Anna Wödl
Anna Wödl, * 1. Oktober 1902 Gutenstein, † 2. Dezember 1996 Wien, Krankenschwester.
Biografie
Anna Wödl wurde 1902 im niederösterreichischen Gutenstein geboren. Ihre Eltern stammten aus Ungarn und hatten sich nicht um die österreichische Staatsbürgerschaft beworben, weshalb Anna Wödl – und später auch ihr Sohn Alfred – als "staatenlos" galten. Ab 1931 lebte Anna Wödl gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in Wiener Neustadt am Corvinusring 16. Im November 1934 brachte die unverheiratete Frau ihn Wien einen Sohn, Alfred, zur Welt. Wenige Wochen vor der Geburt hatte Anna Wödl eine schwere Rauchgasvergiftung erlitten und im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass ihr Sohn in seiner Entwicklung beeinträchtigt war. Als Alfred im Alter von zwei Jahren wegen einer Gelenksentzündung in der Kinderklinik Glanzing in Behandlung war, wurde er als "geistig zurückgeblieben" eingestuft. Am 1. April 1939 wurde Alfred in die "Landes Pflege- und Beschäftigungsanstalt für schwachsinnige Kinder in Gugging" aufgenommen. Als uneheliche Mutter verfügte Anna Wödl nicht über das Sorgerecht über ihren Sohn, das bei einer Behörde, der Landesberufsvormundschaft Wiener Neustadt lag. Diese verfügte, dass das Kind nicht ohne behördliche Zustimmung an die Mutter übergeben werden dürfe.
Ab 13. November 1939 war Anna Wödl als Aushilfskrankenschwester im Militärlazarett des Allgemeinen Krankenhauses in Wien angestellt. Ihren Sohn, der weiterhin in Gugging untergebracht war, besuchte sie regelmäßig. Über Bekannte erfuhr Anna Wödl 1940 von den Vorgängen in der "Städtische Jugendfürsorgeanstalt 'Am Spiegelgrund', davon, dass Patient*innen über Nacht vorgeblich an die Ostsee "transferiert" wurden und unter unklaren Umständen zu Tode kamen. Später sollte sich herausstellen, dass sie nach Schloss Hartheim bei Linz gebracht und vergast wurden. Aus Solidarität mit diesen Patient*innen und deren Angehörigen entschloss sich Anna Wödl nach Berlin zu fahren, um gegen dieses Vorgehen zu protestieren. Am 23. September 1940 betrat sie die Reichskanzlei in Berlin und wurde schließlich im Reichsinnenministerium von Herbert Linden, einem der wesentlichen Organisatoren der Krankenmorde, empfangen. Obwohl sie in Berlin nichts bewirken konnte, motivierte Anna Wödl nach ihrer Rückkehr zahlreiche Menschen in Wien zu Protestschreiben, die in Berlin tatsächlich in großer Anzahl eintrafen.
Im Jänner 1941 erfuhr Anna Wödl bei einem Besuch in Gugging, dass auch Alfred für einen Abtransport vorgesehen war. Erneut reiste sie nach Berlin und setzte sich diesmal für ihr eigenes Kind ein. Im Wissen, seine Ermordung nicht verhindern zu können, erbat sie, dass Alfred in Wien sterben dürfe, um ihm zumindest die Qualen der Verschleppung zu ersparen. Schließlich wurde ihr gestattet, ihn nach Steinhof bringen zu lassen, wo er durch eine Injektion sterben würde. Auch wurde ihr zugesagt, dass sie die Leiche ihres Kindes sehen dürfe.
