hinter ihr Überdruck erzeugt wurde. Da der Fassungsraum der Kapsel beschränkt war, konnten nur kleine, dünne und vor allem leichte Briefe, Telegramme und Karten – gerollt oder gefaltet – befördert werden. An den Rohrpoststationen waren für pneumatische Nachrichten amtliche Vordrucke bzw. vorfrankierte Rohrpostkuverts käuflich zu erwerben.
1875 standen zehn Stationen in Betrieb: die Telegraphenzentralstation (1, Börseplatz 1), die pneumatische Station Laurenzergebäude (1, Fleischmarkt 19), die Postämter Leopoldstadt (2, Taborstraße 27) und Landstraße (3, Landstraßer Hauptstraße 65), das Telegrafenamt 1, Kärntner Ring 3, das Postamt Wieden (4, Neumanngasse 3), die pneumatische Station Gumpendorf (Magdalenengasse 67), die Postämter Neubau (7, Siebensterngasse 13) und Josefstadt (8, Maria-Treu-Gasse 4) sowie die pneumatische Station in der provisorischen Effektenbörse am Schottenring (1, Schottenring 16). Ab 1879 wurde das bestehende Netz erweitert, 1883 wurden auch das Rathaus und das Parlament an das Rohrpostnetz angeschlossen. Die größte Reichweite erlangte das Wiener Rohrpostnetz 1913 mit einer Netzlänge von 88,5 Kilometern und dem Betrieb von 53 Rohrpoststationen. Mehr als 5 Millionen Telegramme dazu noch Briefe und Postkarten wurden in diesem Jahr befördert.
Für die Rohrpost gab es eigene, rot gestrichene Postkästen (zum Unterschied von den gelben rot gestrichen), die alle 20 Minuten entleert wurden. Die Beförderung unterlag einem besonderen Tarif (1875: 20 Kreuzer) und die Zustellung erfolgte durch Telegrafenboten sofort. Die Wiener Rohrpost wurde am 2. April 1956 wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt, erlebte aber später als innerbetriebliches Beförderungsmittel eine Wiedergeburt (Spitäler, Großbetriebe, Werkstätten).
Quellen
Literatur
- Florian Bettel: Rohrpost: Zur Kulturgeschichte einer bürokratischen Technik. In: Schriften zur Verkehrswissenschaft 44 (2020), S. 117–137
- Ingmar Arnold: Luftzüge. Die Geschichte der Rohrpost. Berlin: Edition Berliner Unterwelten im Ch. Links Verlag 2016
- Podcast: Stimmen der Kulturwissenschaften, Folge 76: Florian Bettel über Rohrpost und Pneumatik, 18.08.2014 [Stand: 15.01.2021]
- Florian Bettel: Eroberung des Untergrunds. Das Projekt der pneumatischen Leichenbeförderung zum Wiener Zentralfriedhof von 1874. Diss. Universität für angewandte Kunst in Wien. Wien 2010
- Ingmar Arnold: Zur Geschichte der Rohrpost. In: Unterirdische Perspektiven. Die historische Nutzung verborgener Räume und ihre Möglichkeiten für die Zukunft. Hg. von Alexander Glück. Innsbruck/Wien/Bozen: StudienVerlag 2007, S. 101–121
- Christine Kainz: Österreichs Post. Vom Botenposten zum Postboten. Wien: Verlag Christian Brandstätter 1995, S. 112–117
- Christine Klusacek: Wiens unterirdisches Postsystem. In: Rendezvous Wien. Vierteljahreszeitschrift für Freunde Wiens in aller Welt, 22.06.1989, S. 16