Wien und Umgebung (1938-1946)
Überblick
Die Karte "Wien und Umgebung" des Kartographischen Instituts in Wien (des früheren Militärgeographischen Instituts) wurde wohl 1943 gedruckt. Händisch sind die drei unterschiedlichen Grenzen von Wien eingezeichnet, der Stand vor 1938, die Grenze des Gaus Groß-Wien und die 1946 beschlossene und 1954 realisierte, bis heute aktuelle Grenze des Bundeslands Wien.
Historische Einordnung
Mit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates im April 1945 konnte wieder an die demokratische Verfassungsentwicklung angeknüpft werden. Die Bundesverfassung von 1929 wurde wieder in Kraft gesetzt, alle verfassungsrechtlichen Bestimmungen, die nach dem 5. März 1933 erlassen worden waren, wurden aufgehoben. Allerdings legte das Verfassungsüberleitungsgesetz vom 1. Mai 1945 fest, dass die Grenzen zwischen Niederösterreich und Wien sowie die Aufteilung des Burgenlandes "bis zur endgültigen Erledigung der maßgebenden Fragen durch die künftige frei gewählte Volksvertretung" vorläufig unverändert bleiben sollten.
Das Wiener Verfassungs-Überleitungsgesetz vom 10. Juli 1945 bestimmte dann eine Frist (sechs Monate nach Zusammentreten des neu gewählten Wiener Gemeinderats). Somit bestand ein gewisser Zeitdruck, eine endgültige Regelung herbeizuführen. Dabei spielten vor allem parteipolitische Machtfragen und fiskalische Überlegungen eine Rolle, die Planungsziele der Wiener Stadtentwicklung traten aber in den Hintergrund. Seitens des "schwarzen" Niederösterreich wurde der Zeitdruck gegenüber dem "roten" Wien ausgenützt. Daher mussten zwar nicht alle 1938 eingegliederten Gemeinden wieder an Niederösterreich abgegeben werden, aber doch wesentlich mehr, als die "Enquete über den Wiederaufbau der Stadt Wien" vorgeschlagen hatte.
Im Wahlgesetz vom 19. Oktober 1945 wurde eine bereits sehr nahe an der endgültigen Regelung liegende Abgrenzung festgelegt. 1946 gab es noch gewisse Änderungen, im Juni und Juli 1946 wurde dann in drei Verfassungsgesetzen (Land Wien, Land Niederösterreich, Bund) die Rückgliederung von 80 der im Jahre 1938 eingegliederten 97 Gemeinden beschlossen. Der Wiener Landtag stellte damals ausdrücklich fest, dass eine Zwangslage ausgenützt worden sei, und forderte, dass künftig die Grenzen nach den Bedürfnissen der Stadt und den Wünschen der Bevölkerung festgesetzt würden. Es gab auch in einigen Gemeinden Proteste der Bevölkerung gegen die Ausgliederung aus Wien.
Verfassungsgesetze bedurften damals der Zustimmung des Alliierten Rates, die aber vorerst nicht zu erlangen war. Die Besatzungsmächte, insbesondere die Sowjetunion, befürchteten ihrerseits ein Aufbrechen der mühsam genug erzielten Regelung der österreichischen Besatzungszonen. So konnte die Rückgliederung nicht in Kraft treten und Wien hatte weiterhin 26 Bezirke. Die Bevölkerung der zur Rückführung vorgesehenen 80 Gemeinden wählte nunmehr zwar in den niederösterreichischen Landtag, wurde aber von Wien aus verwaltet, was Anlass für jede Menge an Unzukömmlichkeiten gab. Erst unter völlig geänderten politischen Verhältnissen genehmigte der Alliierte Rat am 11. Juni 1954 die drei Verfassungsgesetze, so dass sie am 23. Juni 1954 in den Gesetzblättern kundgemacht werden und am 1. September 1954 in Kraft treten konnten. Das machte wiederum eine Neueinteilung der Wiener Gemeindebezirke notwendig, die ebenfalls am 1. September in Kraft trat.
Karteninhalt
Die Karte ist ein Produkt der Österreichischen Landesaufnahme. Es handelt sich um eine so genannte Gebietskarte (Zusammendruck verschiedener Blätter), das dargestellte Gebiet entspricht exakt vier Blättern der alten Spezialkarte 1 : 75.000, ist gegenüber dieser aber wesentlich verbessert (20 m Höhenlinien!). Einzelne Nachträge erfolgten noch 1941, der Druck 1943. Augenfällige große Baumaßnahmen, die erst nach 1938 durchgeführt wurden, sind aber nicht nachgeführt (z.B. Alberner Hafen, Donau-Oder-Kanal, die neuen Militärflughäfen rund um Wien etc.). Dafür ist das Areal der großen Bahnhöfe aus Geheimhaltungsgründen freigelassen. Die Karte weist einige Merkwürdigkeiten auf. Als Herausgeber ist das Kartographische, früher Militärgeographische Institut angegeben, obwohl dieses seit 1938 nicht mehr bestand und in der Hauptvermessungsabteilung XIV aufgegangen war. Der Kartenrand weist Gradangaben nach Ferro auf, es gibt aber kein Gitternetz, dennoch ist am Blattrand ein Planzeiger abgedruckt. In vorangegangenen Ausgaben von 1941 finden sich teilweise Gradangaben sowohl nach Ferro als auch nach Greenwich sowie das Deutsche Heeresgitter (auch bei diesen Karten als Herausgeber das Kartographische, früher Militärgeographische Institut genannt).
Die drei Grenzverläufe sind händisch eingezeichnet, wobei die "Stadtgrenze 1938-1945" tatsächlich bis 1954 galt. Die "Neue Grenze" entspricht dem Diskussionsstand vom 29. Juni 1946, der dann auch legistisch umgesetzt wurde, ist aber nicht in allen Einzelheiten exakt.
Quellen
Literatur
- Historischer Atlas von Wien, 13. Lieferung (Wien 2010)