Leo Schidrowitz
Leo (Leopold) Schidrowitz, * 20. März 1894 Wien, † 6. November 1956 Wien, Autor, Verleger, Sexualforscher, Sportfunktionär.
Biografie
Leo Schidrowitz wurde als jüngstes von drei Kindern in Wien geboren und wuchs im 2. Bezirk auf. Sein Vater Sigmund Schidrowitz stammte aus Trebitsch (Třebíč), einem bedeutenden Zentrum der mährischen jüdischen Gemeinschaft. Nach dem frühen Tod des Vaters kam seine Mutter Ernstine Schidrowitz, eine geborene Hirschenhauser, durch ihre Arbeit als Textilwarenhändlerin für den Lebensunterhalt der Familie auf. Leo Schidrowitz besuchte das Gymnasium und bereits 1914 publizierte er den Gedichtband "Am Abend zu lesen ...". Ab 1922 war er mit der Zeichnerin und Malerin Martha von Wagner verheiratet.
Autor und Verleger
Schon als junger Mann war Leo Schidrowitz als Journalist tätig, arbeitete unter anderem als Theaterkritiker für die "Wiener Mittags-Zeitung" oder die Kunstzeitschriften "Der Merker" und "Die Quelle". 1919 wurde er Redakteur beim Verlag Frisch & Co, 1920 gab er eine eigene Theaterzeitschrift mit Namen "Der Maßstab" heraus. 1921 veröffentlichte er im eigenen Gloriette-Verlag die Sammlung "Das schamlose Volkslied", eine Zusammenstellung einschlägiger Liedertexte, die den Beginn seiner Beschäftigung mit erotischen Werken markiert. Zwischen 1919 und 1926 verlegte er die Zeitschrift "Eros. Monatshefte für erotische Kunst" (Frisch & Co). In der Zwischenkriegszeit war Leo Schidrowitz eine schillernde Persönlichkeit des Wiener Verlagswesens. In unterschiedlichen Funktionen war er im Lyra Verlag, im Verlag Frisch & Co, im Gloriette-Verlag, im Leo Schidrowitz Verlag sowie im Verlag für Kulturforschung und den damit verflochtenen Zinnen-Verlag und Amonesta-Verlag tätig.
Das Wiener Institut für Sexualforschung
Leo Schidrowitz war zudem ein wichtiger Protagonist der Wiener Sexualforschung. Im April 1928 gründete er, in Anlehnung an Magnus Hirschfelds Institut für Sexualforschungin Berlin, das Wiener Institut für Sexualforschung, dessen Schriften im Verlag für Kulturforschung erschienen und das auch am Verlagssitz, am Kohlmarkt 7, untergebracht war. Das Institut verfügte über einen Veranstaltungsraum und eine Fachbibliothek, es fungierte als Beratungszentrum und organisierte Vorträge. Die Aktivitäten des Instituts lassen sich bis zu Beginn der 1930er Jahre nachweisen.
Im Verlag für Kulturforschung gab das Institut für Sexualforschung zahlreiche hochwertige und reich illustrierte Bände zur Sexualforschung heraus. So erschien von 1925 bis 1929 in zehn Bänden eine "Sittengeschichte der Kulturwelt und ihrer Entwicklung in Einzeldarstellungen", darunter die Werke "Sittengeschichte des Theaters" (1925) oder "Sittengeschichte des Proletariats" (1926). Auch Oskar Maria Grafs "Bayrisches Dekameron" (1928) erschien erstmals im Verlag für Kulturforschung. Von 1928 bis 1931 erschien in vier Bänden das vom Institut für Sexualforschung herausgegebene "Bilder-Lexikon der Erotik", welches rund 4.000 Einträge und 6.000 Abbildungen enthält. Unter den Autoren der Lexikon-Beiträge finden sich zeitgenössische Sexologen sowie Natur- und Geisteswissenschaftler ebenso wie nicht anerkannte Experten, teilweise wurden die Beiträge auch nicht namentlich gezeichnet. Als Leiter der Wiener Instituts für Sexualforschung hatte Leo Schidrowitz Kontakte zu vielen Sexualforschern, allerdings nicht zu Vertretern der Psychoanalyse (mit Ausnahme Wilhelm Stekels). Schidrowitz erhielt durch seine schriftstellerischen, verlegerischen und organisatorischen Tätigkeiten den Status einer Lokalgröße. Heimito von Doderer zeichnete von ihm im Roman "Die Dämonen" ein wenig schmeichelhaftes, antisemitisch gefärbtes Porträt.
Exil, Remigration und Sportpublizistik
Leo Schidrowitz, seiner Ehefrau und Tochter gelang die rechtzeitige Flucht aus dem nationalsozialistischen Wien, seine Schwestern wurde allerdings deportiert und ermordet. Über Paris flüchtete die Familie nach Brasilien, wo sie sich in Porto Allegro und später in Rio de Janeiro niederließ. Leo Schidrowitz wurde auch im Exil verlegerisch aktiv, seine Frau arbeitete als Illustratorin. 1949 kehrte er ohne Ehefrau und Tochter nach Wien zurück, widmete sich erneut dem journalistischen Schreiben und Verlegen und verfasste auch Rundfunkbeiträge. Nach seiner Rückkehr bis zu seinem Tod lebte er mit Viktoria Giller, mit der er bereits vor seiner Flucht eine Liebesbeziehung hatte, und deren Tochter zusammen. Unterbrochen wurde dieses Zusammenleben von der Zeit, als Martha Schidrowitz ebenfalls nach Wien zurückkehrte. Sein Hauptinteresse galt fortan dem Sport, vor allem Fußball. Bereits ab 1923 war er Vorstandsmitglied im SC Rapid gewesen, 1950 wurde er Propagandareferent des ÖFB (Österreichischen Fußballbundes). Er gründete mehrere Periodika (ab 1950 das "Österreichische Fußball-Blatt", ab 1953 das "Neue Sportblatt"), legte ein Bild-Dokumente und Zeitungsarchiv an und wurde zu einem wichtigen Chronisten des österreichischen Fußballs. "Die Geschichte des Fußballsports in Österreich" (1951) wurde sein bedeutsamstes Werk.
Quellen
Literatur
- Matthias Marschik: Chronist der Sexualität: Leo Schidrowitz (1894–1956). Im Niemandsland zwischen Erotik, Pornografie und Kulturanalyse. In: Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam. Wien: Metroverlag 2016, S. 106–111
- Ulrich Bach: Leo Schidrowitz' Bilder-Lexikon der Erotik (Wien: 1928–1931). In: Pornographie in der deutschen Literatur. Texte, Themen, Institutionen. Hg. von Sven Hanuschek und Christoph Rauen. München: belleville 2016, S. 267–274
- Matthias Marschik/ Georg Spitaler: Leo Schidrowitz. Autor und Verleger, Sexualforscher und Sportfunktionär. Berlin: Hentrich & Hentrich 2015
- Ernst Fischer: Verleger, Buchhändler und Antiquare aus Deutschland und Österreich in der Emigration nach 1933. Ein biographisches Handbuch. Elbingen: Verband deutscher Antiquare 2011, S. 268
- Volkmar Sigusch/ Günter Grau [Hg.]: Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt, New York: Campus Verlag 2009, S. 626–629
- Murray G. Hall / Gerhard Renner: Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren. Wien [ u.a.]: Böhlau 1992. (Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur, 23)
- Hans Giebisch / Gustav Gugitz: Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Hollinek 1963.