Städtekurie
Bei den Städten und Märkten Österreichs unter der Enns (Niederösterreich) unterschied man bis 1848 zwischen solchen, die der unmittelbaren Herrschaft des Landesfürsten unterstanden, und solchen unter Herrschaft eines Adeligen oder einer geistlichen Institution (Bistum, Kloster). Letztere waren in der landständischen Organisation (Niederösterreichische Landstände) generell nicht vertreten, sondern wurden dem Besitz der Mitglieder des Herrenstands, Ritterstands und Prälatenstands zugerechnet und in die Bemessungsgrundlage der Beiträge, welche diese drei Stände zu den Landesauslagen leisteten, einbezogen.
Bei den landesfürstlichen Städten und Märkten gab es zwei Gruppen: solche, die vom Landesfürsten unmittelbar besteuert wurden und die den Landständen nicht angehörten, und solche, die im Rahmen der Städtekurie zu den Landständen zählten und ihre Beiträge zu den Landesauslagen (Landsteuer, Kontributionen) an die ständige Dachorganisation entrichteten. Die finanzielle Belastung war in diesem Fall höher als bei der Direktbesteuerung durch den Landesfürsten; dafür genossen die Mitglieder der Städtekurie ein Mitspracherecht in der von Fürst und Ständen gestalteten Landesverwaltung.
Die Städtekurie unter der Enns lässt sich ab 1281 nachweisen. Von der Landessteuer, deren Ausmaß die Stände auf den Landtagen mit dem Landesfürsten vereinbarten, hatte jede Kurie ein Viertel zu tragen; in der Städtekurie entfiel die Hälfte davon (also 12,5%) auf Wien als weitaus größter Stadt des Landes. Seit dem Ausbau der ständigen Organisation um 1500 entsandte jede Kurie zwei Abgesandte in das Verordnetenkollegium (oberstes Organ der Landstände). Der wirtschaftliche Niedergang der österreichischen Städte im ausgehenden Mittelalter führte dazu, dass die Mitglieder der Städtekurie das auf sie entfallende Viertel nicht mehr aufbringen konnten, worauf dieses einvernehmlich auf ein Fünftel reduziert, der Städtekurie jedoch die Entsendung von Abgesandten versagt wurde.
Wirtschaftlich motiviert war auch das Abkommen zwischen Wien und den drei oberen Ständen zur Begrenzung der Zahl der adligen und geistlichen Freihäuser in Wien (1552). Eine Ausdehnung der von Maximilian II. dem Herren- und Ritterstand 1568 bewilligten lutherischen Religionsausübung („Religionskonzession") auf die Städtekurie wurde verweigert, sodass die protestantischen Bewohner der landesfürstlichen Städte und Märkte bis zum Abschluss der Rekatholisierung unter Ferdinand II. häufig Gottesdienste auf Adelsschlössern besuchten (beispielsweise Hernals und Inzersdorf). Im 17. und frühen 18. Jahrhundert kam es innerhalb der Städtekurie zu einer wirtschaftlichen Differenzierung; das wachsende Wien hatte ein geordnetes Budget, auf welches sich der Wiener Stadt-Banco stützte (1706) und das durch die Stadt Wiener Wirtschaftskommission (1737) noch stärker konsolidiert wurde, wogegen die übrigen Mitglieder der Städtekurie dem finanziellen Ruin zusteuerten. Abhilfe für diese brachten erst die nach einem Konzept von Anton Graf Gaisruck (1745; „Gaisrucksche Reform") vorgenommene Reorganisation und die vorübergehende Aussetzung der Beitragsleistung (1747); eine allgemeine Steuerreform (1748) beseitigte steuerrechtliche Privilegien (in Wien wurden ab 1751 die Freihäuser des Adels und der Prälaten besteuert).
Die Städtekurie bestand bis zur Auflösung der Landstände (1848).
Literatur
- Karl Gutkas: Landesfürst, Landtag und Städte Niederösterreichs im 16. Jahrhundert. In: Jahrbuch Landeskunde Niederösterreich. Neue Folge 36 (1964), S. l, S. 311 ff.
- Franz Baltzarek: Beiträge zur Geschichte des 4. Standes in Niederösterreich. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs. Innsbruck [u.a]: Studienverlag / Wien: Österreichische Staatsdruckerei / Bozen: Studienverlag 23 (1970), S. 64 ff.
- Herbert Knittler: Städte und Märkte. In: Michael Mitterauer [Hg.]: Herrschaftsstruktur und Ständebildung 2 (1973)