Sesselträger
Tragsessel (zum Personentransport innerhalb der Stadt) waren überdachte, mit Türen und Fenstern geschlossene sowie mit Tragstangen versehene Sessel zur Beförderung von Einzelpersonen, die von zwei Trägern getragen wurden; ihre einheitliche Kleidung (rote Röcke) machte sie zu charakteristischen Figuren im Straßenleben, doch wurde auch ihre Grobheit zu einem "Markenzeichen". Die Tragsessel hatten ein beachtliches Gewicht; ein in der Wagenburg des Kunsthistorischen Museums verwahrter Tragsessel des Hofs (der bis um 1840 in Verwendung stand) ist 184 Zentimeter hoch, 98 Zentimeter lang und 80 Zentimeter breit und wiegt (ohne Holmen und Person) rund 90 Kilogramm. Ein Tragsessel der Wiener Sesselträgerinnung (um 1820; Besitz des Historischen Museums der Stadt Wien) ist kleiner (153 Zentimeter hoch, 75 Zentimeter lang, 73 Zentimeter breit; Gesamtlänge mit Tragstangen 249 Zentimeter). Die Einrichtung von Tragsesseln ist in Wien (entgegen der bisherigen weitverbreiteten Meinung) bereits 1677 nachweisbar; sie hatten Vorbilder in anderen europäischen Städten (beispielsweise Paris [bereits 1619], später auch Brüssel, Hamburg, Mailand und Turin). 1689 erhielt Michael de la Place, ein Kammerdiener Graf Kaunitz', ein kaiserliches Privileg zur Vermietung von Tragsesseln. Da ihm die erforderlichen Geldmittel zum Aufbau einer Organisation fehlten, konnte er seinen "Portechaises" nicht zum Durchbruch verhelfen. Erfolg hatte erst Heinrich Ernst Rauchmüller von Ehrenstein (Hatschierenhaus), ein Kammerdiener Leopolds I., der am 20. Juni 1703 (bei gleichzeitiger Erlassung einer Tragsesselordnung) von diesem nach Rücksprache mit dem Magistrat und der niederösterreichischen Landesregierung das Privileg erhielt, Tragsessel zu vermieten, allerdings unter der Bedingung, in den ersten vier Jahren für jeden Tragsessel monatlich einen Gulden an das Großarmenhaus zu entrichten. Am 10. September 1703 veröffentlichte die niederösterreichische Landesregierung Beförderungsrichtlinien (Taxe für die Beförderung innerhalb der Stadt 14 Kreuzer, Höchsttaxe bei Tagesmiete ein Gulden 30 Kreuzer; Beförderungsverbot unter anderem für Ausländer, Kranke, Juden und Lakaien [ausgenommen Pagen]). Auf den Stichen von Delsenbach und Pfeffel-Kleiner (erstes Drittel des 18. Jahrhunderts) sind nicht nur vielfach Sesselträger abgebildet, sondern auch deren "Standplätze" (beispielsweise bei der Michaelerkirche). Der Standplatz der Landstraßer Sesselträger befand sich beim Haus Ungargasse 5, jener der Erdberger bei der Kundmanngasse. Eines der Stammlokale der Sesselträger war der Scheckelkeller Am Hof. Nach dem Tod Rauchmüllers erhielt der k. k. Kabinettssekretär Baron J. Karl von Pichler 1739 ein monopolartiges Privileg für die Ausübung dieses Gewerbes, das jedoch 1781 aufgehoben wurde. Am 20. August 1781 wurde eine neue Sesselträgerordnung verlautbart, derzufolge es ab 1. Februar 1782 jedermann erlaubt sein sollte, Tragsessel zu vermieten; er musste dies jedoch der Regierung anzeigen und hatte für jeden Sessel monatlich einen Gulden an das Großarmenhaus abzuführen oder sich nach Anzahl der Sessel mit diesem auf eine Pauschale zu einigen. Die Preisgestaltung blieb dem Eigentümer überlassen. Der Tarif, der sich inzwischen auf 17 Kreuzer erhöht hatte, war 1781 freigegeben worden, was alsbald zu Unzukömmlichkeiten und Kritik des Publikums führte; ein Preis zwischen ein und drei Gulden für einen Gang innerhalb der Stadt, wie er 1822 gefordert wurde, war nicht mehr diskutabel. Nach 1848 fanden die Tragsessel infolge des Ausbaus des Liniennetzes der kostengünstigeren Stellwagen immer weniger Zuspruch; die Konzession der letzten beiden Sesselträger wurde allerdings erst 1888 zurückgelegt. - Es gab auch Miniaturtragsessel als Kinderspielzeug.
Literatur
- Katalog zur Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien 1959-2003. Band 8, S. 23 ff.
- Felix Czeike: Der Neue Markt. Wien [u.a.]: Zsolnay 1970 (Wiener Geschichtsbücher, 4), S. 79 ff.
- Felix Czeike: Die Wiener Gremialvorsteher seit 1796, III.: Georg Pfendler. In: Österreichische Ärztezeitung. Organ der Österreichischen Ärztekammer. Wien: Verlag Haus der Ärzte 17 (1963), Folge 16 vom 20.04.1963, S. 229 (Nennung 1677)
- Felix Czeike: Tragsessel - die ersten Taxi. In: Auto-Touring Nummer 197 vom 01.03.1964
- Gustav Gugitz: Die Sesselträger in Alt-Wien. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1939-1989. Band 8, 1949/1950, S. 94 ff.
- Wiener Geschichtsblätter. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 9 (1954), S. 27
- Hans Rotter: Neubau. Ein Heimatbuch des 7. Wiener Gemeindebezirkes. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1925, S. 27
- Hubert Kaut: Alt-Wiener Spielzeugschachtel. 1961, S. 57 ff.