Selma Kurz
Selma Kurz, * 15. Oktober 1874 Bielitz, Österreich-Schlesien (Bielsko-Biala, Polen), † 10. Mai 1933 Wien 1, Löwelstraße 8 (Zentralfriedhof, Ehrengrab Grab 14C, Nummer 8 [Bestattung mit ihrem Gatten], Grabdenkmal von Fritz Wotruba, 1934), Sängerin, Gatte (1910) Josef von Halban, Gynäkologe.
Biographie
Kurz fiel durch ihre besonders gute Stimme frühzeitig als Chorsängerin in der Synagoge und im Theater auf; der Superintendent Theodor Karl Haase vermittelte sie für das Gesangstudium an Johannes Ress nach Wien, von wo sie zu Mathilde Marchesi nach Paris reiste, um ihre Ausbildung abzuschließen. 1895 debütierte sie in Hamburg, am 17. Februar 1896 als Elisabeth (Tannhäuser) in Frankfurt/Main beziehungsweise am 3. September 1899 als Mignon an der Wiener Hofoper. Gustav Mahler engagierte sie an die Hofoper (Mitglieder der Hof- beziehungsweise Staatsoper 1. August 1899 - 31. Jänner 1927), an der sie als Koloratursopranistin Erfolge feierte.
Ihr umfangreiches Repertoire umfasste außer Opern (Hauptrollen: Eva, Agathe, Mimi, Butterfly, Manon, Königin der Nacht, Sophie [Rosenkavalier]) auch Operetten (Rosalinde [Fledermaus]), Konzerte, Lieder und Oratorien. 1903 wurde ihr der Titel Kammersängerin verliehen; bereits 1922 trat sie bei den Salzburger Festspielen auf und unternahm auch viele Tourneen durch Europa und Nordamerika. 1927 zog sich die gefeierte Primadonna von der Bühne zurück. Sie wohnte 1913-1933 1, Löwelstraße 8 in einer von Adolf Loos eingerichteten Wohnung. Ölgemälde von John Quincy Adams (Staatsoper). Selma Halban-Kurz verstarb am 10. Mai 1933 in Wien und wurde zwei Tage später in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 14C, Nummer 8) beigesetzt. Ihr Grab befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu jenem des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers, Prälat Dr. Ignaz Seipel (1876 bis 1932). Dieser war am 5. August 1932 ebenfalls in einem Ehrengrab (Gruppe 14C, Nummer 7) bestattet worden.
Grabfigur im Sinne der Moderne
Josef von Halban, der Witwer, wollte für seine verstorbene Frau ein besonderes Grabmal errichten. Deshalb beauftragte er den Bildhauer Fritz Wotruba (1907 bis 1975). Die Wahl des Schülers von Anton Hanak (1875 bis 1934) war durchaus als Bekenntnis zur Moderne zu werten.
Wie es den Vorschriften am Zentralfriedhof entsprach, musste die Ausgestaltung bestimmten Kriterien entsprechen und von der Stadtverwaltung genehmigt werden. Fritz Wotruba hat daher am 31. Jänner 1934 der für die Gemeindefriedhöfe zuständigen Behörde (damals Magistratsabteilung 13a) ein Schreiben übermittelt, in dem er das Projekt vorstellte. Dem Schreiben lag jene Entwurfsskizze Wotrubas bei, welche die Grundlage für die endgültige Auftragserteilung durch Professor Halban gewesen war.
