Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung
Die 1841 eröffnete „Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung" war die erste Wasserleitung, die auch große Teile der Wiener Vorstädte versorgte. Namensgeber war Kaiser Ferdinand I., der 1835 die ihm zugedachten Krönungsgeschenke (darunter 20.000 Gulden von der Stadt Wien) für den Bau einer neuen Wasserleitung widmete. Die Wasserleitung war notwendig geworden, da sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Bevölkerungszahl um rund 40 Prozent erhöht hatte und die Choleraepidemie 1831/1832 die gesundheitlichen Gefahren deutlich gemacht hatte, die sich aus der schlechten Trinkwasserqualität ergaben. Hausbrunnen waren nämlich durch Abwässer verunreinigt.
Anregung und Bau
Die Wasserleitung wurde vom Präsidenten der Niederösterreichischen Landesregierung, Johann Freiherr Talatzko von Gestieticz, angeregt, der sich bereits bei der Bekämpfung der Choleraepidemie Verdienste erworben hatte und dafür zum Ehrenbürger ernannt worden war. Die Idee war es, das schotterige Becken der Donau, welches teils von dem der Donau zusickernden Grundwasser, vom Land her, teils von dem vom Donaukanal eindringenden Flusswasser gesättigt ist, zur Gewinnung von Wasser für die Versorgung der Stadt zu gewinnen. Nach Baubeginn 1836 konnte die Wasserleitung 1841 zum Teil in Betrieb genommen werden, doch ergaben sich finanzielle Schwierigkeiten, und die Vollendung des Werks war in Frage gestellt. 1843 wurde die Verantwortung für die Weiterführung der Arbeiten und die Aufbringung der Mittel dem Wiener Magistrat übertragen, dem es gelang, die Wasserleitung 1846 zu vollenden (aus diesem Anlass wurde eine Medaille geprägt[1]).
Das durch Schotterboden filtrierte Wasser wurde unweit der Nußdorfer Linie in der Spittelau mittels Saugkanälen dem Donaukanal entnommen. Eine mit Dampfkraft betriebene Pumpe sollte täglich 100.000 Eimer aus einem in das schotterige Terrain des Donaukanals eingesenkten Saugkanal von etwas mehr als 20 Klafter Länge fördern. In der Realität konnte allerdings nicht einmal die Hälfte der erstrebten Menge zur Verfügung gestellt werden. Technische und finanzielle Unzulänglichkeiten begleiteten den Wasserleitungsbau in der Folge.
Baulichkeiten
Das Maschinenhaus der Wasserleitung stand an der Adresse 9., Wasserleitungsstraße (ab 1906 Materialdepot, 1965 anlässlich der Errichtung der städtischen Müllverbrennungsanlage abgetragen), ein Wasserturm gegenüber von Michelbeuern wurde 1836-1841 von Paul Sprenger am Währinger Gürtel bei der Antonigasse (18., Anton-Baumann-Park) errichtet, ein zweiter Wasserbehälter stand in Neulerchenfeld in der Nähe der Breitenfelder Kirche. Der dritte befand sich im Bereich des heutigen Urban-Loritz-Platzes. Das von diesen Behältern gespeiste Rohrnetz erreichte bis 1871 eine Länge von 90 Kilometern.
Der Verlauf der Wasserleitung
- a) Von Döbling über die Währinger Straße zum Michaelerplatz:
Von der Döblinger Hauptstraße führte der Verlauf durch die Nußdorfer Linie, die Währinger Linienstraße, Alserbachstraße und Währinger Straße zum Schottentor in Privathäuser, weiter über den Stadtgraben, die Schottengasse und die Herrengasse zum Michaelerplatz. Ferner wurden das Schlickpalais, das Schottenstift, das Kinskypalais, das Harrachpalais, die Nationalbank, das Liechtensteinsches Majoratshaus, das Statthaltereigebäude, der Klosterneuburger Hof und die Salzgrieskaserne versorgt.
- b) Das Währinger bzw. Michelbeuern-Reservoir:
Aus dem Währinger Wasserturm auf dem Michelbayrischen Grund führte eine Leitung in den Narrenturm, in das Alte Allgemeine Krankenhaus, in das Findelhaus in der Alser Straße und zum Landesgerichtsgebäude I. Von dort führte eine Abzweigung zum Garnisonsspital I, der Gewehrfabrik und dem Waisenhaus.
c) Das Neulerchenfelder Reservoir:
Aus diesem Reservoir führte eine Leitung in die Josefstadt (Vorstadt) zur Josefstädter Straße in Richtung Glacis und versorgte u.a. die Josefstädter Kaserne
d) Das Reservoir auf der Schmelz:
Von diesem größten der Wasserbehälter zweigten fünf Leitungen ab. Der erste Arm führt über die Burggasse zur Hofburg und dotierte das Erzbischöfliche Palais und das Alte Rathaus sowie u.a. Gebäude am Michaelerplatz, Judengasse, Himmelpfortgasse und Seilerstätte.
Der zweite Arm versorgte die Vorstädte Schottenfeld, Neubau und Spittelberg. Ein Nebenarm führte zur Neubaugasse und durch die Gumpendorfer Straße zum Glacis am Getreidemarkt mit Ausläufern in der Lerchenfelder Straße und der Mariahilfer Straße.
