Paul Federn
Paul Federn, * 13. Oktober 1871 Wien, † 4. Mai 1950 New York, Psychoanalytiker.
Biografie
Paul Federn war der Sohn des Arztes Josef Salomon Federn und von Ernestine Federn, geborene Spitzer. Die Mutter stammte aus der Familie des Benjamin Wolf Spitzer, der eine wichtige Kleidermacherdynastie begründet hatte. Sie selbst wurde Kunstschülerin bei Tina Blau-Lang und führte an der Seite Josef Salomon Federns das Leben einer großbürgerlichen Salonière. So rief sie beispielsweise den Verein "Soziale Hilfe" ins Leben und war an der Gründung der Kunstschule für Frauen und Mädchen beteiligt, aus der später die Wiener Frauenakademie hervorging.
Zunächst besuchte Federn das Akademische Gymnasium, an dem er 1889 die Reifeprüfung ablegte. Als junger Erwachsener führte Federn dann das Leben eines Bohemien, der durch seinen dunklen Teint, den üppigen Vollbart sowie wegen seiner Gewohnheit, mit großen, breitkrempigen Hüten und weiten Sakkos durch Wiens Straßen zu flanieren und galante Gespräche mit jungen Damen zu führen, als "Wiener Harun Al-Rashid" bekannt wurde.
Der Vater drängte seinen Sohn jedoch in ein geordnetes Leben und zum Medizinstudium, welches er 1895 mit der Promotion abschloss. Unter der Leitung von Hermann Nothnagel absolvierte Federn am Allgemeinen Krankenhaus seine Facharztausbildung zum Internisten und ließ sich 1902 als Facharzt für Innere Medizin mit eigener Praxis in der Spiegelgasse nieder. Über Nothnagel wurde er mit Sigmund Freud bekannt, der ihn 1903 in seine Psychologische Mittwoch-Gesellschaft aufnahm und in welcher er nach der Überführung der Vereinigung in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (1908) das Amt des Rechnungsprüfers übernahm.
Bereits 1905 hatte Paul Federn Wilma Bauer geheiratet. Aus der Ehe stammten die drei Kinder Anna (1905), Walter (1910) und Ernst (1914). Vor der Eheschließung war er zum evangelischen Glauben konvertiert, welchem auch Wilma Bauer angehörte.
Während des Ersten Weltkriegs diente Paul Federn als Militärarzt und trat nach dessen Ende der SDAP bei, um sich gemeinsam mit seiner Schwester Else und der Mutter im Wohlfahrtswesen zu engagieren. Als Bezirksrat der Inneren Stadt setzte sich der Mediziner unmittelbar nach dem Krieg für die Arbeiterkinder ein, die oft sich selbst überlassen und den Gefahren der Straße ausgeliefert waren. Über den Verein Wiener Settlement erhielten diese Kinder tagsüber ein Dach über dem Kopf, Betreuung und eine Mahlzeit. Die Grundsätze dieses philanthropischen Projektes legte Federn 1919 in seiner Veröffentlichung Zur Psychologie der Revolution: Die vaterlose Gesellschaft dar.
Nach dem Ersten Weltkrieg stieg Federn zum führenden Lehranalytiker der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und zu deren stellvertretendem Obmann auf. Sigmund Freud ernannte ihn 1922, als seine Gaumenkrebserkrankung diagnostiziert wurde, zu seinem persönlichen Nachfolger. Federns Wiener Tätigkeit wurde nur 1914 durch einen Lehraufenthalt in den USA unterbrochen.
Die wissenschaftlichen Leistungen Paul Federns liegen auf dem Gebiet der Psychosenforschung. Durch die von ihm entwickelte introspektive und phänomenologische Methode konnte er die Therapie der Psychose vorantreiben. Im Zentrum stand dabei das Konzept der "Ich-Grenzen", wonach Depersonalisation, Halluzination und Wahn auf Störungen des Ich-Gefühls der Erkrankten zu rückgeführt werden konnten. Paul Federn entwickelte die Freud'sche Libido- und Todestrieblehre weiter und machte diese für seine eigene Forschung nutzbar.
