Matthias Sindelar
Matthias (oft auch Mathias) Sindelar, * 10. Februar 1903 Karlau bei Iglau (Mähren), † 23. Jänner 1939 Wien, Fußballspieler (Stürmer).
Biografie
Nach der Übersiedlung der Familie nach Wien und dem Tod des Vaters im Ersten Weltkrieg (1917) wuchs Sindelar in ärmlichen Verhältnissen auf (seine Mutter betrieb eine kleine Wäscherei, 10, Quellenstraße 75). In Favoriten waren damals die Vereine Rudolfshügel und Hertha die großen Rivalen; bei letzterem wurde Sindelars Talent entdeckt; 1923 spielte er erstmals in einem Match (gegen den FAC). Eine Meniskusverletzung (Sturz in einem Bad) setzte seiner Karriere fast ein Ende, hätte ihn nicht der Chirurg Hans Spitzy davor bewahrt. Sindelar, über die "Wiener Amateure" zur Austria gekommen, war am Aufstieg der sogenannten "Wiener Schule" maßgeblich beteiligt; das flache und engmaschige Kombinationsspiel war die Grundlage für die Erfolge des späteren Wunderteams, an dessen Erfolgen 1931–1934 er mit 27 erzielten Toren entscheidenden Anteil hatte. Zum letzten Mal in Wien spielte er am 27. November 1938, zum letzten Mal auswärts am 26. Dezember 1938. Friedrich Torberg setzte ihm ein literarisches Denkmal. Während seiner Karriere als Profifußballer arbeitete er zudem regelmäßig als Abteilungsleiter der Sportartikelfirma Pohl.
Nach ihm ist die Sindelargasse benannt. An der Fassade des Sterbehauses erinnert eine Gedenktafel an den Fußballspieler.
Wiener Fußballgeschichte - Matthias Sindelar, genannt der "Papierene"
Niemals, schrieb Hans Weigel 1950 in einer emphatischen Eloge auf die Wiener Austria, habe sich das große Wort vom "Spiel" so erfüllt wie bei ihm, nie sei der Fußballsport anmutiger, geistreicher, überlegener und entmaterialisierter betrieben worden. Er sei der Rastelli, der Nijinsky des Fußballs gewesen, ein Wunder, ein Künstler, ein Phänomen – "ein Genie im wahrsten und höchsten Sinn dieser Worte".
Tatsächlich sahen alle Wiener, die ihn gekannt haben, "also alle Wiener" (Friedrich Torberg) in Matthias Sindelar, diesem "Kind aus Favoriten", einen Künstler seines Faches, in dem sich die klassischen Wiener Tugenden der Leichtigkeit und der Grazie, des Humors und der etwas verschlampten Genialität idealtypisch verdichteten. Er galt den Wienern somit als ideale Projektionsfläche ihrer selbst. Sie erblickten in ihm den überragenden Schauspieler, von dem man niemals vorhersagen konnte, wie er die Rolle des Mittelstürmers jeweils interpretieren werde. Und dies wiederum legte – wie etwa Wiens größter Theaterkritiker, Alfred Polgar, in einem bewegenden Nachruf schrieb – durchaus Assoziationen zum finten- und facettenreichen Spiel etwa eines Schachgroßmeisters nahe.
Zentrale Spielerfigur der Wiener Austria und "Spielführer" des Wunderteams
Matthias Sindelar war von ganz unten gekommen. Er entstammte dem Milieu der so genannten "Ziegelbehm". Aufgewachsen in den Straßen der Favoritener Kreta reifte der Halbwaise zu einem wahren "Gstettn-Star" heran und stieß 1924, vom Sport Club Hertha kommend, zur Wiener Austria (damals noch Amateur-Sportverein). Seine schwächliche körperliche Konstitution und die daraus resultierende Fähigkeit, körperlich weit überlegene Gegner mit spielerischer Leichtigkeit aussteigen zu lassen, brachten ihm den (anfangs nur wenig ehrenvollen) Beinamen "der Papierene" ein. Seine überragende Balltechnik und Spielintelligenz ließen ihn bald zu der zentralen Figur der Wiener Austria wie auch des legendären, von Hugo Meisl gecoachten Wunderteams heranreifen. Er wurde zum Synonym für die hohe Wiener Fußballschule, die sich durch ein engmaschiges, schnelles, mit hoher Präzision in Szene gesetztes Kurzpassspiel auszeichnete, angereichert mit Raffinesse, Eleganz und Witz. Als "Spielführer" des Wunderteams und zweifacher Mitropacup-Sieger erreichte seine Popularität ungeahnte Höhen, die er als einer der ersten "Werbeprofis" auch entsprechend umzusetzen wusste. Sindelar bewarb Milchprodukte, agierte als Dressman und wirkte schließlich in einem Spielfilm mit dem Titel "Roxy und ihr Wunderteam" (Budapest 1937) mit.
Im Jänner 1939 verstarb der Papierene, zusammen mit seiner Freundin Camilla Castagnola, bei einem Gasunfall an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung. Die genaueren Umstände konnten nicht restlos geklärt werden und ließen Raum für Spekulationen. Die bereits in das Exil gedrängte Wiener Kaffeehausliteratur vermutete einen Suizid angesichts der politischen und moralischen Vereinnahmung der Stadt durch die Nationalsozialisten, was dazu beitrug, dass sich Sindelars Status als eine Ikone der Wiener Identität und Selbstbehauptung verfestigte. Zu diesem Zeitpunkt nicht allgemein bekannt gewesen sein dürfte, dass der Fußballspieler bereits im August 1938 die Vorgenehmigung zur Führung eines Kaffeehauses, das dem Vorbesitzer (und engen Freund Sindelars) Leopold Drill gehört hatte, erworben hatte. Sindelar hatte also als Ariseur von der nationalsozialistischen Entziehung jüdischen Eigentums profitiert.
Bilder
Hugo Meisl (3. von rechts) neben seiner Tochter Martha; Matthias Sindelar (2. von links) neben Mannschaftsarzt Dr. Emanuel Schwarz
Quellen
- Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, Wiberal: S1/50: Wunderteamstar Matthias Sindelar als Werbeträger für das Milchprodukt "Fru fru"
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Steuerkataster, K2/1: Zentralgewerberegisterkarte Matthias Sindelar
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv-Akten-Persönlichkeiten, A1: S39.1 - Verlassenschaftsabhandlung 28.1.1939 Matthias Sindelar
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 213a, A12: 3728/1939 - Totenbeschauprotokoll Matthias Sindelar, 1939
Literatur
- Die Eleganz des runden Leders: Wiener Fußball 1920-1965. Informationsblatt zur Ausstellung im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Wien: 2008, Text: Wolfgang Maderthaner, Wien (Eine Kooperation zwischen Wiener Stadt- und Landesarchiv und der Wienbibliothek im Rathaus)
- Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Die Wiener Schule. Eine Geschichte des Wiener Fußballs in elf Porträts. Wien: 2008, S. 5-6