Mira Lobe
Mira Lobe, * 17. September 1913 Görlitz, † 6. Februar 1995 Wien, Kinder- und Jugendbuchautorin.
Biografie
Als die jüngere von zwei Töchtern wurde Mira Lobe als Hilde Mirjam Rosenthal in eine jüdische, sozialdemokratisch-bürgerliche Familie geboren. Ihr Vater, Martin Paul Rosenthal, betrieb eine Destillat- und Likörfabrik. Er starb, als sie 14 Jahre alt war. Das Unternehmen wurde 1941 "arisiert". Mutter Elsa Rosenthal, geborene Matzdorff, war sozial engagiert sowie künstlerisch interessiert. Sie war Mitglied der lokalen literarischen Gesellschaft und des Kunstvereins. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte Mira Lobe das Luisengymnasium für höhere Töchter am Wilhelmsplatz. Nach dem Abitur ging sie nach Berlin. Ein Studium der Germanistik und Kunstgeschichte blieb ihr aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verwehrt. Sie besuchte daher eine Textil- und Modeschule. Parallel dazu lernte sie Hebräisch und bereitete sich auf die Emigration nach Palästina vor.
Exil in Palästina
Ab 1936 lebte sie in Tel Aviv und hielt sich mit verschiedenen Aushilfsarbeiten finanziell über Wasser. Sie war als Putzfrau und Hausgehilfin ebenso tätig wie später an einer Strickmaschine oder in einer Druckerei. 1940 heiratete sie den wesentlich älteren Schauspieler und Regisseur Friedrich Lobe (eigentlich: Löbenstein, 1894–1958), für den es die zweite Ehe war. 1943 wurde Tochter Claudia, 1947 Sohn Reinhardt geboren. Ermutigt durch ihren Ehemann begann Mira Lobe während der Schwangerschaft mit ihrem ersten Kind und zusätzlich zur Erwerbsarbeit an ihrem ersten Kinderbuch zu arbeiten. Bereits im Alter von zwölf Jahren hatte sie Geschichten verfasst, nun nahm sie das Schreiben wieder auf. 1947/48 veröffentlichte sie in Palästina ihre ersten Bücher, die in hebräischer Sprache erschienen und teils von ihr selbst illustriert wurden.
Kinder- und Jugendbuchautorin in Wien
1950 kam die Familie nach Wien, da Friedrich Lobe am Neuen Theater in der Scala Arbeit gefunden hatte. Mira Lobe, die marxistisch-kommunistischen Ideen nahestand und auch in die KPÖ eintrat, agierte im Umfeld des KPÖ-nahen Globus-Verlags. Regelmäßig publizierte sie in der von diesem Verlag herausgegebenen "Unsere Zeitung" und lernte dabei unter anderen Susi Weigel kennen. Die beiden Frauen gingen eine jahrzehntelange, äußerst erfolgreiche Zusammenarbeit ein. Ab 1954 illustrierte Weigel zahlreiche Texte Lobes. In Summe realisierte das Duo fast 50 Bücher. Viele dieser sogenannten "Mira-Susi-Bücher" gehören noch heute zu den Klassikern der österreichischen Kinderliteratur. Zu den bekanntesten Arbeiten der beiden zählen "Die Omama im Apfelbaum" (1965), "Das kleine Ich-bin-ich" (1972) und "Die Geggis" (1985). "Das kleine Ich-bin-ich" wurde in rund 20 Sprachen übersetzt.
Neben Susi Weigel arbeitete Mira Lobe auch mit Illustratorinnen und Illustratoren wie Angelika Kaufmann oder Winfried Opgenoorth sehr erfolgreich zusammen. Ihre Bücher erschienen in zahlreichen Verlagen wie etwa bei Waldheim-Eberle, im Globus-Verlag, dem Schönbrunn-Verlag, Jungbrunnen, Jugend und Volk, Dachs-Verlag, Ellermann und anderen.
1957 folgten Mira Lobe und die beiden Kinder Friedrich Lobe nach Ost-Berlin nach, der bereits im Jahr zuvor am Deutschen Theater engagiert worden war. Ebenfalls 1957 trat Mira Lobe aus Protest gegen die Niederschlagung des Ungarnaufstands aus der KPÖ aus. Nach nur einem Jahr kehrte die Familie nach Wien zurück und Mira Lobe nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an. Kurz darauf verstarb Friedrich Lobe. Später lebte sie mit Hans Goldschmidt (1908–1984), Buchhändler und ehemaliger Direktor des Globus-Buchverlags, in einer Beziehung.
Gemeinsam mit Ernst A. Ekker und Käthe Recheis war Lobe Mitbegründerin der Wiener Kinder- und JugendbuchautorInnen. Eine enge Freundschaft verband sie auch mit Oskar Jan Tauschinski. Für seine Anthologie "Der Eisstoß. Erzählungen aus den sieben verlorenen Jahren Österreichs" steuerte sie einen Text bei. In Tauschinskis Nachlass in der Wienbibliothek im Rathaus finden sich zahlreiche Korrespondenzstücke von Lobe, wie etwa gemeinsam mit Susi Weigel verschickte Weihnachtskarten.
In den 1960er-Jahren erwarb Mira Lobe ein Haus im niederösterreichischen Annaberg. Dorthin zog sie sich häufig zurück, empfang aber auch gerne Freundinnen und Freunde. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie im Maimonides-Zentrum, einem jüdischen Seniorenheim in Wien.