Am 29. Jänner 1941 ersuchte Primar Dr. Erwin Jekelius, ärztlicher Leiter der "Kinderfachabteilung" am Spiegelgrund, schriftlich um die Überstellung Alfred Wödls. Am 6. Februar 1941 wurde das Kind von Gugging in die "Wiener Städtische Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund" überstellt. Wenige Tage später, am 14. Februar, erstellte die Psychologin Dr. Edeltraud Baar ein psychologisches Gutachten über Alfred Wödl, in dem sie ihm "Schwachsinn allerschwersten Grades" attestierte und festhielt, dass bei ihm "keinerlei Bildungsmöglichkeit vorhanden" sei. Am 17. Februar durfte Anna Wödl ihren Sohn ein letztes Mal besuchen. Am 22. Februar 1941 wurde er vom ärztlichen und pflegerischen Personal mit dem Gift Luminal ermordet. Zuvor wurde das abgemagerte und geschwächte Kind noch mit einer Luftencephalographie (dabei wird über eine Punktionsnadel aus dem lumbalen Rückenmarkskanal Liquor entnommen und durch Luft ersetzt) gequält. Wie vereinbart durfte Anna Wödl ihr Kind in der Aufbahrungshalle auf dem Wiener Zentralfriedhof sehen. Alfred Wödl wurde von Dr. Heinrich Gross obduziert, dabei wurden Gehirn und Rückenmark entnommen und präpariert. Die Präparate wurden im April 2002 in einem Ehrenhain am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.
Ein Jahr nach der Ermordung ihres Sohnes, im März 1942, wurde Anna Wödl von ihrer Anstellung im Allgemeinen Krankenhaus entlassen, da bei ihr eine "hochgradige Neurose" festgestellt wurde. Über ihren weiteren Lebensweg ist wenig bekannt. 1946 sagte sie als Zeugin im Prozess gegen den "Euthanasie"-Arzt Dr. Ernst Illing und andere aus. Bei dieser Gelegenheit berichtete sie über ihre beiden Reisen nach Berlin. Bekannt ist auch, dass sie später in Wien lebte. In der am 31. Juli 1984 im ORF ausgestrahlten Dokumentation "Unwertes Leben. Ein Bericht über die NS-Psychiatrie in Österreich 1938–1945" (Redakteur: Peter Nausner), eine der frühesten Aufarbeitungen in Österreich, kam die damals 82-jährige Anna Wödl zu Wort und berichtete über den verzweifelten und vergeblichen Kampf um ihr Kind.
In Wiener Neustadt, wo Anna Wödl viele Jahre lebte, wurde 2013 ein Stolperstein für Alfred Wödl verlegt und 2014 die Anny Wödl-Gasse nach ihr benannt. In Wien erinnern am Zentralfriedhof das "Denkmal für ermordete Kinder der NS-Euthanasieanstalt 'Am Spiegelgrund'", auf der Baumgartner Höhe ein "Mahnmal für die Opfer vom Spiegelgrund" sowie eine Gedenktafel an die schrecklichen Morde.
Literatur
- Anton Blaha: Anny Wödl – eine mutige Neustädterin. In: Eibisch-Zuckerl. Straßenzeitung – Plattform für soziale Anliegen, Nummer 60, Februar/März 2013, S. 4–7 [Stand: 26.07.2022]
- Waltraud Häupl: Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund. Gedenkdokumentation für die Opfer der NS-Kindereuthanasie in Wien. Wien/Köln/Weimar Böhlau 2006, S. 604
- Gerhard Fürstler / Peter Malina: "Ich tat nur meinen Dienst". Zur Geschichte der Krankenpflege in Österreich in der NS-Zeit. Wien: facultas 2004, S. 33, 304, 394
- Gerhard Fürstler / Peter Malina: Österreichische Pflegepersonen aus der Zeit des Nationalsozialismus, Teil 1: Die Wiener Krankenschwester Anny Wödl. Historische Pflegeforschung. In: Österreichische Pflegezeitschrift März 2003, S. 24–27
- Susanne Mende: Die Wiener Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2000, S. 196–198. Hier ist die Zeugenaussage Anna Wödls im Verfahren gegen Dr. Ernst Illing u. a. vom 1. März 1946 abgedruckt, allerdings der Sekundarliteratur folgend, die Akten wurden von der Autorin nicht eingesehen.
- Personendatenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes: Wödl, Alfred [Stand: 26.07.2022]