Victor Gruen
Gruen Victor, (eigentlich Victor David Grünbaum), * 18. Juli 1903 Wien, † 14. Februar 1980 Wien, Architekt. Sohn des Rechtsanwalts Dr. Adolf Grünbaum. Er wurde in der Staatsgewerbeschule zum Hochbaufachmann ausgebildet. Während seiner Architekturausbildung kam er mit der Otto-Wagner-Schule und mit den Gedanken der berühmten Architekten Adolf Loos und Josef Frank in Berührung.
Von 1926 bis 1934 leitete er das "Kabarett am Naschmarkt". Als junger Kulissenschieber arbeitete dort auch Felix Slavik. Dieser Kontakt sollte in den 1960er-Jahren für Wien noch wichtig werden. Im Jahr 1932 eröffnete Gruen ein Architekturbüro in Wien. Er spezialisierte sich auf Planungen von Geschäften und Wohnungen. So plante er auch die Wohnung des berühmten Sozialdemokraten Otto Bauer.
Nach dem Anschluss 1938 musste Gruen vor dem NS-Regime flüchten, da er jüdischer Abstammung war. Er konnte der Gestapo gerade noch entkommen, da er gewarnt worden war. Ein befreundeter Tischler gab sich als SS-Mann aus und "beschlagnahmte" Gruens Gepäck mit Reisepass und brachte alles auf das Flugfeld Aspern. Von dort begann der Architekt seine Reise ins Exil. Gruens Retter wurde dafür in eine Strafkompanie gesteckt, die er nicht überlebte.
Im Sommer 1938 kam Gruen "mit einem Architekturabschluß, 8 Dollar und null Englisch", wie er später schrieb, in New York an. In den USA änderte er auch seinen Namen von Victor Grünbaum auf Victor Gruen. Ende der 1940er-Jahre begann sich die Konsumgüterindustrie in den USA stark zu entwickeln. Die Zersiedelung der Städte beschleunigte sich, da Wohngebiete, Arbeitsplätze und Einkaufszentren weit auseinanderlagen. Die Idee der "autogerechten Stadt" wurde propagiert. Die alten Stadtzentren (Downtown) verödeten in der Folge.
Gruen erkannte das Problem. Daher entwarf er das Northland-Center in Detroit. Dieses war zentral gelegen und von einer Fußgängerzone umgeben. Gruen meinte, "...wer einkaufen will, muss sich vom Autofahrer wieder zum Zweibeiner verwandeln!"
Ein weiterer Schritt wurde zwei Jahre später gesetzt. Gruen kombinierte den Bautyp "Einkaufszentrum" mit einer "Erlebnispassage", einer sogenannten Shopping Mall. Diese konnte auch für Konzerte und andere Veranstaltungen genutzt werden. In einem weiteren Planungsschritt wurde das Konzept eines multifunktionalen Stadtzentrums (unterirdische Garagen, Passagen, Einkaufs- und Arbeitsmöglichkeiten) architektonisch entwickelt.
1964 beschreibt Gruen in seinem Buch "The Heart of our Cities - The Urban Crisis: Diagnosis and Cure" (Deutsch: "Das Herz unserer Städte - Die urbane Krise: Diagnose und Heilung") seine Erfahrungen mit den Shopping Cities, mit denen er versuchte, multifunktionelle Zentren zu schaffen. In diesen Zentren gab es Bereiche für Erlebnis, Erholung, Gastronomie und Kultureinrichtungen. Eine Stadt, die sich dem Autoverkehr unterzuordnen hatte, lehnte er ab.
1968 kehrte Gruen auf Bitten von Felix Slavik nach Wien zurück. Gruen wollte die Nachteile der "Amerikanisierung" der Stadtentwicklung durch die Massenmotorisierung und den Niedergang der alten urbanen Zentren verhindern. So entwickelte der Architekt ein Konzept für die Wiener Innenstadt ("Kerngebiet Wien"), das eine Verkehrsberuhigung im 1. Bezirk vorsah. Handel und Autoverbände lehnten dieses Vorhaben vehement ab.
Gruens Idee, eine verkehrsberuhigte Innenstadtzone zu schaffen, war der Beginn der Fußgängerzonen in der Wiener City. Diese wurde im Rahmen des Baues der U-Bahn-Linie U1 verwirklicht. Diese Fußgängerzone ist heute aus der Inneren Stadt nicht mehr wegzudenken. Auch der Zusammenhang zwischen Umwelt und Stadtgestaltung wurde immer bedeutsamer. 1972 erhielt er den "Preis der Stadt Wien für Architektur".
Victor Gruen gründete im Jahr 1973 das Zentrum für Umweltplanung. "Eine Stadt sollte lebenswert sein", lautete sein Credo. So machte er auch Vorstudien zur Donauinsel und Wohnbauten. Am 14. Februar 1980 starb Victor Gruen in Wien. Nach ihm ist die Victor-Gruen-Gasse benannt.
Gruen kann als Visionär der "Stadt der kurzen Wege" gesehen werden. Er setzte sich auch für die Revitalisierung der Stadtkerne ein. Auch gilt er als Vordenker einer umweltbewussten Stadtplanung. Seine Idee der Fußgängerzone machte auch in anderen Ländern Schule.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Gruen
- Meldezettel (Wiener Stadt- und Landesarchiv, BPD Wien: Historische Meldeunterlagen, K11)
Literatur
- Magistratsabteilung 18 (Herausgeber), Auf dem Weg zur nachhaltigen Stadt. Schlussfolgerungen aus dem Werk Victor Gruens und aktuelle Strategien zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung, in: Werkstattbericht 78, Wien 2003
- Victor Gruen, Centers for the Urban Environment. Survival of the Cities, New York 1973
- Victor Gruen, Das Überleben der Städte. Wege aus der Umweltkrise: Zentren als urbane Brennpunkte, Wien 1973