Zu sehen ist die Figur einer liegenden Frau mit nacktem Oberkörper. Die Figur sollte in Untersberger Marmor ausgeführt werden. Offenbar war man bei der Behörde mit dem Entwurf nicht ganz einverstanden: Laut einer Aufnahmeschrift der Magistratsabteilung 13a erschien Fritz Wotruba am 3. Februar 1934 persönlich im Amt, um über die Ausgestaltung zu verhandeln. Die Änderungen, die vereinbart wurden, bezogen sich allerdings in keiner Weise auf die geplante Figur, sondern lediglich auf die Gestaltung der Einfassung der Grabanlage. Diese hatte sich an die umliegenden Ehrengräber anzugleichen. Da diese Änderungen die künstlerischen Vorstellungen Wotrubas vom Grabmal nicht beeinträchtigten, einigte man sich rasch. Noch am selben Tag fertigte die Behörde den Bescheid aus, in dem die Errichtung in dieser Form genehmigt wurde. Die Aufstellung der Figur muss dann rasch erfolgt sein.
Politischer Streit um Frauenfigur mit nacktem Oberkörper
Anfang Mai 1934 gab es heftige Reaktionen auf die Grabfigur. Sie schlugen sich in Zeitungskommentaren sowie brieflichen und mündlichen Beschwerden bei Bürgermeister und Gemeindeverwaltung nieder. Eine steinerne Frauenfigur mit entblößtem Oberkörper in nächster Nähe zum Grab von Ignaz Seipel wurde von etlichen als anstößig oder geradezu obszön angesehen. Sogar Drohbriefe langten bei der Verwaltung ein. Es wurde die Entfernung des Grabes gefordert. Der Streit um das Kunstwerk entsprang nicht nur entgegengesetzten sittlich-moralischen Vorstellungen, sondern hatte vor allem auch eine starke politische Komponente: Die Nacktheit der Statue der Operndiva beleidigte eine der wichtigsten Identifikationsfiguren des christlich-konservativen Lagers.
Bewilligung und Aufstellung des Grabmals fielen in die Zeit des Österreichischen Bürgerkriegs. Das Dollfußregime wurde etabliert, die Sozialdemokratie verboten. Das brachte auch einen Wechsel an der Spitze der Stadtregierung: Dem im Februar 1934 aus politischen Gründen verhafteten sozialdemokratischen Bürgermeister Karl Seitz (1869 bis1950) folgte bereits am 7. April 1934 Richard Schmitz von der Vaterländischen Front. Dieser war früher ein treuer Gefolgsmann von Ignaz Seipel gewesen.
Die Behörde sah sich plötzlich unter Rechtfertigungszwang. Bereits am 16. Mai 1934 wandte sich die Magistratsabteilung 13a in einem Schreiben an die Magistratsdirektion, warum das Grabmal Anfang des Jahres bewilligt worden sei. Die Abteilung berichtete, das Grab des ehemaligen Bundeskanzlers Seipel sei nur ein provisorisches, da an eine Überführung in die für ihn im Bau befindliche Gedächtniskirche gedacht sei.
Andererseits sei die Bewilligung "in der alten Ära" entstanden, also vor der vollständigen Etablierung des Regimes (mit der Maiverfassung, die am 1. Mai 1934 erlassen worden war). Bürgermeister Schmitz begab sich persönlich auf den Zentralfriedhof zum Grab Seipels, um sich ein Bild der Lage im Grabmalstreit Halban-Kurz zu machen. Daraufhin ordnete er an, dass der Magistrat für die Entfernung des Grabmals zu sorgen hätte. Dieser reagierte auch prompt: Josef von Halban wurde am 9. Juni 1934 in Form eines Bescheides verpflichtet, das Grabdenkmal auf eigene Kosten zu entfernen, da es "der Weihe und dem Ernst des Ortes" widerspreche. Die Figur verschwand in einem Verschlag aus Holz.
Eine Figur mit Beharrungsvermögen
Josef von Halban weigerte sich, der Aufforderung nachzukommen, die Figur von Fritz Wotruba wegzuräumen. Er begründete dies freilich nicht mit jenen Argumenten, um die es in der medialen Auseinandersetzung gegangen war, sondern mit den hohen Kosten, die ihm durch die Aufstellung entstanden seien. Er konnte sich auf die schriftliche Erlaubnis der Stadtverwaltung vom Februar 1934 berufen, die Statue in dieser Form aufstellen zu dürfen.
