Salka Viertel
Salka Viertel, * 15. Juni 1889 Sambor, † 20. Oktober 1978 Klosters, Schauspielerin und Drehbuchautorin.
Biografie
Herkunft, Kindheit und Jugend
Salomea Sara Steuermann wurde als erstes Kind von Auguste Amster (1867–1953) und Josef Steuermann (1852–1932) in Wychylówka bei Sambor geboren. Ihr Vater war ein angesehener Anwalt und 18 Jahre lang Bürgermeister der Garnisonsstadt Sambor. Ihre Mutter kam aus einer wohlhabenden russisch-jüdischen Familie und sollte ab 1885 in Wien bei Fanny Mütter zur Opernsängerin ausgebildet werden, bevor sie im Juni 1888 eine arrangierte Ehe mit Steuermann einging, nachdem sich die Verhältnisse ihrer Herkunftsfamilie verschlechtert hatten. Sie war es, die das Haus der Steuermanns zum gesellschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt der Kleinstadt Sambor machte und in ihren Kindern Mehrsprachigkeit (Polnisch, Deutsch, Französisch, Ukrainisch) sowie ihre künstlerischen Talente förderte. Eduard (1892–1964), der zweite Sohn, wurde der wichtigste Pianist des Schönberg-Kreises; Zygmundt bzw. Dusko (1899–ca. 1943) war einer der ersten professionellen Fußballspieler der polnischen Nationalmannschaft. Während den Söhnen der Familie alle Freiheiten gewährt wurden, waren für Salka und ihre Schwester Ruzia (1891–1973, verheiratet mit Josef Gielen) keine systematische Ausbildung oder Berufslaufbahn vorgesehen. Die Pläne der beiden, Schauspielerinnen zu werden, wurden nicht unterstützt – sie sollten heiraten. Erst nachdem Salka Steuermanns Verlobter Stanislaus Höniger (1877–1907) tragisch und unerwartet verstarb, durfte sie Sambor verlassen, um in Wien Schauspielunterricht bei Alexander Römpler zu nehmen.
Wirken als Schauspielerin
1910 debütierte Salka als Salome Steuermann am Pressburger Stadttheater – und spielte danach unter dem Künstlernamen Mea Steuermann auf den Bühnen von Teplitz-Schönau, Zürich, den Berliner Reinhardt-Theatern. 1913 wurde sie an der Neuen Wiener Bühne engagiert und erreichte – fern von ihrer Familie – als moderne Frau mit eigenem Einkommen eine gewisse Unabhängigkeit. Im Dezember 1916 lernte sie den Wiener Schriftsteller und Regisseur Berthold Viertel kennen, den sie – nachdem seine erste Ehe geschieden und ihre Beziehung zum dem verheirateten Bildhauer Alexander Jaray beendet war – im April 1918 in Wien heiratete. Für beide Ehepartner war es selbstverständlich, dass Salka Viertel weiterhin ihren Beruf als Schauspielerin ausübte, auch wenn das für das Ehepaar über viele Jahre ein getrenntes Leben in verschiedenen Städten bedeutete. Berthold Viertel nahm Salka Viertel mit in die Vorlesungen von Karl Kraus und führte sie auch in den Kraus-Kreis ein. In ihren Erinnerungen beschrieb sie diese nächtelang diskutierenden Runden um Kraus als sehr ermüdend und blieb auch in den folgenden Jahren eine kritische Beobachterin der engen Freundschaft ihres Mannes mit Kraus und eine, die dem Kraus-Kult jedenfalls nicht verfiel. Salka Viertel war in den folgenden zehn Jahren als Schauspielerin an den Münchner Kammerspielen, am Königlich-Sächsischen Theater in Dresden sowie in Theatern in Hamburg, Leipzig und Berlin engagiert und bekam in dieser Zeit auch drei Söhne: Johann Jakob, genannt Hans (1919–1999), Peter (1920 –2007) und Thomas (1925–2009).
1923 verwirklichte sich das Ehepaar Viertel einen beruflichen Traum, indem es in Berlin die "Truppe" als genossenschaftliches, avantgardistisches Theater begründete – Karl Kraus finanzierte unter anderen das idealistische Unternehmen mit, das sich bereits im März 1924 (in Zeiten der Hyperinflation) wieder auflöste. Nach dem Bankrott der "Truppe" versuchten sich die Viertels vorerst in Düsseldorf eine neue Existenz aufzubauen, wo Salka Viertel erstmals Regie führte. Doch die Zusammenarbeit mit Louise Dumont und Gustav Lindemann gestaltete sich schwieriger als erwartet und zudem belasteten weiterhin die Schulden der "Truppe" die Familie – daher nahm Berthold Viertel 1927/28 das finanziell sehr lukrative Angebot der Fox-Corporation an, als Regisseur nach Hollywood zu kommen.
Wirken als Drehbuchautorin
Vorerst plante die Familie höchstens drei Jahre in Hollywood zu bleiben, wo Kunstschaffende aus Europa in der Stummfilmära sehr gefragt waren. Es ging darum, sich finanziell zu sanieren, doch Salka Viertel fehlten erstmals berufliche Perspektiven: Ihre Versuche, als Filmschauspielerin zu arbeiten (u.a. in "Die heilige Flamme", "Anna Christie"), scheiterten am Aufkommen des Tonfilms, aber auch daran, dass ihr Alter und Aussehen nicht den Normen der Filmindustrie entsprachen.
