Karl Maria Ludolf von Vogelsang, * 3. September 1818 Liegnitz, Preußisch-Schlesien (Legnica, Polen), † 8. November 1890 Wien, Journalist, Vordenker der Christlichsozialen.
Biographie
Karl von Vogelsang entstammt einem alten deutschen Adelsgeschlecht. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs er in Lübeck in der Pflege einer Lehrerfamilie auf. Das Gymnasium besuchte er in Halle an der Saale und lernte, wie damals in adeligen Familien üblich, auch ein Handwerk: Bei ihm waren es die Buchbinderei, die Drechslerkunst und das kunsthandwerkliche Malen.
Da Karl Vogelsang infolge eines körperlichen Gebrechens nicht den standesüblichen Militärberuf ergreifen konnte, wandte er sich den Rechts- und Staatswissenschaften zu, die er an den Universitäten Bonn, Berlin und Rostock studierte, aber auf Wunsch seines Stiefvaters nicht mit der Promotion abschloss. Von seiner beruflichen Tätigkeit im preußischen Staatsdienst nahm er 1848 Abschied und zog sich auf sein Gut in Mecklenburg zurück, arbeitete an einer Reform der Verfassung und widmete sich eingehend religiösen Fragen.
Nach Kontakt mit dem Berliner Propst Ketteler und Guido Görres konvertierte der Protestant Vogelsang 1850 zum Katholizismus. Er übersiedelte nach Köln, wo er die antiliberale "Politische Wochenschrift" mitherausgab. In weiterer Folge wurde er Begleiter des regierenden Fürsten Johannes II. von Liechtenstein, wofür Vogelsang den Freiherrntitel und die liechtensteinische Staatsbürgerschaft erhielt. Nach Verkauf seines Gutes in Mecklenburg erwarb Vogelsang auf Vermittlung eines Bekannten das Gut Magdalenenhof am Bisamberg bei Wien, wohin er erstmals im Jahr 1865 übersiedelte, das sich aber im Laufe der Zeit immer mehr als schwere Belastung erwies.
Nach journalistischer Tätigkeit in Pressburg (Bratislava) übernahm Vogelsang 1875 die Leitung der 1860 gegründeten katholisch-konservativen Zeitung "Das Vaterland" und stand bis zu seinem Tod 1890 an ihrer Spitze. 1879 gründete er die "Österreichische Monatsschrift für Gesellschaftswissenschaft und Volkswirtschaft" (später "Monatsschrift für christliche Sozialreform"). In diesen Publikationen vertrat der Journalist sein antiliberales und antikapitalistisches Weltbild und propagierte eine ständische Gesellschaftsordnung sowie einen "christlichen Sozialismus". Karl von Vogelsang gilt als einer der wichtigsten Vordenker der katholischen Soziallehre.
Der Journalist sammelte "Sozialaristokraten" wie Prinz Aloys von und zu Liechtenstein, Graf Egbert Belcredi oder Graf Franz Kuefstein um sich. Er wollte die soziale Frage nicht auf die Arbeiterfrage reduziert wissen und thematisierte auch Probleme der Bauern und Handwerker. Im Laufe der 1880er Jahre kam Vogelsang in Kontakt mit Karl Lueger und dessen unter der Bezeichnung "Vereinigte Christen" firmierende heterogene Bewegung. Im Anschluss an den Österreichischen Katholikentag im April 1889 konstituierte sich auf Anregung Vogelsangs eine Diskussions- und Arbeitsrunde unter dem Vorsitz von Franz Martin Schindler. In Anlehnung an den Versammlungsort " Zur goldenen Ente" erhielt der Kreis die Bezeichnung "Entenabende". Vertreter des niederen Klerus, bürgerliche Demokraten, sozial engagierte Aristokraten sowie christliche Gewerkschaftsfunktionäre erarbeiteten hier die geistigen Grundlagen der späteren Christlichsozialen Partei.
Vogelsang selbst starb bereits im Folgejahr an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Vieles von seinen Anschauungen ist aber in die ein halbes Jahr nach seinem Tod erschienene Sozialenzyklika "Rerum novarum" Papst Leos XIII. vom 15. Mai 1891 eingegangen. Eine Sammlung seiner "Aufsätze über socialpolitsche und verwandte Themata" erschien zwischen 1885 und 1887.
Nach ihm wurden die Vogelsanggasse im 5. Wiener Gemeindebezirk sowie das Vogelsangheim benannt. 1980 gründete man das "Karl von Vogelsang-Institut zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich", 1979 rief das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung den "Karl-von-Vogelsang-Staatspreis für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften" ins Leben, der alle zwei Jahre verliehen wird.
Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe vertrat Karl von Vogelsang eine antiliberale und antisemitische Weltauffassung, die er mit christlichen Elementen verband. Vor allem in den "Reformjuden", die seiner Ansicht nach Wirtschaft und Presse unter Kontrolle hatten, sah er die Hauptursache für die Wirtschaftskrise 1873 und deren Auswirkungen.
Literatur
- Peter Autengruber: Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. 9. Aufl. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 303
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 168-170
- Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
- Alexander Egger: Die Staatslehre des Karl von Vogelsang. Eine Darstellung an ihren ideengeschichtlichen Wurzeln. Wien: VWGÖ 1991
- Rainer Stepan: 100. Todestag Karl von Vogelsang (Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken 08.11.1990)
- Erwin Bader [Hg.]: Karl v. Vogelsang. Die geistige Grundlegung der christlichen Sozialreform. Wien: Herder 1990
- Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 119
- Ludwig Reichhold: Karl von Vogelsang. Die Grundlegung der österreichischen Sozialpolitik. Wien: Karl von Vogelsang-Institut 1987
- Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte. Begründet von Hellmuth Rössler und Günther Franz, bearbeitet von Karl Bosl [u.a.]. Band 3: S−Z. Register. München: A. Francke 1975
- Walter Pollak [Hg.]: Tausend Jahre Österreich. Eine biographische Chronik. Band 2: Vom Biedermeier bis zur Gründung der modernen Parteien. Wien / München: Jugend & Volk 1974, S. 250 ff.
- Ernst Joseph Görlich: Karl von Vogelsang. Ein Mann kämpft für die soziale Gerechtigkeit. Wien: Veritas o. J. [1968]
- Gerhard Silberbauer: Österreichische Katholiken und die Arbeiterfrage. Graz: Styria 1966
- Johann Christoph Allmayer-Beck: Vogelsang. Vom Feudalismus zur Volksbewegung. Wien: Herold 1952
- Wiard Klopp: Leben und Wirken des Sozialpolitikers Karl Vogelsang. Wien: Typographische Anstalt 1930
- Neue österreichische Biographie. 1815–1918. Band 2. Wien [u.a.]: Amalthea Verlag 1925
- Ludwig Eisenberg: Das geistige Wien. Künstler- und Schriftsteller-Lexikon. Mittheilungen über Wiener Architekten, Bildhauer, Bühnenkünstler, Graphiker, Journalisten, Maler, Musiker und Schriftsteller. Band 2. Wien: Daberkow 1892
- Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften. Band 30: Seuckenberg−Spaignart. Leipzig: Duncker & Humblot 1890
- Ludwig Eisenberg: Das geistige Wien. Künstler- und Schriftsteller-Lexikon. Mittheilungen über Wiener Architekten, Bildhauer, Bühnenkünstler, Graphiker, Journalisten, Maler, Musiker und Schriftsteller. Band 1. Wien: Daberkow 1889
- Wienbibliothek im Rathaus/Tagblattarchiv: Vogelsang, Karl von [Sign.: TP-054053]