Sittenpolizei

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Letzte Änderung am 25.07.2023 durch WIEN1.lanm08uns

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Im Gefolge der Einführung der Reglementierung der Prostitution in Wien 1873 begann die Sittenpolizei als eigener Zweig des Polizeiwesens offiziell ihre Tätigkeit zu entfalten. Mit der Gründung des "Büros für sittenpolizeiliche Angelegenheiten" (kurz "Sittenamt") bei der Polizeidirektion erlebte der Prozeß der institutionellen Verselbständigung der sittenpolizeilichen Tätigkeit seinen vorläufigen Abschluss, wobei allerdings gewisse Agenden weiter in der Zuständigkeit der Bezirkspolizeikommissariate verblieben. Ab 1873 war die Prostitution in Wien in bestimmten Formen geduldet; zu ersten bedeutenden Reformen des so geschaffenen Systems der "Reglementierung" kam es 1911. Die Sittenpolizei hatte die Aufgabe, die im Rahmen der Reglementierung vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen beziehungsweise zu kontrollieren, ein Verzeichnis der registrierten Prostituierten anzulegen und die ab 1900 zugelassenen Bordelle zu überwachen. Den Kern der Kontrolle der registrierten Frauen bildete die ärztliche (bald ausschließlich amtsärztliche) Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten und die Führung eines Katasters. Die registrierten Prostituierten hatten sich zweimal wöchentlich der gynäkologischen Untersuchung zu unterziehen; das Ergebnis wurde regelmäßig in das gleichzeitig eingeführte Gesundheitsbuch (den sogenannten "Deckel") eingetragen. Förderte die Untersuchung eine Geschlechtskrankheit zutage, wurde das Buch eingezogen, die Betroffene ins Spital eingewiesen und, wenn sie binnen 24 Stunden nicht Folge leistete, zwangsweise dorthin überstellt.

Zwischen 1900 und 1911 existierte zudem eine zweite, weniger stigmatisierende Form der offiziellen Überwachung. Die sogenannten "Diskreten" durften am Straßenstrich nicht teilnehmen, erhielten kein Gesundheitsbuch, hatten sich aber auch ohne offizielle Registrierung regelmäßig der amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Sittenpolizei wachte zudem über das Verhalten der Prostituierten in der Öffentlichkeit. Verboten war beispielsweise das Herauslehnen aus Fenstern und das Stehen in Hauseingängen. Schließlich gehörte zum Aufgabenkreis der Sittenpolizei auch die Entlassung aus der Registratur. Bei zwangsweise registrierten Frauen war Voraussetzung dafür unter anderem der Nachweis einer anderweitigen Beschäftigung.

Das zweite Tätigkeitsfeld der Sittenpolizei war die Verfolgung der "geheimen" Prostitution aufgrund von (meist anonym einlaufenden) Anzeigen und mit Hilfe von Streifengängen und Razzien. Polizeibeamte und zivile Detektive konnten demgemäß Frauen, deren Verhalten nicht den Rechtsnormen für die öffentliche Moral entsprach, anhalten, überprüfen und bei Prostitutionsverdacht der zwangsweisen Vaginaluntersuchung durch den Amtsarzt zuführen. Das Strafmaß für solches (als "heimliche" oder "wilde" Prostitution bezeichnet) Verhalten betrug ein bis acht Tage und/oder Einlieferung ins städtische Asyl- und Werkhaus. Bei fehlender Heimatzuständigkeit nach Wien war außerdem der "Schub", also die Abschiebung in die zuständigen Kronländer bzw. später Bundesländer zu gewärtigen. Mit dem "Vagabundengesetz" 1885 wurden in schwereren Fällen verschärfte Strafen bis zur Anhaltung in Zwangsarbeitsanstalten eingeführt. Bei nachgewiesener Geschlechtskrankheit, Beweis der Tätigkeit als Prostituierte und fehlendem anderweitigem Erwerb stand der Sittenpolizei die zwangsweise Registrierung der Betreffenden offen.

Mit den Reformen kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Möglichkeiten zur sittenpolizeilichen Kontrolle von Frauen etwas vermindert. Die Tätigkeit der Polizei hatte, insbesonders anlässlich von Übergriffen auf nachweislich "ehrbare" Mädchen und Frauen, immer wieder öffentliche Skandale ausgelöst. Ab 1911 durften nur noch die Beamten der Sittenpolizei selbst, und zwar ausschließlich nach wiederholter Beobachtung und erwiesenem Tatbestand, zum Einsatz schreiten und die amtsärztliche Zwangsuntersuchung anordnen. 1920 wurde das Gesundheitsbuch durch eine spezielle Legitimationskarte ersetzt, 1921 wurden die letzten Bordelle offiziell aufgelöst sowie die sittenpolizeiliche Kontrolle neuerlich verfeinert und stärker auf Personen ausgerichtet, deren "sittliche Verwahrlosung" man für erwiesen erachtete. In der Sonderheilanstalt für geschlechtskranke Frauen in Klosterneuburg, die ab 1922 aus dem "Asyl" beziehungsweise späteren "Frauenspital Meidling" (gegründet 1916) hervorging, wurden die unter sittenpolizeilicher Kontrolle stehenden Frauen in einer gesonderten Abteilung zusammengefasst. Nach der Vollzugsanweisung für "unbotmäßig Kranke" war die Zwangsanhaltung und -behandlung vorgesehen.

Siehe auch: Prostitution, Grabennymphen, Büßerinnenkloster zu St. Hieronymus.

Literatur

  • Karin Josefine Jusek: Auf der Suche nach der Verlorenen. Die Prostitutionsdebatten im Wien der Jahrhundertwende. Diss., Univ. Groningen. Groningen 1993
  • Susan Zimmermann: Making a living from disgrace. The politics of prostitution in Budapest and Vienna 1860-1920. In: CEU History Department Yearbook 1994/95. Budapest: Central European University Press 1995, S. 67 ff.
  • H. Montane [Franz Höftberger]: Die Prostitution in Wien. Ihre Geschichte und Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hamburg [u.a.]: Rasch 1925