Kanalisation im 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert stellt in der Stadtgeschichte die Periode dar, in der sich die Struktur der Stadt, wie wir sie heute kennen, formierte. War sie zu dessen Beginn im Kern noch mittelalterlich, so ist Wien am Ende dieses "langen Jahrhunderts" eine moderne Großstadt. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Kanalisation, deren Ausbau allerdings stets auf die Entwicklung der Stadt reagierte, nicht aber ihr vorausgriff.
Trotz eines gewissen Problembewusstseins stockt der Ausbau der Kanalisation zu Beginn des Jahrhunderts. Erst die Choleraepidemie von 1831 führt den verantwortlichen Kräften die dringende Notwendigkeit der Assanierung vor Augen, und so wird noch im selben Jahr mit dem Bau des rechten Wienfluss-Sammelkanals begonnen. Bis zum Jahr 1839 waren die Entlastungskanäle auf beiden Seiten der Wien zwischen den Linien und dem Donaukanal fertig gestellt. Bis 1850 konnte die Kanalisierung der Bäche innerhalb der Linien abgeschlossen werden. Das damit die Problematik keineswegs zufriedenstellend gelöst war, zeigten die immer wiederkehrenden Choleraepidemien (zuletzt 1873) sowie die kaum rückläufige Typhus-Sterblichkeit.
Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung dieser Missstände wurde 1864 mit der Umgestaltung des Stadtphysikats unternommen, welches durch seine jährlichen Berichte viel zum Sanitäts-Diskurs beitrug. Auch in Bauordnungen (1859, 1868, 1883) lässt sich diesbezüglich ein Fortschritt ablesen: Die Bestimmungen was die Anzahl der Aborte, die Senkgruben und die Herstellung der Hauskanäle (Mörungen) betrifft, wurden immer strenger und nahmen mehr und mehr Platz ein. Dies galt natürlich nur für die Neubauten und so gab es immer noch viele Quartiere, die diese neuen Standards bei weitem nicht erfüllten. Da viele HausbesitzerInnen äußerst säumig bei der Räumung von Senkgruben und Hauskanälen waren, übernahm die Stadtverwaltung diese Aufgaben schrittweise bis 1869.
Ein weiterer wichtiger Diskurs dieser Jahre war die Frage, ob der Schwemmkanalisation oder dem Tonnensystem der Vorzug zu geben sei. Bei einer Konferenz zu diesem Thema am Rande der Weltausstellung 1873, wurden die Vorzüge der Schwemmkanalistion erörtert, sodass man sich ab diesem Zeitpunkt endgültig für dieses System entschied.
Ein weiteres Problem stellte die organisatorische Trennung zwischen der Stadt und den noch zu Niederösterreich gehörigen Vororten dar. Die rasch wachsenden Vororte waren gegenüber den inneren Bezirken weitaus schlechter kanalisiert und vor allem entlang der Wien siedelten viele abwasserintensive Industriebetriebe vor der Stadtgrenze (Wasserverschmutzung Wienfluss). Dieser, vom Stadtphysikat oft kritisierte, Missstand konnte erst mit der Eingemeindung der westlichen Vororte 1890 behoben werden.
1883 wurde die Herstellung von Hauptsammelkanälen entlang des Donaukanals beschlossen, deren Fertigstellung sich allerdings verzögerte. So wurde der linke Hauptsammelkanal erst 1894 (Baubeginn 1890), der ungleich kompliziertere rechte Hauptsammelkanal erst 1902 (Baubeginn 1894) fertiggestellt. Weitere wichtige Projekte des ausgehenden Jahrhunderts war die Einwölbung der Bachkanäle in den Vororten, sowie die Wienflussregulierung und die Fortführung der Wienflusssammler bis an die Stadtgrenze.
Siehe auch
- Kanal
- Kanalisation
- Kanalisation in Vindobona
- Kanalisation im Mittelalter
- Kanalisation von 1683 bis 1830
- Wien Kanal
- Kanalisation (Karten)
Quellen
Literatur
- Gerhard Meißl: Hochquellenleitungen und Unratschiffe. Zur Geschichte der Wiener Wasserver- und -entsorgung vor 1914. In: Sylvia Hahn, Reinhold Reith [Hg.]: Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder Forschungsansätze Perspektiven. Wien: Verlag für Geschichte und Politik Wien Oldenburg Wissenschaftsverlag München 2001, S. 157-179
- Hans Stadler: Die Entwässerungsanlagen der Stadt Wien. Wien: Mag.-Abt. 30 1960
- Christian Gantner: Vom Bach zum Bachkanal: ein Beitrag zur Geschichte der Wiener Kanalisation. Wien: Bohmann, 2008
- Heinz Krejci: Expedition in die Kulturgeschichte des Abwassers. Wien: Stadt Wien/MA30 - Wienkanal 2004