Adolf-Loos-Stadtführung (29. November 1913)
48° 12' 13.23" N, 16° 21' 33.69" E zur Karte im Wien Kulturgut
Route: MuseumsplatzEs handelt sich um die dritte von zehn Stadtführungen, die Adolf Loos im Rahmen seiner Bauschule zwischen November 1913 und März 1914 veranstaltete.
Transkription der Mitschrift
"Als Hasenauer im Jahre 1894 starb und er als der Erbauer der Hofburg und der Museen gefeiert wurde, brachte die Förstersche Bauzeitung die Richtigstellung des Manfred Semper. Der Sohn des 1892 verstorbenen Semper schrieb an Hevesy vom Fremdenblatt, wo er sich gegen dies Totschweigen seines Vaters verwahrt.
In Wirklichkeit hatte sich die Baugeschichte so zugetragen: Im Jahre 1866 war eine beschränkte Konkurrenz ausgeschrieben worden, für den Bau der beiden Museen und der Hofburg, die von dem Gelde des aufparzellierten Glacis zu erbauen waren. An dieser nahmen teil: Loehr, der damals Hofbaumeister, Intendant war und so am genauesten das Bauprogramm kannte, Ferstel, Hansen, Hasenauer. Loehr bekam einen I. Preis, aber alle 4 Projekte mussten als nicht geeignet abgelehnt werden. Die 4 Architekten hatten in der Jury je einen Vertrauensmann! Dann wurden Loehr und Hasenauer beauftragt, neuerdings Pläne einzureichen und erst als dies ruchbar wurde, und die ganze Welt in Aufregung kam, auch die „Presse“ sich sehr umständlich der Sache annahm. Lützow schrieb damals dafür, als ein riesiger Skandal im Anzuge schien, wurden auch Ferstel und Hansen aufgefordert, die doch damals die beiden großen Baumeister waren, neuerdings in die Konkurrenz einzutreten. Ferstel lehnte dies nun in einem sehr würdigen Briefe ab, Hansen aber reichte sein erstes Projekt ein. Dies wurde nun abgelehnt und Hasenauers Projekt angenommen.- Die ganze Stadt war darüber in Aufregung geraten und Architekt Tietz, Hansens Vertrauensmann, schlug ein internationales Preisgericht vor. Dies wurde als richtig erkannt und Semper zu diesem Zwecke ausersehen, der damals durch seine Bauten und sein Werk gleichermaßen der einzig Berufene sein konnte. Er lebte damals in Zürich, wo er eine Professur bekleidete und alle Architekten der Welt dadurch nach Zürich zog. Er hatte im Jahre 1848 in Dresden, wo er die Museen, die Schlosskirche und viele Privatbauten errichtet hatte, zum Bau der Barrikaden die Pläne gemacht, wurde zum Tode verurteilt, flüchtete nach Zürich, wo er seit 1856 die Professur inne hatte.
Nun galt es den Kaiser erst dazu zu bringen, diesen 48er zu diesem Amte auszuersehen. Eine Fürstin Hohenlohe, die damals bei Hofe in Kunstsachen entscheidend war, brachte einmal dies Thema bei einer Tafel vor den Kaiser, der sofort dafür war und alle Pläne wurden an Semper geschickt.- Hasenauer hatte nach dem Tode seines Vertrauensmannes Van der Nüll seinen Plan mit einem Brief an Semper geschickt, ohne eine Antwort zu erhalten, und hat dann noch 4mal an ihn geschrieben. Stets mit demselben negativen Erfolg.-
Semper schrieb nun in seiner großartigen Denkschrift „seiner unmaßgeblichen Ansicht nach ist die Personenfrage die Hauptsache, nämlich wer der richtige Mann dafür ist, um eine Arbeit von so hoher Bedeutung durchzuführen.“ – Diese Antwort gefiel dem Kaiser dermaßen, dass er Semper sofort herberief und Semper, der eben in Altona bei einem Kongresse war, kam sofort nach Wien. Der Kaiser war mittlerweile in Budapest, Semper war also dort 6 Tage lang als Gast des Kaisers in der Hofburg, täglich an der Mittagstafel zugegen und war der Kaiser so von ihm entzückt, dass er ihm den Auftrag gab, die Bauten durchzuführen und nur wünschte in Anbetracht der Wiener, dass man wieder einen Fremden vorgezogen hat u.s.f. er möge sich einen Mitarbeiter nehmen. So wählte Semper den Hasenauer dazu sich aus, schon von dem ganz natürlichen Standpunkt ausgehend, dass er als alter Herr, er war damals 70 Jahre alt, sich lieber einen jungen Mann zum Mitarbeiter zu einem Bau ersah, der 20 Jahre dauern sollte als z.B. den damals auch schon alten Hansen. Semper nahm nun gleich den Plan in Angriff, der wurde von Hasenauer halbfertig vom Reissbrett förmlich abverlangt, um ihn dem Kaiser in einer Audienz vorzulegen. Hasenauer machte ihn dann geschwind fertig d.h. er zeichnete geschwind die Parkanlage hinein, schrieb aber dann dem Semper, er habe sich mit den verfluchten roten Linien nicht immer zurechtgefunden. Die roten Linien aber waren eine bekannte Technik Sempers, der immer zuerst die verlaufenden (?) roten Linien zog, in die er dann die Perspektive erst hineinzeichnete. Dieser Brief allein wäre der unbestreitbarste Beweis, dass Semper den Plan allein machte. Denn wäre er von Hasenauer gewesen, hätten ihn die roten Linien ja weiter nicht gestört.
