Bundeskanzleramt
48° 12' 30.41" N, 16° 21' 49.77" E zur Karte im Wien Kulturgut
Bundeskanzleramt (1, Ballhausplatz 2). Anstelle eines kaiserlichen Meierhofs (der sich am heutigen Ballhausplatz und in der Löwelstraße erstreckte) wurde 1717-1719 über Auftrag Karls VI. vom kaiserlichen Hofarchitekten Johann Lukas von Hildebrandt (Baumeister Christian Alexander Oedtl) ein repräsentatives Gebäude für die damalige Geheime (Österreichische) Hofkanzlei erbaut (das im Norden an das Hofspital angrenzte).
Die Hofkanzlei war bis dahin in einem Trakt der Hofburg untergebracht gewesen; sie war das Gegengewicht zu der vom Reichsvizekanzler geleiteten Reichshofkanzlei (siehe Reichskanzleitrakt der Hofburg); die im Rahmen der Hofkanzlei unter Sinzendorf ab 1705 aufgebaute Außenpolitische Abteilung erhielt 1719 den Namen Staatskanzlei.
Als Maria Theresia 1749 die bisherige Österreichische und Böhmische Hofkanzlei zu einer gemeinsamen, für beide Ländergruppen zuständigen Verwaltungsbehörde vereinigte, zog das neue „Direktorium" in das ehemalige Gebäude der Böhmischen Hofkanzlei (Judenplatz - Wipplingerstraße) ein, und das Haus am Ballhausplatz (diese Bezeichnung ist bereits auf dem Huber-Plan um 1770 eingetragen) wurde der Staatskanzlei (später Auswärtiges Amt) zur alleinigen Benützung zugewiesen.
Staatskanzler war 1753-1792 Wenzel Anton Graf Kaunitz (ab 1764 Reichsfürst von Kaunitz-Rietberg), der besonders nach dem Tod Franz' I. (1765) auf die Regierungsgeschäfte großen Einfluß nahm (vor allem hinsichtlich seiner Gegnerschaft zu Preußen und seiner Allianz mit Frankreich).
1764-1767 wurde das Gebäude im Auftrag Maria Theresias von ihrem Hofarchitekten Nikolaus Pacassi verändert und bedeutend erweitert; die Hauptfassade (Ballhausplatz) entspricht jedoch (abgesehen vom veränderten Dach und den fehlenden Attikafiguren) noch heute dem Bau Hildebrandts. Die Erweiterung diente vor allem der Unterbringung der Kanzlei und der Einrichtung eines Archivs, in welchem Maria Theresia insbesondere die österreichischen und lothringischen Staats- und Hausurkunden sowie die ungarischen und böhmischen Staatsurkunden unterbringen ließ.
Damals wurde auch das der Front gegenüberliegende, der Amalienburg vorgelagerte und noch um 1700 aufgestockte beziehungsweise ausgebaute Haus des Hieronymus Reichsfreiherrn von Scalvinioni (damals Oberinspektor der Hofgebäude) abgetragen, sodaß sich der uns heute geläufige Grundriß des Ballhausplatzes ergab.
Der „Ballhausplatz" erlebte in der Ära Metternich (Fürst Metternich war 1810-1848 Staatskanzler) große Ereignisse: den Wiener Kongreß (1814/1815), den vormärzlichen Polizeistaat, aber auch die Tumulte der Revolution 1848 und die Verabschiedung Metternichs.
Während seiner Amtszeit kam es zu einem Umbau des Trakts an der Löwelstraße (1821) und zu Renovierungen (1826). Die Ausstattung des Gebäudes im Inneren stammt noch heute überwiegend aus dem 19. Jahrhundert, soweit es sich um die Architektur handelt.
1881/82 wurde der Löwelstraßenflügel des Gebäudes bis zur Metastasiogasse verlängert, 1900-1903 kam es (nach dem Abbruch des Hofspitals und des Minoritenklosters) zum Bau des an das Bundeskanzleramt angrenzenden Haus-, Hof- und Staatsarchivs (Pläne von Otto Hofer).
