Anna Sebastian
Anna Sebastian (eigentlich: Frieda Benedikt), * 3.[1] November 1916 Wien, † 3. April 1953 Paris, Schriftstellerin.
Biografie
Kindheit und Jugend
Anna Sebastian, geborene Frieda Benedikt, war die zweitälteste der vier Töchter des Ehepaars Irma und Ernst Benedikt. Gemeinsam mit ihren Schwestern Gerda, Ilse und Susanne wuchs sie in einer wohlhabenden, sehr einflussreichen und in Wien bekannten Familie auf. Ihr Vater war ab 1920 Chefredakteur und Herausgeber der Neuen Freien Presse.
Wie ihre Schwestern besuchte Frieda Benedikt, genannt "Friedl", die Volksschule in der Mannagettagasse und anschließend die Mädchenmittelschule in der Gymnasiumstraße 79. Sie maturierte nicht, sondern brach die Schule um 1932 ab. Die lebenslustige und selbstsichere junge Frau äußerste schon früh den Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Zwischenzeitlich fasste sie auch eine Karriere als Schauspielerin ins Auge und nahm Unterricht bei Ernst Arndt. Ob sie jemals öffentlich auftrat, ist unklar.
19jährig heiratete Frieda Benedikt den bei den Semperit-Werken in Bratislava beschäftigten Ingenieur Georg Stramitzer. Die Ehe war nur von kurzer Dauer und nach nur wenigen Monaten kehrte sie nach Wien zurück. Nun verfestigte sich bei ihr der Wunsch Schriftstellerin zu werden. Um die Mitte der 1930er Jahre hatte sie in ihrem Elternhaus Elias Canetti kennengelernt, der mit seiner Ehefrau in die unmittelbare Nachbarschaft gezogen war und regelmäßig im Hause Benedikt verkehrte. Ab 1936 entwickelte sich zwischen Frieda Benedikt und Elias Canetti eine intensive, nicht unkomplizierte und mitunter auch destruktive Beziehung, von der mehr als 1.500 Briefe zeugen, die sie bis an ihr Lebensende an ihn schrieb. Canetti, den sie in ihren Briefen als "Ilja" adressierte, wurde für sie eine wichtige Bezugsperson, war mitunter Vaterfigur, Lehrer und Geliebter.
Exil und schriftstellerische Erfolge
Frieda Benedikt, die ab 1937 quer durch Europa reiste, kehrte im Sommer 1938 nach ausgedehnten Reisen nach Paris und London nicht mehr nach Wien zurück. Sie ließ sich bei ihrer Tante Hedwig Gardiner, Ehefrau des bekannten Ägyptologen Alan Gardiner (1879–1963) im Londoner Stadtteil Hampstead nieder. Elias und Veza Canetti, die ebenfalls ins britische Exil geflohen waren, wohnten ganz in ihrer Nähe, ebenso viele andere Exilant*innen, darunter viele Schriftsteller*innen und Künstler*innen. Ökonomisch unterstützt von ihren Verwandten, konnte sich Frieda Benedikt dem Schreiben widmen. Über ihre Cousine Margaret Gardiner (1904–2005), die sich später als Kunstsammlerin und Förderin von Künstlerinnen und Künstler einen Namen machen sollte, fand Frieda Benedikt rasch Anschluss an die Londoner Kunst- und Kulturszene. Professionell gefördert von Canetti und anderen arbeitete sie an ihrem ersten, bereits in Wien begonnen, Roman. "Let Thy Moon Arise" (1944) war ursprünglich auf Deutsch verfasst und wurde von der Autorin selbst ins Englische übertragen. Auf Anraten ihres Verlags erschien das Werk unter dem Pseudonym Anna Sebastian. Ihren zweiten Roman "The Monster", der im selben Jahr erschien, schrieb Benedikt bereits auf Englisch. Beide Romane wurden von der Kritik wohlwollend aufgenommen. "The Monster" wurde ins Französische (1946) und Schwedische (1951) übersetzt, auf Deutsch erschien er erstmals 2004. Angespornt von diesen Erfolgen, arbeitete sie an ihrem nächsten Roman, der 1950 erscheinen sollte und der wie auch die beiden ersten Werke Elias Canetti ("Orion") gewidmet war. Mit Kriegsverlauf wurde auch für Frieda Benedikt die Versorgungslage immer schwieriger. London war ab 1940 Luftangriffen ausgesetzt, die sie immer wieder zur Flucht aufs Land veranlassten, und auch ihre finanzielle Situation wurde zunehmend prekär.
