Igo Etrich
Igo Etrich, * 25. Dezember 1879 Oberaltstadt, Trautenau, Böhmen (heute Horní Staré Město, Trutnov, Tschechische Republik), 4. Februar 1967 Salzburg (Kommunalfriedhof Salzburg, Gruppe 62, Nummer 1a-1d [Familiengrab]), Flugzeugkonstrukteur.
Biographie
Ignaz "Igo" Etrich besuchte die Handelsschule in Leipzig. Gemeinsam mit seinem Vater, einem Textilfabrikanten, richtete er im böhmischen Oberaltstadt ein Versuchslabor ein, um die Flugfähigkeit von Tragflächenprofilen zu untersuchen. Aus dem Nachlass des 1896 tödlich verunglückten Otto Lilienthal erwarben die Etrichs ein Gleitflugzeug. 1905 erhielt Igo Etrich ein Patent für einen Flugzeugflügel, den er nach dem Vorbild des Flugsamens der Zanonia macrocarpa entwickelt hatte.
1903 lernte Igo Etrich auf Vermittlung von Wilhelm Kreß Franz Xaver Wels kennen. 1906 führte Wels die ersten Flüge mit dem von Etrich konstruierten Gleitflieger durch. Nach der Übersiedlung nach Wien bauten die beiden auf dem Gelände der Weltausstellung von 1873 im Prater 1907 ihr erstes Motorflugzeug, die "Etrich I" mit einer Leistung von 24 PS. Das verbesserte Nachfolgemodell wurde "Praterspatz" genannt. Nach der Gründung des Flugplatzes Wiener Neustadt richteten sich dort Etrich und Wels zwei Hangars ein, in denen sie weiter mit Motorflugzeugen experimentierten. 1910 erfolgte der Jungfernflug der "Etrich II", der legendären "Etrich-Taube", mit der Karl Illner am 17. Mai den ersten Überlandflug in Österreich – von Wiener Neustadt nach Wien und wieder retour – unternahm. Auch auf verschiedenen Flugveranstaltungen zeigte sich die Überlegenheit dieses Flugzeuges. 1910 hielt Etrich alle Österreich-Rekorde im Hoch- und Dauerflug.
1912 gründete Etrich die nach ihm benannten Fliegerwerke im schlesischen Liebau (heute Lubawka, Polen) und entwarf dort mit der "Luft-Limousine" das erste Passagierflugzeug mit geschlossener Passagierkabine. Das Konstruktionsbüro leitete der junge Ingenieur Ernst Heinkel (später Gründer der Ernst Heinkel Flugzeugwerke AG).
Als nächsten Schritt gründete Etrich die Brandenburgischen Flugzeugwerke mit Heinkel als Konstrukteur. 1913 konstruierte er mit der "Etrich-Schwalbe" ein Flugzeug mit extremen Steigvermögen. Auf einem Europarundflug wurde es unter anderem in Paris und London vorgestellt.
1915 erwarb der österreichische Industrielle Camillo Castiglioni Etrichs Anteile der Flugzeugwerke. Die "Hansa- und Brandenburgischen Flugzeugwerke AG" entstanden (ein Hauptlieferant der deutschen und österreichisch-ungarischen Fliegertruppen, die legendären "Brandenburger").
Nach dem Ersten Weltkrieg ging Etrich nach Trautenau (Trutnov) und entwarf 1928 die "Sport-Taube", ein 40 PS starkes Sportflugzeug. Nach Problemen mit den tschechischen Behörden gab der Techniker seine Bemühungen auf dem Gebiet der Luftfahrt auf. Seine Erfindung, der sogenannte "Schnellstrecker", ermöglichte es, die Spinnleistung zu verdreifachen.
Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe war Igo Etrich von 1935 bis 1939 Mitglied der Sudetendeutschen Partei als auch ab 1939 der NSDAP. Er erhielt 1944 ein Ehrendoktorat an der Technischen Hochschule Wien.
1945 wurden seine Fabriken in der Tschechoslowakei enteignet, Etrich kam für neun Monate in Haft. Beim anschließenden Prozess wurde er freigesprochen, jedoch musste er bis Jahresende 1946 das Land verlassen. Er siedelte sich in Bayern an und konnte endlich ein Patent auf seinen "Schnellstrecker" erwerben. Dies brachte ihm einen gewissen Wohlstand ein. 1961 übersiedelte er nach Salzburg. Zu seinem 75. Geburtstag wurde er zum Ehrenpräsidenten des Salzburger Aero-Clubs ernannt und erhielt die Goldene Ehrenmedaille des österreichischen Erfinderverbandes.
Quellen
Literatur
- Heribert Sturm: Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder. München: Oldenbourg 1974 - lfd.
- Österreicher aus sudetendeutschem Stamme. Wien: Verlag der Typographischen Anstalt 1961-1979. Band 1 (Maler, Graphiker, Bildhauer, Medailleure, Baumeister, Architekten, Dichter, Schriftsteller, Journalisten) 1961
- Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik, Wien: Ueberreuter 1992
- Igo Etrich und sein Pilot Karl Illner. Die ersten Flugerfolge in Österreich. In: Österreichische Naturforscher und Techniker. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Gesellschaft für Natur und Technik 1951, S. 152 ff.
- Igo Etrich: Die Taube. Memoiren des Flugpioniers Dr. Ing. h.c. Igo Etrich. Wien: Waldheim-Eberle [1961]
- Adalbert Obal: Igo Etrich und seine 'Taube'. Wien 1942
- Reinhard Keimel: Österreichs Luftfahrzeuge. Geschichte der Luftfahrt von den Anfängen bis Ende 1918. Graz: Weishaupt 1981
- Helmut Kretschmer: Aus der Geschichte des Flugwesens in Wien. Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 1990 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, B/32), S. 8 f.
- Internationales Biographisches Archiv 41 (1971)
- Rathauskorrespondenz, 31.01.1977
- Peter Autengruber, Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. Wien: Pichler Verlag 2014, 9. Auflage, S. 85
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 231
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
- Hubert Prigl: Luftfahrtpioniere, Flugzeugkonstrukteure, Piloten & Pilotinnen. In: "Schwerer als Luft". 100 Jahre Motorflug in Wien [Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus 18.09.2009 bis 26.02.2010]. Wien: Wienbibliothek im Rathaus / Metroverlag 2009
- Wienbibliothek im Rathaus / Tagblattarchiv: Personenmappe Igo Etrich [Sign.: TP 011463]