Kanalisation
Bereits früh begannen die Wiener, Schmutzwasser abzuleiten, bzw. die Donaulandschaft regulieren zu wollen. Das heutige Kanalsystem erstreckt sich auf rund 2.500 Kilometer und transportiert täglich eine halbe Milliarde Liter Abwasser für die 99,8% der vernetzten Wiener Haushalte (Stand 2023). Zu weltweiter Bekanntheit kam die Wiener Kanalisation durch Carol Reeds "Der dritte Mann", einer der bekanntesten internationalen Filmproduktionen mit Wien als Schauplatz.
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Geschichte
Das Bestreben, die im Haushalt anfallenden Schmutzwässer und die Abfallwässer der gewerblichen Betriebe möglichst rasch mit Hilfe unterirdischer Ableitungen (Mörungen, Kanäle) abzuleiten, lässt sich in Wien bereits im Mittelalter durch Grabungsfunde und Stadtrechnungen nachweisen. Durch die Niveauunterschiede im Stadtgebiet begünstigt, mündeten die Ableitungen in offene Wasserläufe (unter anderem Donaukanal, Wienfluss mit seinen Mühlbächen, Als, Ottakringer Bach, Schmidtgraben in der Roßau, Währinger Bach). Auf eine Weiterführung und den geregelten Ausbau eines Kanalnetzes wurde nicht Bedacht genommen. Die nach der Zweiten Türkenbelagerung (1683) entstandenen Gebäude erhielten großteils Ableitungen in Straßenkanäle. Am 24. November 1706 forderte die Regierung die Hauseigentümer, deren Häuser Senkgruben besaßen, auf, diese aufzulassen und sie gegen eine Gebühr an die städtischen Kanäle anzuschließen.
Am 5. Mai 1753 beauftragte Maria Theresia die Stadt, nach Tunlichkeit Hauptkanäle herzustellen und die Hausbesitzer anzuhalten, ihre Nebenkanäle an die Straßenkanäle anzuschließen. Während die Stadt innerhalb der Basteien Mitte des 18. Jahrhunderts fast vollständig kanalisiert war, machten die Vorstädte nur langsame Fortschritte. 1792 forderte eine Kommission zur Bekämpfung der steigenden Menge an Schmutzstoffen die Herstellung von Sammelkanälen. 1830 waren in der Stadt circa 20 Kilometer und in den Vorstädten circa 90 Kilometer Straßenkanäle vorhanden; von den damals 8.037 Häusern waren 6.830 an das Kanalnetz angeschlossen.
Hauptkanäle
Die mit den Überschwemmungen und der Verseuchung des Wassers der Hausbrunnen zusammenhängende Choleraepidemie (1831/1832; siehe Cholera und Cholerakanäle) gab den Ausschlag für den Bau des rechtsseitigen (1831-1834; Länge 4.873 Meter) und linksseitigen Wienflusssammelkanals (1836-1839), erste Überlegungen zur Verbesserung der Wasserversorgung (Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung) sowie in weiterer Folge (im Bereich der Vorstädte) für die Einwölbung des Ottakringer Bachs (1837-1840), der Als (1840-1843), des Währinger Bachs (1848), des Döblinger Bachs (1849) und des Schmidtgrabens (1850) auf Kosten der Gemeinde Wien aufgrund einer kaiserlichen Anordnung.
Nach einem Jahrzehnt der Stagnation begann Anfang der 1860er Jahre, bedingt durch die Bautätigkeit nach dem Abbruch der Befestigungsanlagen, eine Entwässerung des Stadterweiterungsgebiets, die einen Umbau der Ottakringer-Bach-Einwölbung und des linken Wienflusssammelkanals erforderte (1861-1874). Nach dem Vorbild ausländischer städtischen Kanalisationen (London, Frankfurt am Main, Danzig und andere) sowie neuer technischer Erkenntnisse wurde eine einheitliche Kanalisation der Brigittenau, Favoritens und der Donaustadt (2; nicht zu verwechseln mit dem heutigen 22. Bezirk) mit Betonkanälen durchgeführt.
Ab 1890 konzentrierten sich die Arbeiten auf die eingemeindeten Vororte, in diesen gab es 1862 ein Kanalnetz in der Länge von 32,3 Kilometer, 1880 von 103,9 Kilometer und 1890 von 177,5 Kilometer.
Von 1891 bis 1903 erfolgte im Vorortbereich die Einwölbung von Krottenbach (Donaukanal bis Oberdöbling), Währinger Bach, Alser Bach (Hernalser Friedhof bis Neuwaldegg), Arbesbach, Ameisbach, Ottakringer Bach, Lainzerbach, Roterdbach, Halterbach (Dornbach) und Nesselbach, die als Bachkanäle verwendet wurden.