Ab November 1918 war das Gebäude Sitz der von der „Provisorischen Nationalversammlung für Deutsch-Österreich" gebildeten Regierung, die von Staatskanzler Dr. Karl Renner geleitet wurde.
Ab 1920 wurden hier die Ministerratssitzungen abgehalten, 1922 übersiedelte auch das Bundeskanzleramt aus seinem ursprünglichen Amtssitz im Modenapalais (1, Herrengasse 7, heute Innenministerium) hierher, sodaß schließlich in der Ersten Republik im Gebäude sowohl der Bundespräsident (Trakt in der Löwelstraße) wie auch der Bundeskanzler und der Außenminister amtierten.
Am 25. Juli 1934 wurde während des nationalsozialistischen Putschversuchs Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß im Kanzleramt erschossen.
Nach dem „Anschluß" quartierte sich im Haus eine Art von Liquidationsstelle der „österreichischen Landesregierung" ein, während Reichskommissar Gauleiter Josef Bürckel im Parlament residierte; erst sein Nachfolger, der vorherige Reichsjugendführer und nunmehrige Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach, wählte das Bundeskanzleramt zu seinem Amtssitz. Am 10. September 1944 wurde das Gebäude durch Bomben beschädigt (Zerstörung des früheren Kanzlerzimmers).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Bundeskanzleramt wieder Amtssitz des Bundeskanzlers und der Bundesregierung, die hier auch zu den Ministerratssitzungen zusammentritt (der Bundespräsident amtiert im Leopoldinischen Trakt der Hofburg). Das Bundeskanzleramt wurde wiederhergestellt, teilweise (wie etwa die Stuckdecke des Stiegenhauses) auch rekonstruiert; der Wiederaufbau war am 20. Februar 1950 abgeschlossen.
Die wichtigsten Räumlichkeiten im Hauptgeschoß: Über dem Haupteingang liegt der Große Empfangssaal („Kongreßsaal"), links (Ecke Löwelstraße) der ehemalige Kleine Speisesaal (heute Grauer Ecksalon), dem in der Löwelstraße der Große Speisesaal (heute Ministerratssaal), die Bibliothek, das Arbeitszimmer Metternichs und das Audienzzimmer folgen; rechts (Ecke zum Minoritenplatz) liegt der Blaue Gesellschaftssaal (heute Marmorecksalon), daneben folgen der Grüne Empfangssaal (später Gelber Salon und Arbeitszimmer des Bundeskanzlers), der Säulensaal (heute Arbeitszimmer des Bundeskanzlers) und (wiederum an der Ecke) das Sitzungszimmer (heute Arbeitszimmer des Kabinettschefs); in Richtung Staatsarchiv folgt noch das Schlafzimmer Metternichs (heute Empfangsraum).
Kapelle
Im Zuge des Pacassischen Umbaus wurde 1767 eine über zwei Geschosse reichende Kapelle errichtet; als der überkuppelte hohe Raum 1818 durch eine Zwischendecke geteilt wurde (um ein Bibliothekszimmer zu gewinnen), verschoben sich die Proportionen. Das ursprüngliche Altarbild „Heiliger Nepomuk vor Maria" (1741) kam 1821 nach Gerasdorf (dort verschollen).
Literatur
- Adam Wandruszka: Der Ballhausplatz. Wien [u.a.]: Zsolnay 1984 (Wiener Geschichtsbücher, 33)
- Felix Czeike: I. Innere Stadt. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1983 (Wiener Bezirkskulturführer, 1), S. 16
- Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, S. 37 f.
- Paul Kortz: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hg. vom Oesterreichischen Ingenieur und Architekten-Verein. Wien: Gerlach & Wiedling 1906. Band 2,1906, S. 121 ff.
- Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. (Photomechan. Wiedergabe [d. Ausg. v. 1883]). Cosenza: Brenner 1967, Band 1, S. 376 ff.
- Bruno Grimschitz [Hg.]: Johann Lucas von Hildebrandt. Wien [u.a.]: Herold 1959, S. 88 ff.
- Wolfgang J. Bandion: Steinerne Zeugen des Glaubens. Die Heiligen Stätten der Stadt Wien. Wien: Herold 1989, S. 81 f. (Kapelle)
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 360 f.