Quer durch Wien
"Quer durch Wien" war ein populärer Schwimmwettbewerb, der von 1912 bis 1938 im Donaukanal und zeitweise in der Wachau stattfand. Initiator und Organisator war einer der besten österreichischen Schwimmer, Leopold Mayer (unbekannt–1914). Die Strecke führte von der Nußdorfer Schleuse bis zur Kaiser-Joseph-Brücke (heute Stadionbrücke) und war fast zehn Kilometer lang. Bei elf Grad Celsius Wassertemperatur starteten im September 1912 erstmals achtzehn Teilnehmer*innen, angefeuert von rund 100.000 Zuschauer*innen. Erster Gewinner war Franz Schuh (1891–1936), nach ihm erreichte Else Straßhofer als Zweite das Ziel. Nach diesem erfolgreichen Start entwickelte sich "Quer durch Wien" zum jährlichen Großereignis.
Das Attentat auf das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar in Sarajewo führte 1914 zu einer Verschiebung des Wettbewerbs von Juni auf Juli. Ansonsten konnte "Quer durch Wien" kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch einmal stattfinden. Gewinner war Simon Orlik (1876–1942), den zweiten Platz belegte Bertha Zahourek.
Nach der kriegsbedingten Unterbrechung fand der nächste Wettbewerb im Juli 1919 unter adaptierten Bedingungen statt. Die Strecke führte nun von Nußdorf zur Sophienbrücke (heute Rotundenbrücke) und war somit auf siebeneinhalb Kilometer verkürzt worden. Um die Sicherheit zu verbessern war außerdem die Absolvierung einer Schwimmprüfung Voraussetzung für den Start. Rund 250.000 Zuschauer*innen feuerten auf den Ufern des Donaukanals die Schwimmer*innen im vierzehn Grad Celsius kalten Wasser an. Nach 47 Minuten und 40 Sekunden ging Fritz Kohn als Erster durch das Ziel, kurz später folgte Bertha Zahourek als Zweite.
1920 wurde "Quer durch Wien" vom Arbeiterschwimmverein, dem Schwimmverband und dem Regattaverein organisiert, der frühere Organisator Leopold Mayer war im Ersten Weltkrieg gestorben. Erstmals fanden auch Ruderwettbewerbe und ein Kunstspringen statt. Paddler und Ruderer starteten bei der Brigittabrücke, wie bei den Schwimmwettbewerben war das Ziel die Sophienbrücke. Ein Rekord konnte bei den Teilnehmenden verzeichnet werden. Mit 73 Schwimmerinnen und 293 Schwimmern starteten so viele wie nie zuvor oder je danach. Die Gewinner*innen waren Siegfried Brociner und Bertha Zahourek.
In den Anfangsjahren des "Roten Wien" fügte sich der Schwimmsport – mit ihm der Bewerb "Quer durch Wien" – in das Konzept des proletarischen "Neuen Menschen" ein und erfreute sich anhaltend großem Interesse. Bereits 1914 hatte nach Wiener Vorbild ein "Quer durch Berlin" stattgefunden, 1921 war es erstmals in Graz soweit.
Ende der 1920er Jahre gingen die Zuschauer*innenzahlen zurück. 1931 waren nur mehr rund 6000 Interessierte im Publikum. Grund war einerseits der immer beliebter werdende Fußball und andererseits die beginnenden antisemitischen Anfeindungen gegenüber jüdischen Sportler*innen. 1932 wurde der Wettkampf schließlich in die Wachau verlegt, die Strecke führte auf der Donau von Dürnstein nach Krems. Wie in den Vorjahren war der jüdische Schwimmklub Hakoah stark vertreten. Direkt nach dem Ende des Wettkampfes wurden dessen Mitglieder ohne Rechtfertigung disqualifiziert und von randalierenden Zuschauer*innen aus dem Ziel gejagt. Zum letzten Mal fand der Schwimmwettbewerb 1938 statt.
Weblinks
- Peter Payer: Kräftiger Jodler im kalten Wasser. In: Wiener Zeitung, 09.05.2015 [Stand: 10.04.2024]
- ASV Wien: Die Jahre 1915 bis 1926 [Stand: 10.04.2024]
- ASV Wien: Die Jahre 1927 – 1938 [Stand: 10.04.2024]
- GAK: Quer durch Graz [Stand: 10.04.2024]
- DÖW: Friederike (Fritzi) Löwy: "Du bist eine feige Jüdin!" [Stand: 10.04.2024]