Zehent
Unter dem Zehent oder Zehnt (lateinisch decimatio, decima) ist eine jährliche Abgabe in der Höhe von zehn Prozent der aus einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück gewonnenen Produkte zu verstehen; zur Leistung war der unmittelbare Besitzer (Nutznießer) ohne Rücksicht auf einen übergeordneten Grund-, Berg- oder Ortsherrn verpflichtet.
Der in der Mark Österreich beim Ausbau der Pfarrorganisation im 10. bis 12. Jahrhundert eingeführte Zehent wurde in den Pfarrsprengeln eingehoben und war für kirchliche und karitative Zwecke bestimmt. Anspruchsberechtigt war der jeweilige Pfarrpatron, bis ins 12. Jahrhundert entweder der Bischof von Passau (dessen Diözese Österreich bis 1480 zur Gänze umfasste) oder ein weltlicher "Eigenkirchenherr"; in ersterem Fall war je 1/4 des Zehentaufkommens für den Bischof, den Pfarrer, die Pfarrkirche und die Armenkasse der Pfarre bestimmt, bei Eigenkirchen erhielt der Patron 2/3, der Pfarrer 1/3. Als im Lauf des 12. Jahrhunderts die Eigenkirchenherren ihre Patronate dem Bischof abtraten, wurde ihnen als Entschädigung häufig ein Teil des Zehents überlassen, so beispielsweise in der Pfarre Wien, wo der Zehent seit dem Tauschvertrag von Mautern (1137) zwischen Bischof und Landesfürst im Verhältnis 50 : 50 geteilt war.
Im Spätmittelalter wurde der Zehent häufig der ursprünglichen kirchlichen Zweckbestimmung entfremdet und zu einer Rente, die man verkaufen, verpfänden, verleihen und vererben konnte; in Wien und Umgebung gab beispielsweise der Landesfürst seinen Anteil am Zehent vielfach und nach Orten gestreut als Lehen aus.
Nach den Produkten, die mit dem Zehent belegt wurden, unterschied man zwischen dem Zehent "zu Feld" (auf Getreide, Wein, Obst, Gemüse, Futterpflanzen) und dem Zehent "zu Dorf" (Viehprodukte); im Bereich von Wien spielten der Getreidezehent ("Traidzehent") und der Weinzehent die größte Rolle. Die Beamten, die im Auftrag des Anspruchsberechtigten ("Zehentherrn") den Zehent nach der Ernte auf den Äckern und Weingärten einhoben, nannte man Zehentner oder Zehenthändler.
Im Zuge der Ablöse der grundherrschaftlichen Rechte und der Aufhebung der Untertanenverhältnisse 1848-1850 (Grundherrschaft) wurde auch der Zehent abgeschafft.
Literatur
- Helmuth Feigl: Die niederösterreichische Grundherrschaft. In: Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 16 (1964) (Register)
- Ernst Klebel: Zur Frühgeschichte Wiens. In: Abhandlungen zur Geschichte und Quellenkunde der Stadt Wien 4 (1932), S. 7 ff. (besonders S. 49, 54 ff.)
- Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. von Michael Buchberger. Freiburg i. B.: Herder. Band 10 (Teufel – Zypern) 1965, Sp. 1318 f.
- Willibald Plöchl: Das kirchliche Zehentwesen in Niederösterreich. In: Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 5 (1935)
- Gerlinde Sanford: Wörterbuch von Berufsbezeichnungen aus dem siebzehnten Jahrhundert. Gesammelt aus den Wiener Totenprotokollen der Jahre 1648-1668 und einigen weiteren Quellen. Bern / Frankfurt am Main: Lang 1975 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur, 136), S. 156 f. (Zehenthändler)