Mira Lobe war eine der beliebtesten und erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen Österreichs, sie veröffentlichte über 90 Bücher. Darin brachte sie Außenseitern, Menschen, die "anders" sind und Schwächeren große Sympathien entgegen. Der kindlichen Selbstbestimmung wurde darin ein hoher Stellenwert zugemessen. Häufig geht es in ihren Geschichten aber auch um die Integration von Individuen in soziale Zusammenhänge und um den Abbau von Vorurteilen.
Mira Lobe erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen. 1980 wurde sie als erste Trägerin überhaupt mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur (heute: Österreichischer Kunstpreis für Kinder- und Jugendliteratur) ausgezeichnet. Siebenmal wurde sie mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis geehrt, zwölfmal erhielt sie den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien, 18-mal erhielt sie einen der Anerkennungspreise des Kinder- und Jugendbuchpreises der Stadt Wien.
Ende 2023 übernahm die Wienbibliothek im Rathaus den Nachlass Mira Lobes, der 24 Archivboxen sowie ein Sonderformat enthält und aus Werken, Korrespondenzen, Lebensdokumenten sowie Sammelstücken besteht.
Werke (Auswahl)
- Mira Lobe: Insu-Pu [Hebräisch]. Tel Aviv: הוצאת ב. ליכטנפלד 1947
- Mira Lobe: Insu-Pu. Die Insel der verlorenen Kinder. Wien: Waldheim-Eberle 1951
- Mira Lobe: Anni und der Film. Mädchenroman. Wien: Globus 1953
- Mira Lobe: Ohne Hanni geht es nicht. München: Schneider [um 1960]
- Mira Lobe: Der Anderl. Der Speckbacher-Bub erzählt vom Tiroler Freiheitskampf 1809. Wien: Schönbrunn-Verlag 1955
- Mira Lobe: Bärli Hupf. Illustrationen von Susanne Weigel. Die ganz unglaubliche Geschichte von einem Teddybären und seinem Freund Kasperl. Wien: Schönbrunn-Verlag 1957
- Mira Lobe: Titi im Urwald. Illustrationen von Susi Weigel. Wien: Jungbrunnen 1957
- Mira Lobe: Bimbulli. Illustrationen von Susi Weigel. Wien: Jungbrunnen 1964
- Mira Lobe: Meister Thomas in St. Wolfgang. Erzählung. Wien/ München: Jugend & Volk 1965
- Mira Lobe: Die Omama im Apfelbaum. Illustrationen von Susi Weigel. Wien: Jungbrunnen 1965
- Mira Lobe: Der kleine Drache Fridolin. Illustrationen von Susi Weigel. Wien: Jugend & Volk 1969
- Mira Lobe: Das Städtchen Drumherum. Illustrationen von Susi Weigel. Wien, München: Jungbrunnen 1970
- Mira Lobe: Das kleine Ich bin ich. Illustrationen von Susi Weigel. Wien: Jungbrunnen 1972
- Mira Lobe: Der ist ganz anders als ihr glaubt. Illustrationen von Susi Weigel. Wien: Jungbrunnen 1976
- Mira Lobe: Christoph will ein Fest. Eine Geschichte. Illustrationen von Winfried Opgenoorth. Wien: Jungbrunnen 1984
- Mira Lobe: Die Geggis. Illustrationen von Susi Weigel. Wien: Jungbrunnen 1985
- Mira Lobe: Schweinchen Knut mit dem Hut. Eine Geschichte in Versen. München: Ellermann 1986
- Mira Lobe: Dobbi Dingsda fängt ein Monster. Illustrationen von Angelika Kaufmann. Wien/München: Jungbrunnen 1993
Quellen
- Wienbibliothek im Rathaus: Nachlass Mira Lobe
- Wienbibliothek im Rathaus: Teilnachlass Oskar Jan Tauschinski
Literatur
- Krzysztof Kłosowicz: Von Görlitz nach Wien – Mira Lobe (1913–1995). In: Krzysztof Huszcua / Edward Bialek (Hg.): Schlesisch-österreichische Kulturbeziehungen vom Barockzeitalter bis zur Gegenwart. Literatur – Theater – Politik. Wiesbaden: Harrassowitz 2023, S. 125–134
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 2. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2016, S. 2007–2009
- Georg Huemer: Mira Lobe. Doyenne der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur. Wien: Praesens Verlag 2015
- Ernst Seibert / Georg Huemer / Lisa Noggler: Ich bin ich. Mira Lobe und Susi Weigel (Sonderausstellung des Wien Museums 6. Nov. 2014–1. März 2015). Wien: Residenz Verlag 2014
- Heidi Lexe / Ernst Seibert [Hg.]: Mira Lobe. … in aller Kinderwelt. Wien: Edition Praesens 2005 (Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich, 7)
- Karl Müller: 1936: Mira Lobe emigrates to Palestine. In: Sander L. Gilman, Jack Zipes (Hg.): Yale companion to Jewish writing and thought in German culture 1096–1996. New Haven: Yale University Press 1997, S. 512–519
Mira Lobe im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.
Weblinks
- Website: Mira Lobe (Impressum: Reinhardt Lobe) [Stand: 21.03.2024]