Der Kaiser war höchst zufrieden und wurde damals ein Architektenhonorar von 250.000 fl. festgesetzt und Sempers Alter in Anbetracht ziehend, diesem noch ein Gehalt von 5.000 fl. jährlich gegeben. Durch diplomatische Vermittlung des österreichischen Gesandten in Bern, konnte Semper nun unverzüglich nach Wien kommen, so schwer ihn auch die Stadt Zürich fortlassen wollte. Umso niederträchtiger war dem gegenüber Hasenauers Mitteilung, er habe den alten heimatlosen Semper aus Mitleid hier beschäftigt. Er nahm nun sofort den Bau in Angriff und arbeitete ganz allein, da Hasenauer, der damals infolge der dieser Bauten die Weltausstellung baute, sich ganz fern davon hielt. 1873 war er dort fertig und wollte sich des Semper entledigen und behandelte ihn bis 76 in einer so empörenden Weise, grüßte nicht, hielt den Hut am Kopf etc., dass Semper ihm durch seinen Advokaten einen Brief schreiben ließ, dass er fortan nur auf schriftlichem Wege mit ihm verkehren wolle. -Die Arbeiten waren nun schon so weit gediehen, dass Semper mit den einzelnen Bildhauern über die Statuen der Bildhauer unterhandelte und sich so viel mit ihnen herumärgerte, dass sie nicht genau seinen Vorschriften folgten, und die Bildhauer andres auffassten als es ihrem Wesen entsprach, was Semper bei seinem stupenden Wissen genau erkennen musste, dass er in Ärger über all den Verdruss, Hasenauers Benehmen und der Tatsache gegenüber, dass er für all dies nur 5.000 Gulden jährlich hatte, alles da ließ und von Wien fortging.
Die Museen aber, wie sie hier stehen, sind ganz und voll Sempers Werk. Sie sind von einer Schönheit und von einem Adel in der Auffassung und Durchführung, wie seit der Renaissance nicht gebaut wurde. Das Gesims über den Parterrefenstern ist so edel, die Metopen mit den Triglyphen so wunderbar in der Kräfteverteilung in ihrer Profilierung, dass Loos bei ihrem Betrachten ein Lustgefühl hat, wie es nur etwas ganz Erhabenes, etwa ein Detail bei Beethoven auslösen kann.
Die große Kuppel und die vier Eckrisalite mit kleinen Kuppeln hat Semper gleich in seinem Plan von dem Plan Hasenauers übernommen, wahrscheinlich, weil ihm das noch das Brauchbarste in diesem Plan erschien und er so sein Entgegenkommen seinem Mitarbeiter bekunden wollte. Die Rustica war zuerst höher geführt, dann aber beanspruchten die Kustoden der verschiedenen Sammlungen mit Recht mehr Licht und so erhielten sie dann die jetzige Gestalt und Höhe. - Aber der Gedanke, ein Mittel und zwei Eckrisalite allein, konnte damals nur von einem Semper herrühren und durchgeführt werden. Die großen Flächen unter den Eckfenstern zwischen je zwei Pfeilern sind echtester, schönster Semper, während z.B. der Vorsprung, auf dem die Gruppen Faust-Helena - Amor-Psyche sind, plump im Detail sind und vom Hasenauer sein müssen. Im Inneren waren wohl die Werkpläne von Semper da und im Großen-Ganzen musste man sich daranhalten, aber hier änderte Hasenauer nach Herzenslust und es ist auch danach ausgefallen.
Wie Hasenauer baute, erkennt man ja deutlich am Burgbau (Semper nannte ihn den „neuen Residenzbau“), wenn man nur das Gesims z.B. mit dem am Museum vergleicht. Der von Semper entworfene Plan zeigt die beiden Flügelbauten, von denen aber nur einer ausgeführt wurde, die hinten durch einen Prachtsaal vereinigt werden. Dieses Projekt ist für absehbare Zeit ad acta gelegt.-"
Kommentar
Der dritte Termin war inhaltlich eine Fortführung von Loos Vortrag zur äußeren Gestaltung des Kunsthistorischen Museums bei der vorhergehenden Führung am 22. November, wurde jedoch in den größeren Kontext des Kaiserforums eingebettet.
