Unterer Werd (2, 20)

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Daten zum Objekt

Unterer Werd (2.; 20.), Inselgruppe der unregulierten Donau, die dem Roten Turm gegenüberlag (die anfänglichen Bezeichnungen ennhalb Tunaw, ennhalb des wassers und ennhalb des armbs wurden bald durch die nähere Bestimmung dem Roten Turm über ersetzt, 1489 taucht erstmals der Ausdruck im nideren Werd, gegen dem Roten Turm über auf, ab 1515 ist die Lagebezeichnung im undern Werd üblich).

In seiner ursprünglichen Ausdehnung war der Untere Werd von Donaukanal und Fugbach (2, Schüttelstraße-Stoffellagasse-Praterstern-Heinestraße-Fugbachgasse), nachmals Fahnenstangenwasser (2, Am Tabor, Wasserlauf quer durch den nördlichen Augarten bis 20, Gaußplatz), begrenzt.

Im Gegensatz zum Oberen Werd war der Untere Werd bis ins 15. Jahrhundert nur wenig besiedelt, vielmehr von Auwäldern und Wiesen bedeckt. Den Kern der nachmaligen Vorstadt bildete der ab 1300 nachweisbare Hof "Im Neideck" (zwischen Taborstraße, Oberer Donaustraße und Hollandstraße), der 1414 im Einverständnis mit dem Herzog als Lehensherrn ins Eigentum der Stadt Wien überging. Einen Aufschwung für den Unteren Werd brachte die mit dem Bau der Langen Donaubrücke hergestellte Verkehrsverbindung von der Stadt bis in die Landstriche nördlich der Donau (Donaubrücken); die Route verlief im Zuge Taborstraße, Obere Augartenstraße und Jägerstraße bis zum heutigen Floridsdorfer Spitz. Am Gaußplatz befand sich der (ältere) Tabor (Brückenkopf), bei dem die Maut an der Langen Brücke zu entrichten war.

Da die grundherrlichen Rechte im Unteren Werd seit 1337 der Stadt Wien verpfändet waren, bestand die uneingeschränkte Möglichkeit, die Gründe im Unteren Werd für Ansiedlungen freizugeben. Bis 1450 war die zwischen heutiger Holland- und Praterstraße anzunehmende große Insel bis zum sogenannten "Graben" (heute Kleine Sperlgasse-Schmelzgasse) fast vollständig besiedelt; 1453-1469 griff die Besiedlung auf die Gründe nördlich dieses Grabens über. Die unruhigen Zeiten der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und die Erste Türkenbelagerung (1529) führten zu einer Stagnation. Erst 1556 wurden 19 hausgesessene Bewohner aus dem Oberen Werd, deren Häuser zur Schaffung des freien Raums vor den Stadtmauern abgebrochen werden mussten, in der Gegend der heutigen Großen Sperlgasse und Rotensterngasse angesiedelt, womit eine bis 1580 andauernde neue Besiedlungsperiode einsetzte; die Verbauung wurde bis zum nächsten Graben (Große Pfarrgasse-Rotensterngasse, seitlich von Leopolds- und Zirkusgasse begrenzt) ausgedehnt; gleichzeitig wurden die Gründe zwischen Venediger Au und Gries (bis zur heutigen Aspernbrückengasse) vergeben. In der Venediger Au stellte 1569 Maximilian II. Gründe für die Verbauung zur Verfügung.

Das 17. Jahrhundert brachte für den Unteren Werd einen gewaltigen Aufschwung: 1614 wurden die Barmherzigen Brüder, 1623 die Karmeliter angesiedelt (für deren Klostergarten Gründe frei gemacht und Bewohner umgesiedelt werden mussten). 1625 entschloss sich Ferdinand II., den Juden im Unteren Werd (zwischen Tandelmarktgasse, Große Sperlgasse, Kleine Pfarrgasse und Taborstraße) Raum für ein Ghetto anzuweisen (Judenstadt [2]). Für die anwachsende christliche Bevölkerung wurden neue Gebiete (bis zum Fahnenstangenwasser und zur Unteren Augartenstraße) erschlossen (1620-1670). Dem Hof nachfolgend ("Favorita" im Augarten), errichtete sich der Adel im Unteren Werd Sommerhäuser (Colloredo, Czernin, Herberstein, Montecuccoli und andere). Es erfolgten einzelne bauliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Ufer und zum Schutz der Gebäude vor Hochwässern, Überflutungen gehörten aber weiterhin zum Leben am Unteren Werd.

Nach Aufhebung und Räumung der "Judenstadt" durch Leopold I. (1670) wurden die beschlagnahmten Häuser verkauft; an die Stelle der Synagoge trat die Leopoldskirche (2). Der Untere Werd erhielt 1670 den Namen Leopoldstadt. Zu dieser Zeit bestanden im Ghetto 136 Häuser mit ungefähr 2.000 Bewohnern. Außerhalb des Ghettos befanden sich 186 Häuser.

Nach der Zerstörung der Langen Donaubrücke 1683 wurde die neue Brücke stromabwärts (Am Tabor) errichtet. Weitere Brücken folgten (neue Verkehrsroute in nördliche Richtung ans jenseitige Donauufer). Damals war schon durch teilweise Versandung des Wasserlaufs zwischen Fahnenstangenwasser und Gaußplatz die ehemalige Insel Schottenau (seit 1645 Brigittenau) mit dem Unteren Werd zusammengewachsen. Durch Zuschüttung des Fugbachs um 1775 entstand auch eine Landverbindung mit der Praterinsel.

