Villa Wittgenstein (3, Kundmanngasse 19, Parkgasse 18, Geusaugasse 34), freistehende Villa mit Garten, erbaut 1926/1927 nach Plänen des Loos-Schülers Paul Engelmann und Ludwig Wittgensteins für dessen Schwester Margaret Stonborough-Wittgenstein.
Baugeschichte
Margaret Stonborough beauftragte - offenbar im Herbst 1925 - den befreundeten Architekten Paul Engelmann mit Planungen für ein repräsentatives Stadthaus in Wien, ohne dass ein konkreter Bauplatz ausgewählt worden wäre. Engelmann fertigte mehrere Skizzen an, welche die Vorstellungen der Bauherrin umsetzen sollten. Er hatte aber von Beginn an Zweifel, ob er der Aufgabe gewachsen sein würde, weil er bis dahin kein Hausbauprojekt durchgeführt hatte. Besondere Probleme bereitete der Wunsch Stonboroughs nach einem repräsentativen Stiegenhaus (wohl ähnlich jenem im gründerzeitlichen Palais ihrer Eltern in der Alleegasse, heute Argentinierstraße 16), das mit modernen Raumdispositionen nicht zu vereinbaren war.
Um die Probleme der Planung zu lösen, trat spätestens ab Juni 1926 ihr Bruder Ludwig Wittgenstein offiziell in den Entwurfsprozess ein. Er überarbeitete die vorhandenen Pläne. Für den technischen Teil zeichnete Jacques Groag verantwortlich, der gleichzeitig die Bauleitung beim von Adolf Loos geplanten Haus Moller innehatte. Im Oktober 1926 fiel die Wahl des Bauplatzes auf ein Areal in der Kundmanngasse (Kauf per 24. November 1926), das an drei Seiten von Straßen begrenzt war und sich durch einen Bestand an alten Bäumen auszeichnete. Die Planungen mussten aber schon vor dieser Entscheidung weitgehend abgeschlossen gewesen sein, denn bereits Anfang November 1926 wurden die Baupläne bei der Baupolizei eingereicht. Der Rohbau stand Ende 1927. Zwar war das Haus Ende 1928 weitgehend fertiggestellt, doch erstreckten sich verschiedene Nachjustierungen bis Ende 1929.
Baubeschreibung
Für die Lage zwischen gründerzeitlichen Zinshäusern war der Bau einer Villa mit Park höchst ungewöhnlich. Die Umfassungsmauer des Grundstückes, der alte Baumbestand sowie bestehende Nebengebäude wurden in den Gesamtkomplex integriert. Die Villa steht frei im Park und setzt sich aus verschieden großen kubischen Baublöcken zusammen. Wittgenstein legte besonderen Wert auf darauf, dass der Abschluss der Flachdächer nicht von unten sichtbar war, damit die kubische Form perfekt erschien. Auf zwei Seiten öffnet sich das Gebäude über Terrassen in den Park. Die Disposition der Fensterverteilung ist von innen her konzipiert. Der Grundriss sah in der Beletage – zu erreichen über eine elegante Halle mit Treppe – einen Speisesaal, Saal, Wohnzimmer und private Räume vor. (Die Raumdisposition wurde bald nach dem Einzug Margarets geändert.) Das Haus wurde bis ins Detail durchgeplant und als Sonderanfertigung besorgt: Fenster mit Metallrahmen, Türen, Griffe, Heizkörper, Lift und Beleuchtung. Sogar die Steinplatten waren symmetrisch an die Räume und Türen in ihrer Größe angepasst.
Nutzung
Margaret Stonborough nutzte das Haus in der Folge wie vorgesehen als Wohnhaus und richtete es mit ihren wertvollen Möbeln und Kunstgegenständen ein, darunter Möbeln, die die Wiener Werkstätte 1905 für ihre erste Berliner Wohnung angefertigt hatte. Als sie 1940 in die USA emigrieren musste, wurde das Inventar ausgelagert. In die Villa zog zunächst ein Heereslazarett, dann die Heimkehrermeldestelle ein. Stonborough kehrte 1947 zurück und lebte hier bis zu ihrem Tod 1958.
Nach baulichen Veränderungen verkaufte der Sohn Dr. Thomas Stonborough die Realität an den Bauunternehmer Franz Katlein, der die Umwidmung zur Errichtung eines Hotelhochhauses erwirkte und den Baumbestand des Gartens abholzte, dann aber mit seinem Plan doch am Widerstand von Architektur-Vereinigungen und prominenten Architekten scheiterte.
1975 erwarb die damalige Volksrepublik Bulgarien die nunmehr denkmalgeschützte, aber ziemlich baufällige Villa, allerdings nur mit der Hälfte der Gartenfläche. In der zweiten Gartenhälfte entstand ein 14-stöckiges Verwaltungsgebäude des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Die ehemalige Einfahrt in der Kundmanngasse musste durch eine Freitreppe in der Parkgasse ersetzt werden. Damit war die ursprüngliche Wirkung der Anlage verloren. Mit Hilfe des Bundesdenkmalamts kam es zur Restaurierung der Villa durch den bulgarischen Staat. Dabei wurden leichte Veränderungen am Bau vorgenommen (Sitzungsaal im ersten Stock, Konzertsaal im Erdgeschoß, Entfernung der Freitreppe in den Garten und Anderes). Im Haus wurde das Bulgarische Kulturinstitut untergebracht.
Quellen
Weblinks
Literatur
- Werner Hoffmann: Ludwig Wittgenstein Ein Philosoph als Architekt. In: Der Bau, Schrift für Architektur und Städtebau 24 (1969), H. 1, S. 2 ff.
- Bernhard Leitner: The Architecture of Ludwig Wittgenstein. A Documentation (Halifax, Kanada, 1973)
- Ugo Giacomini: Un opera architettonica di Witgenstein. In: Rivista di Filosofia di Cultura, Mai 1965
- Gunter Gebauer / Alexander Grünenwald u. a.: Wien, Kundmanngasse 19. Bauplanerische, morphologische und philosophische Aspekte des Wittgenstein-Hauses. München: Wilhelm Fink Verlag 1982
- Géza Hajós / Walther Brauneis: Die Profanbauten des III., IV. und V. Bezirkes. Wien: Schroll 1980 (Österreichische Kunsttopographie, 44.2), S. 65
- Bundesdenkmalamt [Hg.]: Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs. Wien. II. bis IX. und XX. Bezirk. Wien 1993, S. 114 f
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Ein Führer. Band 3/1: Wien. 1.-12. Bezirk. Salzburg: Residenz-Verlag 1990, S. 139 f.
- Dietmar Grieser: Alte Häuser- Große Namen. St. Pölten-Wien 1986, S. 62 ff.
- Paul Wijdeveld: Ludwig Wittgenstein, Architekt. Basel: Wiese Verlag 1994
- August Sarnitz: Die Architektur Wittgensteins. Rekonstruktion einer gebauten Idee. Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2011
- Ursula Prokop: Margaret Stonbrough-Wittgenstein. Bauherrin, Intellektuelle, Mäzenin. Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2003