Loos nutzte die Gelegenheit, um einmal mehr seine Bewunderung für Gottfried Semper zum Ausdruck zu bringen und referierte minutiös, wie es zu Sempers Berufung nach Wien, zur Genehmigung der Entwürfe sowie zur Zusammenarbeit mit Carl von Hasenauer gekommen war. Dabei legte Adolf Loos das einzige Mal während aller Führungen eine Quelle offen, auf welche sich sein Vortrag stützte.
In der Absicht, Semper als den wahren Schöpfer des Forums und der Museen zu zeichnen, referierte Loos einen Beitrag, den der Sohn des 1879 verstorbenen Architekten, Manfred Semper, in Fösters Allgemeiner Bauzeitung als Richtigstellung publizierte, nachdem man Hasenauer nach dessen Tod als Erbauer der Museen und der Neuen Hofburg gefeiert hatte. Darin klärte Manfred Semper die Öffentlichkeit darüber auf, wie Hasenauer, der zwar von Semper zum Mitarbeiter ausgewählt wurde, sich bei den Planungsarbeiten für das Forum ganz rarmachte, um für die Weltausstellung arbeiteten zu können und nach deren Fertigstellung Semper aus seinem Amt verdrängen bzw. dessen Pläne als seine eigenen ausgeben wollte.
Stein des Anstoßes war für Manfred Semper ein vom Fremdenblatt unmittelbar nach Hasenauers Tod publizierter Brief des verstorbenen Architekten, dessen Inhalt Loos aus der angesprochenen Nummer der Allgemeinen Bauzeitung kannte, da Manfred Semper diesen im vollen Wortlaut abgedruckt hatte. Als weitere Beweise publizierte Sempers Sohn zahlreiche Korrespondenzen, die belegten, dass es keinesfalls Hasenauers Verdienst sei, Semper nach Wien geholt zu haben, sondern dieser von Seiten des Obersthofmeisteramtes berufen worden war.
Der Streit um die künstlerische Urheberschaft der Bauten am Kaiserforum war damit jedoch nicht beigelegt und zog sich hin, wie ein ebenfalls zu Sempers Gunsten ausfallendes Gutachten zeigt, das Ferdinand Feldegg 1895 in der eben erst gegründeten und von ihm redigierten Fachzeitschrift "Der Architekt" veröffentlichte.
Nach der ausführlichen historischen Schilderung der Baugeschichte wandte sich Loos den beiden Hofmuseen zu, da er in ihnen Sempers Handschrift am besten erkennen konnte und ihm Hasenauers Einflüsse marginal erschienen. Die Museen sind für Loos "von einer Schönheit und von einem Adel in der Auffassung und Durchführung, wie seit der Renaissance nicht gebaut wurde." Beim Betrachten der in Naturstein ausgeführten Profilierungen der Gesimse erlebte Adolf Loos ein "Lustgefühl, wie es nur etwas ganz Erhabenes, etwa ein Detail bei Beethoven auslösen kann."
Die Museumsbauten verglich Loos mit der Neuen Burg, wo Hasenauer und die nachfolgenden Architekten markant in Sempers Vorarbeit eingegriffen hatten: "Hier änderte Hasenauer nach Herzenslust und es ist auch danach ausgefallen."
Der Grund, weshalb sich Loos während der Führungen so vehement für Semper verwendet und wiederholt auf ihn zu sprechen kommt, ist in der mehrfachen und sehr konsequenten Rezeption von Sempers Architekturtheorie zu suchen, mit welcher Loos höchstwahrscheinlich in seiner Dresdner Zeit in Kontakt gekommen ist. Sowohl das "Prinzip der Bekleidung" als auch die Lehre, dass jedes Material eine dessen Materialität angemessene Form habe, sind Gedanken, die Loos von Semper übernommen hatte.
Quelle
- Mitschrift zu Stadtführungen im Rahmen der Bauschule Adolf Loos. Wien, 1913-1914 / Wienbibliothek im Rathaus, ZPH 1442, schriftlicher Teilnachlass Adolf Loos, 1.4.20, Blatt 5-8
Literatur
- Harald Stühlinger: Adolf Loos als Führer zu Architektur und Städtebau. In: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Hg. von Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm und Gerhard Murauer. Wien: Metroverlag 2018, S. 223 f.
- Burkhardt Rukschcio / Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk. Salzburg: Residenz Verlag 1982, S. 187 ff.