Theodor Beer
Theodor Beer, * 27. März 1866 Wien, † 27. September 1919 Luzern, Physiologe, Naturforscher.
Biografie
Theodor war der Sohn des jüdischen Unternehmers und Bankiers Wilhelm Beer, trat selbst aber 1890 aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus. Nach der Matura am Akademischen Gymnasium in Wien studierte er ab 1883 Medizin an den Universitäten Wien, Straßburg und Heidelberg. Nach der Promotion zum Dr. med. 1889 spezialisierte er sich am Allgemeinen Krankenhaus in Wien im Fach Augenheilkunde, danach wirkte er am physiologischen Institut der Universität Bern. Forschungsaufenthalte führten ihn 1893/1894 nach Neapel und 1895 nach Cambridge. In dieser Zeit wurde er für Arbeiten am Tierauge bekannt.
1896 konnte sich Beer in Wien für vergleichende Physiologie habilitieren. Im Folgejahr begann eine enge Kooperation mit dem Physiologen Albrecht Bethe und dem Biologen Jakob von Uexküll. Mit Studien an menschlichen Organen trug er zur Begründung des Behaviourismus bei und erhielt für Arbeiten zur Akkomodation des Auges 1900 den renommierten Lieben-Preis. In Wien hielt er engen Kontakt mit Sigmund Freud und Arthur Schnitzler. 1903 erfolgte die Berufung zum außerordentlichen Professor. In jenem Jahr beauftragte Theodor Beer den jungen Adolf Loos mit dem Umbau der "Villa Karma" bei Montreux in der Schweiz. In dieser Zeit lernte er auch Bertha Eckstein kennen, die er jahrelang umwarb.
Der Sportler, Hobbyfotograf, Gelegenheitsfeuilletonist und Bonvivant galt in Teilen der Wiener Gesellschaft aber als umstrittene Persönlichkeit. Einen jähen Einbruch erhielt seine wissenschaftliche Laufbahn 1904/1905 aufgrund von Vorwürfen der sexuellen Belästigung von zwei Jugendlichen, die trotz Gnadengesuche zur Entlassung von der Universität führten. Karl Kraus befasste sich in der "Fackel" mit dem fragwürdigen, von antisemitischen Kommentaren in der Presse begleiteten Gerichtsverfahren, das im Herbst 1905 mit einer Verurteilung wegen "Unzucht wider die Natur" endete und eine Haftstrafe nach sich zog. Loos, der mehr als 20 Jahre später selbst Angeklagter in einem ähnlichen Prozess war (allerdings wesentlich glimpflicher ausstieg), unterstützte seinen Bauherrn und soll von Beer pornografische Bilder an sich genommen haben. Seine Frau Laura Beer (geboren 1883 als Laura Eissler, Tochter eines Großhandelskaufmanns und Mathematikstudentin), die ihren Mann ebenfalls verteidigt und einen der Kläger, Regierungsrat Dr. Heinrich Steger sogar tätlich angegriffen hatte, nahm sich 1906 das Leben. Eine langjährige Liebesbeziehung hatte er auch mit Dagmar Zidlicky, die er 1916 heiratete.
Der Arzt zog sich im Anschluss in die Schweiz zurück und arbeitete zwischen 1910 und 1914 wieder an der Zoologischen Station Neapel. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und setzte sein gesamtes Privatvermögen in Kriegsanleihen um. Vereinsamt und verarmt nahm er sich 1919 in Luzern das Leben.
Quellen
- Karl Kraus: Nachträgliches zum Prozeß Beer [Stand: 07.03.2019]
- Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Teilnachlass Adolf Loos (ZPH 1442), Archivbox 2, 2.7.: Prozess Theodor Beer, 1904–1906
Literatur
- Markus Kristan/Sylvia Mattl-Wurm/Gerhard Murauer [Hg.]: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Wien: Metroverlag 2018, S. 276 f., 285 ff.
- Daniel M. Vyleta: Crime, Jews and News. Vienna 1895-1914. New York/Oxford: Berghann Books 2007 (Austrian and Habsburg studies, 8), S. 135-144