Leopoldstadt (Vorstadt)
48° 12' 56.38" N, 16° 22' 47.89" E zur Karte im Wien Kulturgut
Leopoldstadt (2.), Vorstadt, die sich auf einer Gruppe von Inseln in der unregulierten Donau nordöstlich der Stadt mit ihren Au- und Heidegebieten entwickelte und 1850 mit angrenzenden Orten und Ortsteilen als zweiter Bezirk nach Wien eingemeindet wurde (Leopoldstadt).
Eine Besiedlung lässt sich in diesem Gebiet seit etwa 1300 nachweisen. Die Verbindung zur Stadt stellte die Schlagbrücke (Schwedenbrücke) her, jene nach Norden ab 1439 eine mehrteilige hölzerne Jochbrücke über die Donau in der Brigittenau (welche ältere Überfuhren ersetzte). Durch die Taborstraße und ab 1698 über eine neu errichtete Brücke beim Tabor wurde der Handelsverkehr nach Brünn und Prag abgewickelt; an der Straße entstanden daher zahlreiche Einkehrgasthöfe. Bis etwa 1450 war die sich zwischen Holland- und Praterstraße ausdehnende große Insel bis zur Kleinen Sperlgasse und Schmelzgasse verbaut, 1453-1468 griff die Besiedlung über den dort verlaufenden "Graben" hinaus und erreichte bis 1580 die Linie Große Pfarrgasse-Rotensterngasse, seitlich begrenzt von Leopolds- und Zirkusgasse. Die Hauptinsel auf dem Areal der nachmaligen Leopoldstadt hieß 1354-1419 Werd gegenüber dem Roten Turm, 1418 und 1463 Niederer Werd und später Unterer Werd.
Um 1600 trockneten einige Nebenarme der Donau aus. 1614 stellte Kaiser Matthias den Barmherzigen Brüdern Bauareale zur Verfügung, im selben Jahr begann er mit dem Bau eines Jagdschlösschens im Augarten. Ferdinand II. berief 1623 auch die Karmeliten und wies 1625 den Juden ein Ghetto an, aus dem sie allerdings Leopold I. 1670 gewaltsam vertrieb (an der Stelle der Neuen Synagoge entstand die Leopoldskirche); seither trägt die Vorstadt zu Ehren des Kaisers den Namen nach dem Landes- und Namenspatron Leopold. Damals erteilte der Kaiser auch ein Privileg für das neue Zucht- und Arbeitshaus; das Gebäude des obersten Schiffamts wurde errichtet, allerorten begann rege Bautätigkeit. 1676 wurde das Spital der Barmherzigen Brüder wesentlich erweitert. Zahlreiche Adelige bauten sich in der Leopoldstadt ihre Sommerpalais. 1721-1723 wurde die Leopoldstädter Kaserne erbaut; 1734 bestanden Paläste der Freiherren Wallhorn und Strobel, der Grafen Öttingen, Colloredo und Rosenberg sowie des Kardinals Kollonitsch.
Vom 4.-6. März 1744 erlebte die Leopoldstadt eine verheerende Überschwemmung. 1766 öffnete Joseph II. dem Publikum den Prater und 1775 den Augarten, in dem er selbst logierte. Die im Zuge der Klosteraufhebungen von Joseph II. verfügte Verkleinerung der Klostergärten führte zur Umgestaltung des Karmeliterviertels. Joseph II. ließ die Vorstadt 1782 durch die Augartenbrücke und die Franzensbrücke mit dem restlichen Stadtgebiet verbinden. Der 1780/1782 angelegte Praterstern mit seinen Radialstraßen prägt bis heute den Grundriss des Bezirkes. 1781 wurde das Leopoldstädter Theater eröffnet (später Carltheater), im Vormärz folgte eine Reihe von Vergnügungsetablissements (1807 Sperl, 1834 das Kolosseum, 1845 das Odeon). Am 4. Oktober 1824 wurde der Grundstein zum Gemeindehaus gelegt, am 4. Oktober 1826 der zum Armenversorgungshaus. 1830 und 1862 wurde die Leopoldstadt neuerlich von katastrophalen Überschwemmungen heimgesucht. Die Eisenbahn schuf mit den Anlagen Nord- und Nordwestbahn Barrieren, die bis heute städtebauliche Probleme aufwerfen.
