Segregation

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Letzte Änderung am 15.07.2021 durch WIEN1.lanm08swa

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Definition

Unter Segregation versteht man die ungleiche Verteilung von Bevölkerungsgruppen über ein Stadtgebiet. Sie erklärt sich bei zugewanderten Personen (Migration) aus der Existenz von (orbrigkeitlichen, gesetzlichen) Rahmenbedingungen am Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder aber auch aus dem Bedürfnis nach Informationsaustausch, sprachlicher und kultureller Identität.

Vorgründerzeitliche Periode

Schon im Hochmittelalter bildete sich entlang der östlichen Ausfallsstraße im Bereich der vorderen und hinteren Bäckerstraße (heute: Bäckerstraße und Sonnenfelsgasse) und der Rotenturmstraße zunächst eine Vorstadt und dann ein von den Stadtmauern umschlossenes Stadtviertel, welches von fremden Händlern die in erster Linie aus Oberdeutschland und Italien stammten bewohnt wurde. Diese Konzentration blieb auch im 16. und 17. Jahrhundert weitgehend erhalten. Im 18. Jahrhundert erfuhr sie nur insofern eine Erweiterung als sich rund um den Fleischmarkt und in weiterer Folge auch über dem Donaukanal in der Leopoldstadt „griechische“ und andere südosteuropäische Großhändler ansiedelten.[1] Einen Sonderfall bildeten die zugewanderten Wiener Juden die bis zur Wiener Geserah von 1421 vom Stadtherren auf das Gebiet rund um den Judenplatz verwiesen waren. Nachdem im 17. Jahrhundert die jüdische Zuwanderung wieder zunahm wurden sie 1624 auf den Unteren Werd verwiesen, ehe das dortige Ghetto 1670 durch die Vertreibung aufgelöst wurde. Im Zeitalter der Frühindustrialisierung Die Zuwanderung von industriellen Arbeitern aus den böhmischen Ländern hatte seit dem Vormärz einen gewissen räumlichen Schwerpunkt im Bereich des späteren 10. Bezirk und dessen Umgebung (Inzersdorf). Zu einem weiteren bevorzugten Wohngebiet der tschechischen Einwanderer entwic¬kelten sich die an der Hauptzuzugstrasse aus Böhmen und Mähren liegenden Vorstädte Zwischenbrücken und Brigittenau.[2]

Von der Gründerzeit zum „Anschluss“

Mit der ersten und zweiten Stadterweiterung erhielt Wien seine heutige Gestalt die durch die massenhafte Gründerzeitverbauung. Nun etablierte sich ein U-förmiges Segregationsmuster mit einer etwas ausgeprägteren Segregation im Proletariat und in der städtischen Oberschicht, hingegen ein geringes Ausmaß räumlicher Segregation bei der mittelständischen, bürgerlichen Bevölkerung. Insgesamt bewegten sich die Segregationsindizes für die nicht in Wien geborene Bevölkerung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre auf einem äußerst niedrigen Niveau, etwa im Ausmaß von 10% der maximalen Segregation. Dieses niedrige Niveau erklärt sich aus der vorherrschenden Individualmigration nach Wien und dem überwiegenden Wohnen beim Arbeitgeber in der ersten Phase des Aufenthalts, aber auch die qualitativ wenig differenzierte Ausstattung der Wiener Unterschichtenwohnungen, die zu einer Nivellierung der Wohnverhältnisse nach unten innerhalb des städtischen Proletariats beitrug. Eine klare räumliche Trennung von Wohnvierteln der Facharbeiter, Hilfsarbeiter und Kleingewerbetreibenden konnte sich in Wien daher nie voll entfalten. Geschlechtsspezifisch überwogen in den zentralen Bezirken weibliche Zuwanderer, was sich durch den Einfluss der Dienstbotenhaltung erklären lässt, während in der Stadtperipherie männliche Migranten häufiger waren. In der Zwischenkriegszeit war die Wirkungsweise des Gemeindebaus für die räumliche Verteilung der Bevölkerung über das Stadtgebiet trotz einiger Schwerpunktbezirke deutlich antisegregativ, ohne das U-förmige Segregationsmuster wirklich merkbar verändern zu können.[3] Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts nahm die Segregation der Tschechen daher nur geringfügig zu.

Eine Ausnahme was die niedrige Segregation anlangt bildeten die in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, zum Teil als Kriegsflüchtlinge, zugewanderten jüdischen Migranten die vor allem aus Galizien und der Bukowina stammten. Die Segregation jüdischen Migranten lag bis in die 1930er konstant auf etwa dem doppelten Niveau der tschechischsprachigen Zuwanderer. Die bevorzugten Wohnbezirke der jüdischen Zuwanderer waren die Bezirke 2 und 20, während die jüdische Ober- und Mittelschicht auf die Bezirke 1 und 9 konzentriert war.

NS-Zeit und Nachkriegszeit

Mit der vom NS-Regime betriebenen Vertreibung und Ermordung nahezu der gesamten jüdischen Bevölkerung Wiens verschwand die ausgeprägte Segregation dieser Bevölkerungsgruppe. Erst in den letzten Jahrzehnten ist es zu einer bescheidenen Wiederbelebung dieses Segregationsmusters mit der Zuwanderung von Juden aus Osteuropa gekommen. Die großen Migrationsbewegungen der Nachkriegszeit einschließlich der Flüchtlingsbewegung aus Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968 sorgten für keine relevanten Segregationen im Stadtraum.