Ein Kompromiss, die Anstoß erregenden Körperteile der Figur durch Efeu zu kaschieren, kam nicht zustande. Auch scheint ein Angebot der Gemeinde, einen Teil der Kosten zu übernehmen, nicht angenommen worden zu sein. Der Druck war wohl auch deshalb nicht mehr sehr groß, das "Ärgernis" zu beseitigen, da der Leichnam von Ignaz Seipel im Herbst 1934 in die fertiggestellte, als "Gedächtniskirche" eingerichtete Christkönigskirche im 15. Bezirk überführt worden war. Zwar blieb die provisorische Verhüllung der Wotrubafigur noch angeblich bis 1945 erhalten, aber die von der Verwaltung vorgeschriebene Wegnahme der Figur unterblieb.
Der politische Wechsel im März 1938 bescherte dem Grab der Hofopernsängerin wieder einen Nachbarn: Der politische Gedächtnisort der Vaterländischen Front für Seipel und Dollfuß in der Christkönigskirche wurde von den herrschenden Nationalsozialisten 1939 aufgelöst. Die beiden Leichname von Seipel und Dollfuß wurden in ihre vorherigen Gräber umgebettet. Die sterblichen Überreste von Ignaz Seipel liegen seitdem wieder in seinem ersten Grab am Zentralfriedhof, neben jenem von Selma Halban-Kurz. Die Frauenfigur von Fritz Wotruba auf ihrem Grab gilt heute als eines der herausragenden künstlerischen Werke am Zentralfriedhof.
Halban-Kurz-Gasse, Halban-Kurz-Straße.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv-Akten - Persönlichkeiten, W 17.1: Aufstellung des Grabdenkmals für Selma Kurz-Halban
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 121, A16 Totenbeschaubefunde von Persönlichkeiten: Selma Kurz-Halban
Literatur
- Ludwig Eisenberg: Das geistige Wien. Künstler- und Schriftsteller-Lexikon, Mittheilungen über Wiener Architekten, Bildhauer, Bühnenkünstler, Graphiker, Journalisten, Maler, Musiker und Schriftsteller. Wien: Daberkow 1889-1892
- Walter Kleindel: Das große Buch der Österreicher. 4500 Personendarstellungen in Wort und Bild, Namen, Daten, Fakten. Unter Mitarbeit von Hans Veigl. Wien: Kremayr & Scheriau 1987
- Wilhelm Kosch: Deutsches Theaterlexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch. Wien: F. Kleinmayr. 1953
- Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Wien/Graz: Böhlau 1954-lfd.
- Hugo Riemann: Riemann Musiklexikon. Mainz: Schott 1959-1961
- H. Goldmann: Selma Kurz, der Werdegang einer Sängerin. Bielitz 1933
- Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik, Wien: Ueberreuter 1992
- Marcel Prawy: Die Wiener Oper. 1969, Register
- Franz Hadamowsky / Alexander Witeschnik: Hundert Jahre Wiener Oper am Ring [Jubiläumsausstellung]. Wien: Aktionskomitee 100 Jahr-Feier der Wiener Staatsoper 1969, S. 97
- Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1934, S. 108
- Sylvia Mattl-Wurm [Red.]: Interieurs. Wiener Künstlerwohnungen 1830 - 1930. Wien: Eigenverlag 1990 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 138) , 139;
- Hans Markl: Kennst du alle berühmten Gedenkstätten Wiens? Wien [u.a.]: Pechan 1959 (Perlenreihe, 1008), S. 50
- Hans Markl: Kennst du die berühmten letzten Ruhestätten auf den Wiener Friedhöfen? Band 1: Zentralfriedhof und Krematorium (Urnenhain). Wien: Pechan 1961, S. 46
- Neue Freie Presse, 10. und 11.05.1933