Der dritte Hauptarm durchzog das Schottenfeld, die Kaiserstraße, Mariahilfer Straße, Stumpergasse bis zur Gumpendorfer Kirche beim Wienfluss; das Wasser dieses Zweigs wurde für diverse Gewerbe, etwa das Gumpendorfer Schlachthaus, verwendet.
Der vierte Hauptarm dotierte die Vorstädte Wieden und Margareten, darunter auch das Belvedere und öffentliche Brunnen.
Verlauf der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung von der Jörgerstraße bis nach Döbling entlang des Hernalser und Währinger Gürtels
Erweiterungen
Wenige Jahre nach Vollendung der Wasserleitung erwies sie sich bereits als zu wenig ergiebig, sodass an Erweiterungen gedacht werden musste. Eine solche konnte durch eine Verlängerung der Saugkanäle auf 340 Meter erreicht werden. Als das Wasser in der Folge nicht nur in öffentliche Auslaufbrunnen, sondern auch in Häuser eingeleitet wurde, musste die Wasserleitung neuerlich erweitert werden. 1853/1854 wurde ein Filtrationsbecken errichtet, dessen Wasserqualität nur anfangs entsprach, sich aber später, da eine Regeneration des Filterkörpers nicht vorgesehen war, rapid verschlechterte. 1854 kam es zu einer neuerlich Choleraepidemie. 1859 wurde ein weiterer Saugkanal angelegt. Mit Hilfe einer Dampfmaschine konnte die Leistungsfähigkeit der gesamten Wasserleitung auf 10.000 m³/Tag erweitert werden. Damit war die Versorgung von 264 öffentlichen Brunnen, 831 Privathäusern und 57 Feuerlöschhydranten möglich. 1870 standen (auf die Bevölkerung Wiens umgelegt) pro Kopf 16 Liter Wasser zur Verfügung. Die Wasserqualität verschlechterte sich allerdings in gesundheitsgefährdendem Ausmaß. 1873 kam es zu Beginn der Weltausstellung zu einer letzten Choleraepidemie . Eine endgültige Lösung wurde erst gefunden, als 1866 der Bau der Ersten Hochquellenleitung beschlossen wurde (Beschluss des Bauprojekts zur Ersten Hochquellenleitung).
1907 fixierte der Gemeinderat die Auflassung der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung.
Bilder
Profil der Eingangstür des Währinger Wasserturms
Grundriss des Wasserbehälters auf der Schmelz
Maschinenhaus in der ehemaligen Wasserleitungsstraße (heute Spittelau), um 1907
Wasserturm am Währinger Gürtel, um 1905
Rekonstruktion am Schottenring
Rekonstruktion in der Rienößlgasse
Rekonstruktion in der Eisvogelgasse
Situationsplan des Maschinenhauses, Spittelau
Verortung des Währinger Wasserturms
Verortung der Wasserbehälter nahe Neulerchenfeld und Schmelz
Tafel am Sobieskibrunnen am Sobieskiplatz
Wandbrunnen bei der Aula
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartografische Sammlung: Sammelbestand, P1:1476, Adaptierung der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung zu einem städtischen Materialdepot, 1909
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Pläne der Plan- und Schriftenkammer, P1:118273: 9., (ehemalige) Wasserleitungsstraße: Materialdepot (1914)
Literatur
- Wasser Stadt Wien. Eine Umweltgeschichte. Hg. vom Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien. Wien: Holzhausen Druck 2019
- Josef Donner: Dich zu erquicken, mein geliebtes Wien... Geschichte der Wiener Wasserversorgung von den Anfängen bis 1910. Wien: Norka-Verlag 1990, S. 34 ff.
- Josef Donner: Wiener Wasser. Eine Dokumentation. In: Wien aktuell (1973), Nummer 41 ff.
- Eduard Glatter: Die Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung. Eine hygienische Studie. 1863
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 2: Die Gemeinde, ihre Verwaltung und sozialen Belange, Wirtschaftsleben, Handel, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, Volkskunde, Naturwissenschaft, Klimatologie, Meteorologie, Naturereignisse, Varia und Kuriosa. Wien: Jugend & Volk 1955, S. 58 ff.
- Ruth Koblizek, Nicole Süssenbek, Die Trinkwasserversorgung der Stadt Wien von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Teil 2B (ungedruckte Dissertation Wien). Wien. 1999/2000, S. 284
- Ruth Koblizek, Nicole Süssenbek, "Wasser in jedwedes Bürgers Haus". Die Trinkwasserversorgung Wiens. Wien: MEMO 2003, S, 56-58
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740 - 1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1), S. 541 f.
- Rudolf Stadler: Die Wasserversorgung der Stadt Wien in ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Denkschrift zur Eröffnung der Hochquellen-Wasserleitung im Jahre 1873. Wien: Gemeinderat 1873, S. 43-54
- Gerhard Robert Walter von Coeckelberghe-Dützele: Curiositäten- und Memorabilien-Lexicon von Wien. Ein belehrendes und unterhaltendes Nachschlag- und Lesebuch in anekdotischer, artistischer, biographischer, geschichtlicher, legendarischer, pittoresker, romantischer und topographischer Beziehung. Wien: [o. V.] 1846, S. 161
- Der Österreichische Zuschauer. Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und geistiges Leben, 7. August 1839, S. 961-964