Sammelwohnungen
Am 10. Mai 1939 wurde die Kündigung jüdischer Mieter und Mieterinnen durch "arische" Vermieter mit der Verordnung zur Einführung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden in der Ostmark gesetzlich. Bis dahin, zwischen März 1938 und Mai 1939, also innerhalb von 14 Monaten, waren in Wien bereits rund 44.000 Wohnungen "arisiert" worden. Es war aber auch nach Einführung der Verordnung kein Vermieter gezwungen, den jüdischen Mietern und Mieterinnen zu kündigen. Zugleich wurden jüdische Mieterinnen und Mieter verpflichtete, delogierte Jüdinnen und Juden aufzunehmen. Ziel des Mietgesetzes war eine Segregation der jüdischen von der "arischen" Bevölkerung. Schließlich setzte ein Reichsgesetz am 11. September 1940 den Mieterschutz für Jüdinnen und Juden völlig außer Kraft. Das städtische Wohnungsamt forderte Hausbesitzer und Hausverwaltungen neuerlich schriftlich auf, jüdischen Mieterinnen und Mietern zu kündigen.
Nach der "Arisierung" ihrer Wohnung wurden Juden und Jüdinnen - so ihnen nicht die Flucht oder Ausreise gelang - Wohnungen zugewiesen. Sie mussten oft mehrere Male die Unterkunft wechseln und fanden schließlich eine Bleibe in Sammelwohnungen, in denen auf engstem Raum mehrere Familien zusammenlebten. Die aus der Zusammendrängung resultierenden Probleme mangelnder Hygiene und Versorgung dienten Gauleiter Baldur von Schirach als Argumente, um die Abschiebung von Jüdinnen und Juden in das "Generalgouvernement" zu fordern. Hitler stimmte Anfang Dezember 1940 zu, sodass die ersten großen Deportationen im Februar und März 1941 durchgeführt wurden.
Im März 1941 organisierte die Zentralstelle für jüdische Auswanderung eine neue große Umsiedlung von Jüdinnen und Juden in Wien. Zweck war nicht mehr die Beschaffung von Wohnraum für die "arische" Bevölkerung, sondern die Konzentration der Jüdinnen und Juden für die künftigen Deportationen. Aus allen Teilen der Stadt wurden sie in den 2., 9. und 20. Bezirk in Sammelwohnungen umgesiedelt. Als die "Zentralstelle" die Deportationen im Herbst 1941 fortsetzte, trieb die SS die Jüdinnen und Juden aus den Wohnungen in Sammellager, von wo aus die Transporte zum Aspangbahnhof erfolgten. Zwischen März 1938 und Oktober 1942 wurden in Wien zwischen 63.000 und 70.000 Wohnungen ihren jüdischen Mieterinnen und Mietern sowie Eigentümerinnen und Eigentümern genommen.
Literatur
- Dieter J. Hecht / Eleonore Lappin-Eppel / Michaela Raggam Blesch: Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien. Wien 2015, S. 395-400