Mit Gesetz vom 18. Juli 1892 wurde die Regulierung des Donaukanals samt Ausführung von Sammelkanälen beschlossen (linker Sammelkanal 1893/1894, rechter Sammelkanal 1894-1904). Jede direkte Einmündung von Unratstoffen in den das verbaute Stadtgebiet durchfließenden Kanal war damit unterbunden.
Das Gebiet von Kaisermühlen wurde von 1895 bis 1897 mit direkter Ausmündung in den Donauhauptstrom kanalisiert, ein mit Leuchtgas betriebenes Pumpwerk trat bei Donauhochwasser in Aktion. Die 1904 eingemeindeten Gemeinden am linken Donauufer waren großteils bereits kanalisiert, und die Kanäle mündeten ebenfalls in die Donau (Projekte von Moritz Willfort, 1886-1901; Floridsdorfer und Donaufelder Sammelkanal, jeweils mit Pumpwerken).
Wiener Kanalisation im 20. Jahrhundert
Das Wiener Stadtgebiet ist zum größten Teil nach dem Mischsystem kanalisiert (das heißt dass Schmutz- und Regenwasser gemeinsam abgeleitet werden). Die Senkgrubenleerung übernahm die Stadt. Die Entleerung erfolgte in einen Sammler, der besonders starke Wasserführung (Verdünnungsbecken) besitzen musste. In der Ersten Republik erfolgte verstärkt der Austausch vieler Ziegelkanäle und der Ausbau der Hauskanäle.
Bis einschließlich des Jahres 1914, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, ist ein ständiger Ausbau des Kanalbaus zu beobachten. Die Länge des Wiener Kanalnetzes betrug zu diesem Zeitpunkt mehr als 900 Kilometer an Straßenkanälen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 hatte eine Einschränkung der Kanalbautätigkeit zur Folge. Der im Jahr 1944 einsetzende Bombenkrieg zog auch die Wiener Kanalisation stark in Mitleidenschaft. Insgesamt wurden mehr als 1.700 Schäden am Kanalnetz durch Bombentreffer verzeichnet. Die Instandsetzung der Schäden dauerte bis 1950.
1938 wurde der seit 1912 geplante Ausbau der Liesingtalsammelkanäle fortgesetzt, die Bautätigkeit sank jedoch kriegsbedingt und beschränkte sich bis 1950 vorwiegend auf Instandsetzungsarbeiten. Der 1913 begonnene und 1921 ins Stocken geratene Leopoldauer Sammelkanal wurde in der Folge ebenso fertiggestellt wie die Sammelkanäle von Kaiserebersdorf, Siebenhirten und Hetzendorf-Altmannsdorf (1950-1953).
Das 1940 aufgekommene Projekt einer Kläranlage in Inzersdorf (Kläranlage Gelbe Haide) wurde 1947-1951 realisiert (1980 abgetragen). 1967 begann der Bau der mechanisch-biologischen Kläranlage Inzersdorf-Blumental, 1969 jener der Hauptkläranlage für Wien in Simmering (EbS; Entsorgungsbetriebe Simmering). Das Netzausbauprogramm sieht die Vollkanalisation aller Haushalte bis 1996 vor. Darüber hinaus werden Kanäle zur Erschließung von Betriebsbaugebieten, für die Aufschließung von Stadterweiterungsflächen, zur Freimachung geplanter U-Bahn-Trassen sowie ein Sammelkanal am rechten Donaukanalufer errichtet (Fertigstellung von der Hauptkläranlage bis Nußdorf 2000). Die Länge des Straßenkanalnetzes hat bis 31. Dezember 1993 eine Länge von 1.847,579 Kilometer erreicht.
Wiener Kanalisation im 21. Jahrhundert
Im Jahr 2000 wies das öffentliche Wiener Kanalnetz eine Länge von 1.975 Kilometern auf. Die Ausbauarbeiten am Abwassersystem konzentrieren sich vor allem auf Siedlungsgebiete im 21. und 22. Bezirk sowie die zahlreichen Stadtentwicklungs- und Stadterneuerungsgebiete, wie das Areal um den Hauptbahnhof und die Seestadt Aspern. Bis 2017 wuchs das Leitungsnetz um 485 Kilometer auf 2.460 Kilometer an, wodurch 99,8 Prozent aller Wiener Haushalte über einen Anschluss an das städtische Kanalnetz verfügten.