Siegel
Die Vorstadt Leopoldstadt führte ein Grundgerichtssiegel, dass den Markgrafen Leopold den Heiligen als ganze Figur in Rüstung und mit Mantel zeigt, auf zwei Abdrücken mit Hermelinmantel und Schwert, auf drei Abdrücken auf einem Rasen (Boden) stehend, das Haupt mit dem Fürstenhut bedeckt, auf der rechten Hand das Modell einer Kirche, mit der linken eine Fahne haltend, auf der Fahne fünf Adler (Altösterreich). Umschriften: a) GERICHTS · INSIGEL · DER · WIENERISCHEN · LEOPOLDSTADT b) wie a), doch ohne die Trennungspunkte; c) · GERICHTS INSIGEL DER WIENERISCHEN LEOPOLDSTADT, im Siegelgrunde rechts die Ziffer 18, links 15 [1815]; d) wie c), doch mit ¤ [Rosette] und der Jahreszahl 1824.
Das Siegel war 1904 eine Grundlage für die Gestaltung des Bezirkswappens Leopoldstadt.
Ortsobrigkeit
- ab 1337: Magistrat
- 1588-1688: Bürgerspital
- 1688-1850: Magistrat
Ortsrichter
Liste ab 1590 in:
- Hans Rotter / Adolf Schmieger: Das Ghetto in der Wiener Leopoldstadt. Wien: Burgverlag 1926, S. 42
Statistiken
Häuser
Hinweis: 1600: Wert geschätzt
Einwohner
Häusernummerierungen
In der Vorstadt Leopoldstadt wurden 1770 im Zuge der Häusernummerierung zum ersten Mal Konskriptionsnummern vergeben. In den Jahren 1795 und 1819 erfolgte jeweils eine Neunummerierung. Die folgenden Verlinkungen zu den Häuserschematismen und Plänen, auf denen die Konskriptionsnummern der entsprechenden Phase eingetragen sind, sind chronologisch geordnet.
Nummerierung 1770
- Franz de Ponty: Verzeichniß der in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien sammt dazu gehörigen Vorstädten und Gründen befindlichen numerirten Häusern. Wien: Johann Joseph Jahn 1779
- Karl Hofer: Verzeichniß der in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien samt den dazu gehörigen Vorstädten und Gründen befindlichen numerirten Häuser. Wien: Joseph Gerold 1789
Plan
- Stadtplan von Joseph Anton Nagel, 1780/1781: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartographische Sammlung, Sammelbestand, P1: 5 (georeferenziert auf Wien Kulturgut)
Nummerierung 1795
- Verzeichniß der in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien sammt den dazu gehörigen Vorstädten und Gründen befindlichen numerirten Häuser. Wien: Joseph Gerold 1796
- Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien inner denen Linien befindlichen numerirten Häuser. Wien: Joseph Gerold 1798
- Joseph Johann Grosbauer: Vollständiges Verzeichniß aller in der kaiserlichen auch k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien inner denen Linien befindlichen numerirten Häuser. Wien: Joseph Gerold 1805
- Joseph Johann Grosbauer: Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien inner denen Linien befindlichen numerirten Häuser deren Eigenthümer, Strassen, Gässen, Plätze, und Schilder. Wien: Gerold'schen Buchhandlung 1808
- Alois Edler von Fraißl: Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien und sämmtlichen Vorstädten inner den Linien befindlichen numerirten Häuser und Plätze. Wien: Carl Gerold'sche Buchhandlung 1812
- Mathias Gutjahr: Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien und ihren Vorstädten befindlichen Straßen, Gassen, Plätzen und Häusern. Wien: Gerold 1816
Plan
- Stadtplan Tranquillo Mollo, 1812: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Pläne der Plan- und Schriftenkammer, P10/2: 112196.1 (georeferenziert auf Wien Kulturgut)
Nummerierung 1819
- Mathias Guetjahr: Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien und ihren Vorstädten befindlichen Straßen, Gassen, Plätze und Häuser. Wien: Gerold 1821
- Anton Behsel: Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien mit ihren Vorstädten befindlichen Häuser. Wien: Gerold 1829
- Karl Ponschab: Darstellung der bei den Häusern in der Stadt und in den sämmtlichen Vorstädten Wiens einschreitenden Grundherrlichkeiten. Wien: PP. Mechitaristen 1829
- Anton Ziegler und Carl Vasquez: Die kaiserl. königl. Haupt- und Residenzstadt Wien mit ihren Vorstädten und nächsten Umgebungen. Wien: Christian Friedrich Schade 1830
- Neuester verbesserter Schema aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien und in ihren Vorstädten befindlichen Häusern. Wien: Stöckholzer von Hirschfeld 1833
- Anton Ziegler: Häuser-Schema im kaiserl. königl. Polizei-Bezirke Leopoldstadt: enthält die Vorstädte: Leopoldstadt und Jägerzeile. Wien 1837
- Neuester, verbesserter Schema aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien und in ihren Vorstädten befindlichen Häusern. Wien: Ulrich Klopf 1837ff.
