Ringstraßenwettbewerb Projekt Nr.53
Devise: Das Herz muß mit dem Körper wachsen, so auch die Hauptstadt mit dem Reiche.
Verfasser: Valentin Streffleur
Ein Ausnahmeprojekt
Auch wenn in den Archiven und Sammlungen keiner seiner Pläne mehr erhalten zu sein scheint, kann man das eingereichte Konvolut aufgrund der Erwähnung sämtlicher Planunterlagen in der Denkschrift rekonstruieren. Insgesamt reichte Streffleur 16 Pläne ein, von denen alleine 14 nur die Donau betrafen. Die beiden übrigen Pläne stellten die topographischen Verhältnisse des Wiener Neustädter Beckens dar. Mit diesen wollte Streffleur einerseits die Wasserversorgung Wiens und andererseits seine Vorstellungen von Wien als militärischem Lager erläutern, wobei es auch um die damit in Verbindung stehenden Eisenbahnlinien ging. Alle Pläne gingen auf den Schwerpunkt seines Wettbewerbsbeitrages ein, den er auch in der Denkschrift ausführte. Seine anfangs gestellte Frage lautete: "Bei dem Entwurfe dieser Vorschläge muß man sich vor Allem fragen, welches eigentlich die praktischen Bedürfnisse der Bevölkerung Wiens seien?" Seine Antwort lautete, dass sowohl Handel und Industrie als auch das Individuum mit wirtschaftlichen Belangen befasst waren. Damit diese in ausreichendem Masse stattfinden könnten, müssten verschiedene Bauten hergestellt werden, die die Bevölkerung Wiens unterstützten. Streffleur war ein systemischer Denker und ging von der Frage aus, welche zukünftige Stellung Wien innerhalb des Reiches und Europa einnehmen sollte. Um sinnvolle Entscheidungem zur Stadterweiterung und Regulierung derselben treffen zu können, musste man sich seiner Meinung nach mit dem gesamten Stadtgebiet auseinandersetzen. Sein Hauptinteresse betraf demzufolge vier Punkte: "1. Die handelspolitischen Anstalten namentlich die Donauregulirung, und das Central-Eisenbahnnetz, 2. Die militärischen Rücksichten, 3. Die Zubauten, und 4. Die Anstalten für das gesunde innere Leben, für die Bequemlichkeit, wozu besonders die Angelegenheit der Unrathskanäle und die Versorgung mit Trinkwasser zu zählen sind."
Er sah ein übergeordnetes Verkehrsnetz für die Stadt vor, das sich aus der Lage und Topographie Wiens ergeben sollte. Es ging ihm nicht nur um das Straßennetz, sondern auch um Stadtbahnen, mit denen man – und hier bringt er bereits visionäre stadtplanerische Überlegungen vor – die Bewohner der Stadt gleichmäßig auf das zukünftige Stadtgebiet hätte verteilen können. Ein funktionales Verkehrssystem bestand für ihn in einer spinnennetzartigen Anlage, bestehend aus radialen und ringförmigen Straßen und Bahnlinien. Zu den vorgeschlagenen drei Ringen – der Boulevard, die Umwallungsstraße (heutiger Gürtel) und die Umwallungsbahn (im Bereich der Vororte) – schlug er schließlich noch eine vierte ringförmige Straße vor, die die Vorstädte durchschnitten und verbunden hätte.
Für die Anlage der neuen innerstädtischen Straßen sollten militärische Vorstellungen, konkret die "Bestreichungslinien", als Grundlage des Entwurfes dienen. Einer seiner Grundsätze war deshalb auch die Straßen so gerade wie möglich anzulegen.
Vorhandene Prachtbauten sollten, sofern sie eingebaut waren, frei gestellt werden, neu zu erbauende in Gruppen verteilt werden. Um auch für Wien die infrastrukturellen Grundlagen für große Ausstellungen bis hin zu Weltausstellungen zu schaffen, schlug Streffleur ein "Industrie-Ausstellungsgebäude" vor, das später als "Central-Waarenhalle" hätte verwendet werden können.
Wie andere Wettbewerbsteilnehmer, wollte er auch die Chance des bestehenden Stadtgrabens nicht ungenützt lassen und schlug Tunnel als Lagerräumlichkeiten für verschiedene Nutzer vor.
Auf Grünräume im neuen Stadtteil ging er nur mit einem einzigen Satz ein. Er präferierte eine ausreichende Anzahl an Quartiersplätzen, auf die dann die Wohnbauten ausgerichtet würden, gegenüber Wohnbauten mit Vorgärten.
Zur Infrastruktur der Stadt – Wasserversorgung und Kanalisation – entwickelte Streffleur sein profundes Wissen über die technischen Möglichkeiten einer funktionierenden Wasserversorgung in extenso. Er verwies etwa auf die Hamburger Kanalisation und auf den Umstand, dass Graz, wo das Senkgrubensystem in Anwendung war, noch nie von einer Choleraepidemie heimgesucht worden war.
Streffleurs ingenieurwissenschaftlich geprägter Stadterweiterungsentwurf basierte auf seinen technischen Überlegungen zu einer Donauregulierung, zur Wasserversorgung und Kanalisation unter Berücksichtigung der vorhandenen Bauten der Stadtbefestigung sowie der Topographie der Stadt. Städtebaulich liegen uns nur spärliche Informationen vor, die sich vor allem auf den Bereich des Verkehrssystems konzentreiren.[1]
Siehe auch:
- Ringstraße
- Ringstraßenwettbewerb
- Ringstraße (Arbeiterschaft)
- Ringstraße (Bewohner)
- Ringstraße (Viertel)
Quellen
Einzelnachweise
- ↑ Zum Ringstraßenwettbewerb siehe: Harald R. Stühlinger, Der Wettbewerb zur Wiener Ringstraße, Birkhäuser, Basel 2015