Segregation der „Gastarbeiter“

Um 1900 siedelte die tschechischsprachige Minderheit in Kleinwohnungen der typischen Arbeiterbezirke. In diese Substandardquartiere, vor allem jene in der Nähe des Gürtels, zogen sieben Jahrzehnte später viele Gastarbeiter, zunächst noch mehr über das Stadtgebiet verteilt als die tschechischen Migranten. Die niedrige Segregation der Gastarbeiter nahm in den 1970er Jahren allerdings sowohl bei Jugoslawen als auch Türken zu. Dieser Anstieg erklärt sich aus dem Zuzug ganzer Gastarbeiterfamilien und aus Familienzusammenführungen. Nicht von ungefähr hatten zu Beginn der 1980er Jahre der Segregationsindex der Gastarbeiter und der der Substandardwohnugen einen sehr ähnlichen Wert[4]. In den 1980er und 1990er Jahren nahm die Segregation unter Migranten aus dem ex-jugoslawischen Raum nur noch geringfügig zu. Hingegen nahm die Segregation bei den türkischen Gastarbeitern in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts deutlich zu, ohne allerdings jene der jüdischen Minderheit in der Monarchie und in der Zwischenkriegszeit auch nur annähernd zu erreichen. Dieses hohe Maß an Segregation dürfte durch die größere kulturelle Distanz zur einheimischen Bevölkerung und eine damit in Verbindung stehende ausgeprägtere Diskriminierung am Wohnungsmarkt zu erklären sein.

Der insgesamt gesehen geringen Segregation stand eine hohe kleinräumige Konzentration gegenüber. Verantwortlich dafür war zunächst die kleinräumige Durchmischung von Gründerzeitsubstandard und in weiterer Folge vor allem die durch legistische Regelungen erzwungene Beschränkung der Wohnungsnachfrage ausländischer Grundschichten auf das zunehmend von Inländern aufgegebene Substandardmilieu im gründerzeitlichen Arbeitermiethausbestand. In den 1990er Jahren erreichte die Konzentration von Gastarbeiterfamilien im alten Wiener Baubestand mit 85% bei den jugoslawischen Wohnungsvorständen und 88% bei den türkischen ein kaum mehr zu überbietendes Ausmaß.[5] Aus „ethnischen Kernen“ der 1970er Jahre wurden in den 1990er Jahren „ethnische Zonen“.[6]

Literatur

  • Michael John, Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten, Wien-Köln: Böhlau Verlag 1990
  • Richard Gisser: Ökologische Segregation der Berufsschichten in Großstädten. In: Leopold Rosenmayr, Sigurd Höllinger (Hg.): Soziologie. Forschung in Österreich. Methoden – Theoretische Konzepte – Praktische Verwertung, Wien-Köln-Graz: Böhlau Verlag 1969, S. 199-219
  • Elisabeth Lichtenberger: Die Wiener Altstadt. Von der mittelalterlichen Bürgerstadt zur City, Wien: Deiticke 1977
  • Andreas Weigl: Demographischer Wandel und Modernisierung in Wien (Kommentare zum Historischen Atlas von Wien 1), Wien: Pichler 2000
  • Andreas Weigl: Migration und Integration. Eine widersprüchliche Geschichte Österreich – Zweite Republik 20), Innsbruck-Wien-Bozen: StudienVerlag 2009, S. 76
  • Andreas Weigl: „Unbegrenzte Großstadt“ oder „Stadt ohne Nachwuchs“?: Zur demografischen Entwicklung Wiens im 20. Jahrhundert. In: Franz X. Eder, Peter Eigner,

Andreas Resch, Andreas Weigl: Wien im 20. Jahrhundert. Wirtschaft, Bevölkerung, Konsum (Querschnitte 12), Innsbruck [u.a.]: Studien Verlag 2003, S. 141-200

Einzelnachweise

  1. Elisabeth Lichtenberger: Die Wiener Altstadt. Von der mittelalterlichen Bürgerstadt zur City, Wien 1977, S. 24, 70, 137
  2. Michael John, Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten, Wien-Köln: Böhlau Verlag 1990, S. 143
  3. Richard Gisser: Ökologische Segregation der Berufsschichten in Großstädten. In: Leopold Rosenmayr, Sigurd Höllinger (Hg.): Soziologie. Forschung in Österreich. Methoden – Theoretische Konzepte – Praktische Verwertung, Wien-Köln-Graz: Böhlau Verlag 1969, S. 213 f.; Renate Banik-Schweitzer, Zur sozialräumlichen Gliederung Wiens 1869-1934, Wien: Institut für Stadtforschung 1982, S. 86 ff.
  4. Elisabeth Lichtenberger, Vienna. Bridge between cultures, London-New York 1993, S.144
  5. Andreas Weigl: „Unbegrenzte Großstadt“ oder „Stadt ohne Nachwuchs“?: Zur demografischen Entwicklung Wiens im 20. Jahrhundert. In: Franz X. Eder, Peter Eigner, Andreas Resch, Andreas Weigl: Wien im 20. Jahrhundert. Wirtschaft, Bevölkerung, Konsum (Querschnitte 12), Innsbruck [u.a.]: Studien Verlag 2003, S. 161
  6. Andreas Weigl: Migration und Integration. Eine widersprüchliche Geschichte Österreich – Zweite Republik 20), Innsbruck-Wien-Bozen: StudienVerlag 2009, S. 76