Wiedersehen mit der Familie und letzte Jahre
Im Dezember 1946 reiste sie erstmals zu ihren Eltern und ihrer Schwester Susanne nach Schweden. Um länger bleiben zu können, ging sie mit dem Schweden Arne Widholm im Juni 1947 eine Ehe ein, die 1952 wieder geschieden wurde. Auch in Schweden fand Benedikt rasch Anschluss an Künstler*innennetzwerke. Ab 1947 war sie mit dem aus Deutschland stammenden Maler und Schriftsteller Peter Weiss bekannt, mit dem Maler Endre Nemes ging sie eine – auch von Gewalt geprägte – Beziehung ein. Nach etwa einem Jahr kehrt sie nach Hampstead zurück, reist in den folgenden Jahren aber quer durch Europa und hält sich phasenweise für längere Zeit wieder in Schweden, aber auch in Italien und Frankreich auf. Im Sommer 1950 kehrte sie erstmals nach Österreich zurück. Auf einer ihrer Reisen lernte Frieda Benedikt den aus wohlhabendem Haus stammenden US-Amerikaner Allan Forbes kennen, mit dem sie eine Beziehung einging und Heiratspläne schmiedete.
Ab Herbst 1951 machten sich bei Benedikt vermehrt gesundheitliche Probleme bemerkbar. 1952, nun bereits schwerkrank, wurde sie über Vermittlung von Elias Canettis Bruder Georges nach Paris transferiert und im als fortschrittlich geltenden American Hospital in Neuilly behandelt. Auch wenn sie zwischenzeitlich das Krankenhaus verlassen und gemeinsam mit Forbes und Canetti schöne Tage verbringen konnte, zeichnete sich deutlich ab, dass keine Hoffnung auf Genesung bestand. In den letzten Monaten ihres Lebens wurde sie von ihrer mittlerweile in Paris lebenden Schwester Susanne begleitet und umsorgt. Frieda Benedikt starb im April 1953 an Lymphdrüsenkrebs.
Anhand überlieferter Briefe, Tagebücher und Dokumente skizzierte der Autor und Publizist Ernst Strouhal im Dokumentarroman "Vier Schwestern" (2022) die Geschichte seiner Familie im Spiegel der geschichtlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Frieda Benedikt, Strouhals Tante, war eine dieser "Vier Schwestern".
Werke
- Anna Sebastian: Let Thy Moon Arise. London: Jonathan Cape 1944
- Anna Sebastian: The Monster. London: Jonathan Cape 1944 [Deutsche Ausgabe: Anna Sebastian: Das Monster. Übers. Christel Wiemken, Nachwort Susanne Ovadia. Hürth bei Köln / Wien: Ed. Memoria 2004]
- Anna Sebastian: People from My Journal. In: The Windmill, vol. 1, No. 3 (1946)
- Anna Sebastian: The Dreams. London: Jonathan Cape 1950
Literatur
- Ernst Strouhal: Vier Schwestern. Fernes Wien, Fremde Welt. Wien: Zsolnay 2022
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 3. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2016, S. 3031
- Sven Hanuschek: Elias Canetti. Biographie. München / Wien: Carl Hanser Verlag 2005
- Siglinde Bolbecher / Konstantin Kaiser [Hg.]: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien: Deuticke 2000, S. 583
- Deutschlandfunk: Tanya Lieske: Zwischen den Sprachen, 02.09.2004
Referenzen
- ↑ anderen Angaben zufolge auch 4. oder 9. November