- Carl Schwab: Neuer, verbesserter Häuser-Schema der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien mit ihren 34 Vorstädten, allen Neubauten und den angränzenden nahen Ortschaften. Wien: Singer und Goering 1843
- Neuester, verbesserter Häuser-Schema der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien mit allen Vorstädten, der Brigittenau, den Zwischenbrücken und den Praterhütten. Wien: Dorfmeister 1852
- Anton Ziegler: Neuester Wiener Häuser-Schema für das Jahr 1861 k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien mit sämmtlichen Vorstädten. Wien: Selbstverlag Ziegler 1861
Pläne
- Stadtplan von Anton Behsel: Leopoldstadt, Jägerzeile, 1822: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Pläne und Karten: Sammelbestand, P1: 295.2 (georeferenziert auf Wien Kulturgut)
- Stadtplan, 1858: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartographische Sammlung, Sammelbestand, P1: 383 (georeferenziert auf Wien Kulturgut)
- Stadtplan Anton Ziegler, 1861: Wienbibliothek digital: Anton Ziegler, Neuester Wiener Häuser-Schema für das Jahr 1861 k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien mit sämmtlichen Vorstädten. Wien: Selbstverlag Ziegler 1861
- Stadtplan, 1887: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartographische Sammlung, Sammelbestand, P1: 900G (georeferenziert auf Wien Kulturgut)
Quellen
- Gemeindearchiv Leopoldstadt, 1709-1863: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gemeinde Leopoldstadt
- Konskriptionsbogen Leopoldstadt, 1805-1856: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Konskriptionsamt, A102/1
- Häuserbogen der Volkszählung, 1857: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Konskriptionsamt, A53
Pläne
- Leopoldstadt und Jägerzeile, 1778
- Stadtplan von Anton Behsel: Leopoldstadt, Jägerzeile, 1822: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Pläne und Karten: Sammelbestand, P1: 295.2
- Pläne des Franziszeischen Katasters der Leopoldstadt mit Jägerzeile, aufgenommen 1822, gedruckt 1831: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Franziszeischer Kataster, P1 - Pläne: 2
Literatur
- Wienbibliothek Digital: Alois Groppenberger von Bergenstamm: Geschichte des unteren Werds, oder der heutigen Leopoldstadt, aus Urkunden gezogen. Wien: Hof- und Staatsdruckerey 1812
- Wienbibliothek Digital: Jakob Blümel: Die Geschichte der Entwicklung der Wiener Vorstädte, nach authentischen Quellen zusammengestellt. Band 1. Wien: Verlag Cornelius Vetter 1884
- sowie unter Bezirk Leopoldstadt
- Jakob Dont [Hg.]: Der heraldische Schmuck der Kirche des Wiener Versorgungsheims. Mit dem Anhang: Beschreibung der Siegel der ehemaligen Wiener Vorstädte und Vorort-Gemeinden. Wien: Gerlach & Wiedling 1910, S. VI, Taf. A
- Anton Jung: Beschreibung und Abdruck der Grundgerichts-Siegeln sämmtlicher Vorstädte und Gemeinden der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien, [Wien] 1829, S. 13
Bevölkerungsgeschichte
- Ignaz de Luca: Topographie von Wien. Bd. 1, Wien: Thad. Schmidbauer 1794, S. 61
- Ignaz de Luca: Statistische Fragmente. Wien: C.P. Rehm 1797, S. 50
- Johann Karl: Detaillirte Darstellung der Bevölkerung der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien und der Vorstädte ... nach der letzten Conscription im Jahre 1840
- Niederösterreichische Handels- und Gewerbekammer (Hg.), Statistische Übersicht der wichtigsten Produktionszweige in Österreich unter der Enns. Wien: L. Sommer 1855
- G.A. Schimmer: Die Bevölkerung von Wien. In: Blätter für Landeskunde von Niederösterreich 1 (1865), S. 14, 26