Während Berthold Viertel allerdings um 1932 an Hollywood scheiterte und nach Europa zurückkehrte, konnte Salka Viertel ihre Freundschaft zu Metro Goldwyn Mayers Greta Garbo nutzen, um eine zweite Karriere als Drehbuchautorin zu beginnen. Ihre erste Arbeit als Garbo-Autorin war der Klassiker "Königin Christine" – es folgten Drehbücher zu "The Painted Veil", "Anna Karenina", "Conquest" und "The Two-Faced Woman". Mit ihrem Einkommen erhielt Salka Viertel in den folgenden schwierigen Jahren die gesamte Familie und erwarb das bisher nur gemietete Haus in der Mabery Road 165, das zwischen 1928 und 1953 ein zentraler gesellschaftlicher Treffpunkt wurde, der die Filmwelt mit der Exilcommunity verband, und das bald als „Salon“ galt. Dort trafen einander abseits von Greta Garbo, der wichtigsten Freundin des Hauses, unter anderem Johnny Weißmüller, Tallulah Bankhead, Ernst Lubitsch, Maria und Aldous Huxley, Hanns und Louise Eisler, Helene Weigel, Ruth Berlau, Bertolt Brecht, Charlie Chaplin, die Familie Mann, Lion und Marta Feuchtwanger, Arnold Schönberg, Christopher Isherwood, Helene Thimig und Max Reinhardt. Salka Viertel selbst verband in dieser Zeit eine etwa 10-jährige Beziehung mit dem 24 Jahre jüngeren Gottfried Reinhardt.
Aufgrund ihres Engagements für die Screen Writerts Guild, den European Film Fund und für diverse andere antifaschistische Organisationen sowie aufgrund ihrer Freundschaft mit Brecht, Eisler, Chaplin und den "Hollywood Ten" wurde Salka Viertel ab den 1940ern und verstärkt in der McCarthy-Ära "antiamerikanischer Gesinnung" verdächtigt. Das FBI überwachte ihr Haus und ihre Korrespondenz, sie fand kaum mehr Arbeit in der Filmbranche und auch ein Reisepass wurde ihr vorerst verweigert. Erst ab 1953 durfte sie wieder ausreisen und lebte ab diesem Zeitpunkt als freischaffenden Drehbuchautorin teils in Europa, teils in den USA. Nach Wien kam sie immer nur kurzfristig zurück. 1960 ließ sich Salka Viertel im Schweizerischen Klosters nieder, wo sie ihre Autobiographie verfasste. Ihr Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
Werke
- Salka Viertel: The Kindness of Strangers. New York u.a.: Holt, Rinehart and Winston 1969 (Neuauflage bei New York Review Books Classics 2019)
- Salka Viertel: Das unbelehrbare Herz. Ein Leben mit Stars und Dichtern des 20. Jahrhunderts, Hamburg: Claassen 1970 (1979 als Taschenbuch bei Rowohlt, Reinbek bei Hamburg; Neuauflage in "Die andere Bibliothek" im Eichborn Verlag 2011)
Literatur
- Katharina Prager: Salka Viertel and the Gendered In/Visibility of Cultural Mediation, in: Susanne Korbel – Philipp Strobl (Hg.), Cultural Translation and Knowledge Transfer on Alternative Routes of Escape from Nazi Terror: Mediations through Migrations, Routledge 2021 (Studies for the International Society for Cultural History)
- Carola Bebermeier / Katharina Prager: Paarkonstruktionen, Familienkonstellationen und Netzwerke um Salka und Berthold Viertel, in: Melanie Unseld – Christine Fornoff (Hg.), Paare in Musik und Wissenschaft. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2021, 251–274
- Carola Bebermeier: "Sundays at Salka’s" – Salka Viertel’s Los Angeles Salon as a Space of (Music-)Cultural Translation, in: Musicologia Austriaca: Journal for Austrian Music Studies, Juni 2021
- Donna Rifkind: The sun and her stars : Salka Viertel and Hitler's exiles in the golden age of Hollywood. New York: Other Press 2021
- Katharina Prager: "Amerika ist trotz allem grossartig" – Die transkulturellen Leben und autobiografischen Praktiken der Familie Viertel, in: Johanna Gehmacher / Klara Löffler / Katharina Prager (Hg.): Biografien und Migrationen. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG 29/2018/3). Innsbruck: Studienverlag 2018, 37–57
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 3. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2016, S. 3399–3401
- Helga Schreckenberger: Arbeit in Hollywood. In: Ursula Seeber, Veronika Zwerger, Claus-Dieter Krohn (Hg.): "Kometen des Geldes": Ökonomie und Exil. (= Exilforschung. 33). München: edition text + kritik 2015
- Katharina Prager: "Ich bin nicht gone Hollywood!": Salka Viertel, ein Leben in Theater und Film. Wien: Braumüller 2007 (= Blickpunkte. Band 12)