1938 musste Paul Federn Wien wegen seiner jüdischen Abstammung verlassen. Er konnte über Schweden in die USA emigrieren, wo er in New York seine wissenschaftliche und therapeutische Arbeit als Lehranalytiker der New York Psychoanalytic Society fortsetzte. Um eine Approbation zu erhalten, musste er sich erneut medizinischen Rigorosen stellen.
Im Herbst 1946 erkrankte Paul Federn an einem Karzinom, welches operativ nicht mehr behandelt werden konnte. Nach dem Tod seiner Frau Wilma (1949) und bedingt durch die Krebserkrankung musste Paul Federn seine Arbeit als Forscher und Therapeut einstellen. Am 4. Mai 1950 nahm er sich in New York das Leben, nachdem er alle seine Patientinnen und Patienten bei neuen Therapeuten untergebracht hatte. Seine letzte Ruhestätte fand Paul Federn auf dem Westchester Hills Cemetery in New York County.
Paul Federn war der Bruder des Juristen und Schriftstellers Karl Federn, des Nationalökonomen Walter Federn, der Schriftstellerin Marietta Federn sowie der Philanthropin Else Federn.
Quellen
Werke
- Paul Federn: Zur Psychologie der Revolution: Die vaterlose Gesellschaft. Wien / Leipzig: Suschitzky 1919
- Paul Federn: Das psychoanalytische Volksbuch. Seelenkunde, Hygiene, Krankheitskunde, Kulturkunde. Stuttgart: Hippokrates 1928
- Paul Federn: Hygiene des Geschlechtslebens für den Mann. Stuttgart: Hippokrates 1930
- Paul Federn: Das Ichgefühl im Traume. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1933
- Paul Federn: Nachbarhilfe für Arbeitslose. In: Blätter für das Wohlfahrtswesen, 32. Jg. (1933), Nr. 296
- Paul Federn: Zirkuläre Freundschaftsbeziehungen. Wien: Moritz Perles 1933
- Paul Federn: Die Ichbesetzung bei den Fehlleistungen. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1933
- Paul Federn: Die Psychosen-Analyse. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1933
- Paul Federn: Zunahme der Süchtigkeit. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1935
- Paul Federn: Psychoanalysis and Psychoses. Utica / USA: State Hospitals Press 1943
Literatur
- Gerhard Stumm [Hg.]: Personenlexikon der Psychotherapie. Wien: Springer 2005, S.135
- Élisabeth Roudinesco / Michael Plon: Wörterbuch der Psychoanalyse. Namen, Länder, Werke, Begriffe. Wien / New York: Springer 2004, S. 236 ff.
- Friedrich Stadler [Hg.]: Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940. Band 2. Münster: LIT-Verlag 2004
- Michael Paul [Hg.]: Frauengeschichten. Die Briefe an Paul Federn 1939–1949. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007
- Antiquariat Georg Fritsch [Hg.]: Katalog 16. Psychoanalyse. Autographen von Sigmund Freud. Aus der Bibliothek von Paul Federn. Fotografien – Dokumente – Bücher – Periodika. Wien: Eigenverlag 1999
- Werner Röder / Herbert A. Strauss: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 / International biographical dictionary of Central European émigrés 1933–1945. Hg. vom Institut für Zeitgeschichte München und von der Research Foundation for Jewish Immigration. München [u. a.]: Saur 1980–1999
- Werner Röder [Hg.]: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. International biographical dictionary of Central European émigrés 1933–1945. München: Saur 1980
- Isidor Fischer [Hg.]: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band 1: Aaser–Komoto. München: Urban & Schwarzenberg 1962
- Heinrich Meng: Aus meiner psychoanalytischen Anfangszeit. In: Acta psychotherapeutica et psychosomatica. Internationale Zeitschrift für Psychotherapie und Psychosomatik 10 (1962), S. 351 ff.
- Rathaus-Korrespondenz. Wien: Presse- und Informationsdienst 1945–lfd., 03.05.1960
- Offizielles Protokoll der Gesellschaft der Aerzte in Wien. Sitzung vom 5. Mai 1950. In: Wiener klinische Wochenschrift 20 (1950), S. 364