Zwischen 1700 und 1830 veränderten sich die äußeren Grenzen der Siedlung kaum. Die besiedelte Fläche erstreckte sich über circa 20 Hektar. 1777 lebten 16.000 Personen in diesem Gebiet. Im Häuserverzeichnis des Nagel-Plans (1780/81) sind 398 Häuser in der Leopoldstadt und 22 in der Jägerzeile verzeichnet. Die Zunahme der Bevölkerung und der Häuser bedeutete eine Verdichtung im bisherigen Siedlungsgebiet. Die meisten aristokratischen Parks entlang des Donaukanals waren durch kleinere Häuser ersetzt worden. Die Besiedlung konzentrierte sich am linken Ufer des Donaukanals und an den beiden Ausfallstraßen Praterstraße und Taborstraße. Sie erstreckte sich von der 1723 erbauten Reiterkaserne und dem Fahnenstangenwasser im Norden zur Franzensbrückenstraße im Südosten. Bis 1782 bestand nur eine Brücke, die Schlagbrücke, als Verbindung über den Donaukanal. Nur wenige lokale Uferbefestigungen, etwa flussauf- und abwärts der Schlagbrücke, stabilisierten die umgebenden Donauarme. Große Hochwässer überschwemmten den Unteren Werd in den Jahren 1744, 1768, 1784 und 1830. Ab 1784 waren Maßnahmen zur Vorbereitung auf Hochwasserereignisse und Verhalten während Überschwemmungen gesetzlich festgelegt. Mittels dieser, heute als "passiv" bezeichneter Maßnahmen sollten Todesfälle und ökonomischer Schaden begrenzt werden.

Trotz der Hochwassergefahr bestanden 1829 bereits 709 Häuser am Unteren Werd, mit einer Bevölkerung von 24.276 Personen. Die besiedelte Fläche betrug 39 Hektar, davon waren 21 Hektar dicht bebaut, vor allem im Norden der Leopoldstadt und um den Praterstern. Ein zunehmend komplexes System von Uferbefestigungen stabilisierte das Kaiserwassers und das Fahnenstangenwassers. Zwischen 1782 und 1829 entstanden vier neue Brücken, die die Insel mit der Inneren Stadt verbanden. Ab 1780 befand sich das Bürogebäude des Wasserbauamtes in der Leopoldstadt, eine neue Uferbefestigung stabilisierte dieses Gebäude und die nahe gelegenen Schiffslandeplätze. Die Hochwässer von 1830 und 1862 befeuerten die Diskussionen um eine umfassende Regulierung und Kanalisierung der Donau. 1849 befanden sich bereits 874 Häuser mit 43.000 Bewohnern auf der Insel. Die urbanisierte Fläche war auf 57 Hektar ausgedehnt worden. 1850 erfolgte die Eingemeindung der Vorstädte Leopoldstadt und Brigittenau. Der Großteil der Bevölkerung lebte im südlichen Teil der Insel, im Bereich des heutigen 2. Bezirks. Die alten, zentral gelegenen Wohngebiete entlang von Prater- und Taborstraße galten immer noch als gute Mittelklasseviertel. Aber auch immer mehr Arbeiter siedelten sich nahe der entstehenden Industriebetriebe in billigen Mietskasernen an. Ab 1848 ließen sich vermehrt jüdische Familien in der Leopoldstadt nieder. Die Donauregulierung 1870-1875 brachte eine wesentliche Veränderung der geographisch-topographischen Struktur. Mehr als 260 Hektar Land wurden stabilisiert und damit zu potenzieller Siedlungs- und Industriefläche. Zwischen den große Parkanlagen (Prater, Augarten), Bahnhofsgeländen (Nord- und Nordwestbahnhof) und dem Messegelände entstand ein Mosaik aus Fabriken und Wohngrätzeln. Entlang der Donau entstanden große Industriebetriebe: Metallverarbeitung, Lebensmittelindustrie, die erste Eisfabrik der Stadt, Seifen- und Kerzenerzeugung, Gaswerke, Ölraffinerien und Maschinenfertigung.

1880 hatte sich die Bevölkerung auf 119.000 mehr als verdoppelt und es wurden mehr als 2.000 Gebäude auf der Insel gezählt. Eine mehr als 100 Hektar große Fläche war bebaut, davon 80 % dicht besiedelt. 1900 zählte der 2. Bezirk 214.000 Einwohner – diese Zahl galt als zu viel für einen Bezirk, weswegen Leopoldstadt und Brigittenau zu eigenen Bezirken erklärt wurden. Mit 268.600 Einwohnern im Jahr 1912 war ein Maximum erreicht. Mehr als 220 Hektar Siedlungsfläche befanden sich im ehemaligen Augebiet. Die Vertreibung und Ermordung der meisten jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner führte zu einem Rückgang der Einwohnerzahlen auf der Insel ab der Zwischenkriegszeit. Die Bevölkerungszahlen blieben auch nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1990er Jahre leicht rückläufig. Heute leben etwa 180.000 Menschen im 2. und 20. Bezirk.

Siehe auch

Werd, Donau, Donaubrücken, Leopoldstadt, Oberer Werd (9), Werd

Literatur