Einen weiteren Schwerpunkt stellten die Ausbauarbeiten zum Überflutungsschutz im 10. und 11. Bezirk dar. Der Klimawandel und damit verbundene, immer häufigere Starkregenereignisse brachten das Kanalsystem in der Wienerfeldsiedlung und in Simmering / Kaiserebersdorf an seine Grenzen. Mit dem Speicherbecken Simmering in der Haidestraße 10 wurde der letzte Baustein einer in der Folge insgesamt 86 Millionen Liter Regenwasser fassenden Speicherkette in und um den 11. Bezirk fertiggestellt. Mit dem Speicherbecken Wienerfeldsiedlung in der Neilreichgasse und den damit verbundenen Staukanälen in der Eisenmengergasse und Per-Albin-Hansson-Straße im 10., sowie der Hochwassergasse im 23. Bezirk, verfügt Wien Kanal für dieses Areal über ein Speichervolumen bei Regenwetter von rund vier Millionen Liter Wasser.
Zur Steuerung und Überwachung des gesamten Kanalsystems wurde ein computergesteuertes Leitsystem entwickelt. Die Leitwarte befindet sich auf der Donauinsel unweit der Steinspornbrücke. Das System arbeitet in Echtzeit und kann auf sämtliche Wetterszenarien reagieren und unterschiedliche Betriebsarten steuern. Die Abwässer der Stadt werden damit bei Regenfällen im Kanalnetz durch aktive Maßnahmen gespeichert und langsam an die Hauptkläranlage abgegeben.
Zuständigkeiten
Die Kammeramtsrechnungen erwähnen ab 1435 bis 1479 beinahe jährlich Ausgaben für diverse Arbeiten an unterschiedlichen Mörungen. Mit der Teilung des Kammeramtes 1485 fielen die Kompetenzen für die Instandhaltung der Möhrungen an das Unterkammeramt, das ab 1849 offiziell die Benennung 'Städtisches Bauamt' führte. Mit 1. Jänner 1893 wurde im Rahmen der Bauamtsabteilung die Fachabteilung IV – Straßen- und Kanalbau geschaffen. Diese ging 1920 in die Magistratsabteilung 30 über, aus der sich die 2009 ausgliederte Unternehmung Wien Kanal entwickelte.
Siehe auch
- Kanal
- Kanalisation in Vindobona
- Kanalisation im Mittelalter
- Mörung
- Kanalisation von 1683 bis 1830
- Kanalisation im 19. Jahrhundert
- Kanal- und Senkgrubenräumer
- Bachkanäle
- Donaukanal
- Donau-Oder-Kanal
- Wiental Kanal
- Wiener Neustädter Kanal
- Kanalisation (Karten)
- Wien Kanal
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv-Akten B: 1406: Kanalisierung der Inneren Stadt, 1858
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Unterkammeramt, A1/2: Kanaleinleitungsreverse, 1751-1777
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Unterkammeramt, A2: P1 - Kanalsachen 1829-1834
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Unterkammeramt, A2: P2 - Kanalsachen 1630-1826
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Unterkammeramt, A18: Faszikel 8, 1836-1875: Kanalisation, Straßenpflege, Anstandorte, ab 1852 fällt die Kanalisation unter Fasz. 9
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Unterkammeramt, A19 - Faszikel 9, 1836-1875: Marktwesen, Kanalisation
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartografische Sammlung, P1: 249.18
Literatur
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Ein Führer. Band 3/1: Wien. 1.-12. Bezirk. Salzburg: Residenz-Verlag 1990, S. 37
- Christian Gantner: Vom Bach zum Bachkanal: ein Beitrag zur Geschichte der Wiener Kanalisation. Wien: Bohmann, 2008
- Paul Kortz: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hg. vom Oesterreichischen Ingenieur und Architekten-Verein. Wien: Gerlach & Wiedling 1905. Band 1, 1905, S. 193 ff.
- Heinz Krejci: Expedition in die Kulturgeschichte des Abwassers. Wien: Stadt Wien/MA30 - Wienkanal 2004
- Ferdinand Lettmayer [Hg.]: Wien um die Mitte des XX. Jahrhunderts - ein Querschnitt durch Landschaft, Geschichte, soziale und technische Einrichtungen, wirtschaftliche und politische Stellung und durch das kulturelle Leben. Wien: Verl. für Jugend u. Volk 1958, S. 713 ff.
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740-1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1), S. 525 ff.
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1896-1934. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 2), S. 868 ff.
- Hans Stadler: Die Entwässerungsanlagen der Stadt Wien. Wien: Mag.-Abt. 30 1960
- Die Tätigkeit des Wiener Stadtbauamtes und der Städtischen Unternehmungen technischer Richtung in der Zeit von 1935 bis 1965. 2 (1974), Kapitel XIII
- Die Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien, Jahrgänge 1950-1992