Bezirksgeschichte
Die intensivere Beschäftigung mit der Geschichte von Vorstädten und Vororten beginnt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, allerdings noch nicht auf wissenschaftlicher Grundlage, sondern im Sinn heimatkundlich-chronikaler Aufbereitung. Zu jenen Autoren, die sich bereits im Vormärz mit dieser Materie beschäftigten, gehören unter anderem Alois Groppenberger Edler von Bergenstamm, Franz Anton de Paula Gaheis, Adolf Anton Schmidl und Wilhelm Weschel; ihnen schlossen sich im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts Maximilian Fischl (Meidling), Karl August Schimmer (Häuserchronik der Inneren Stadt), Carl Hofbauer (Wieden, Roßau, Alservorstadt), Michael Hahn (Sechshaus), Wilhelm Hulesch (Döbling), Georg Freund (Inzersdorf), Leopold Donatin, Jakob Blümel (Vorstädte), Karl Schneider (Ottakring) und andere an; eine Sonderstellung in der damaligen Literatur nimmt Wilhelm Maximilian Kisch ein. Um die Jahrhundertwende erschienen auch Werke über den Raum links der Donau (Smital und andere) sowie über Hietzing-Umgebung und Liesing (Calvi; siehe Calvigasse). Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in den 1920er Jahren neue Akzente gesetzt, als sich im Gefolge der sozialdemokratischen Schulreform von Otto Glöckel Lehrerarbeitsgemeinschaften bildeten und Bezirksheimatkunden erarbeiteten; der Verlag für Jugend und Volk nahm sich damals in besonderer Weise der Publikation dieser Arbeiten an; daneben wirkten verdienstvoll auch Einzelforscher (Ernest Blaschek, der die Gesamtredaktion des Mariahilfer Heimatbuchs innehatte; Hans Rotter, der Heimatkunden für den 7. und 8. Bezirk publizierte und über Altmannsdorf arbeitete; Klemens Dorn, der das Heimatbuch Favoriten schrieb; Karl Hilscher, der ein Heimatbuch über Meidling verfaßte; Hans Pemmer, der sich der Erforschung des Praters widmete). Nach dem Zweiten Weltkrieg ergab sich eine vielschichtige Entwicklung. Universitär wurden (hauptsächlich über Initiative von Rudolf Geyer sowie den Universitätsprofessor Alphons Lhotsky und Erich Zöllner) Dissertationsreihen über Wiener Vorstädte und Vororte vergeben. Zu nennen sind (in Auswahl): Margareten (Christiana Deutsch, 1969), St. Ulrich-Neubau-Schottenfeld (Wilhelmine Griehbaum, 1958), Simmering (Gerda Badstuber, 1964), Meidling (Erich Bodzenta, 1952; derselbe, Hausarbeit, 1950), Hietzing (Walter Weinzettl, 1949), Penzing (Hertha Watzinger, 1949), Fünfhaus (Edith Hendrich, 1958), Hernals (Walter Lugsch, 1953), Währing und Weinhaus (Anneliese Rektenwald, 1967), Oberdöbling (Michael Hausmann, 1973), Nußdorf (Othmar Roden, 1953), Grinzing (Elfriede Schulz, 1952). Gleichzeitig war eine Reihe von Privatforschern tätig, die Quellen zur Bezirksgeschichte durcharbeiteten und teils umfangreiche Manuskripte hinterließen, die im Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrt werden (Paul Harrer-Lucienfeld für den 1. Bezirk [umfassende Häuserchronik], Leopold Steiner für den 2. Bezirk, Hans Pemmer und Franz Englisch für den 3. Bezirk [Häuserchronik mit biographischen Angaben über bedeutende Bewohner], Hans Mück für den 9. Bezirk [Vorstädte und Häuser]); auch Sachthemen fanden Bearbeiter (so dokumentierten Stefan Rechnitz und Karl Edmund Stehlik Friedhöfe). Eine topographische Forschung für das gesamte Stadtgebiet veröffentlichte Robert Messner in seinen „Historisch-topographischen Darstellungen" der Vorstädte und Vororte (sechs Bände). In den Publikationen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien und anderen Zeitschriften finden sich regelmäßig auch Beiträge zur Bezirksgeschichte. Die Bezirksmuseen veröffentlichen neue Forschungsergebnisse in den von ihnen herausgegebenen Zeitschriften und Publikationsreihen; Museumsleiter. und -mitarbeiter legen auch gesonderte Publikationen vor. Neben individuell gestalteten Bezirksbüchern (Handbuch Mariahilf, 1963; Karl Ziak, Neues Landstraßer Heimatbuch, 1975; Hinkel-Sykora, Heimat Floridsdorf, 1977) begannen seit den 1970er Jahren wieder Versuche, die Bezirksgeschichte in verschiedenen Konzeption aufzuarbeiten; dazu zählen die Bezirksbücher des Mohl- beziehungsweise Compress-Verlags (überwiegend von Klusacek-Stimmer) sowie die Reihen „Wiener Heimatkunde" (seit 1982; Jugend und Volk), „Bezirkskulturführer" (1979-1987; Jugend und Volk), „Wien in alten Ansichtskarten" (zwölf Bände, 1982-1992), „Liebenswertes .." (in populärer Gestaltung; Edition Wien), die „Wiener Geschichtsbücher" (bezirksübergreifend, hauptsächlich jedoch Straßen- und Platzmonographien; Zsolnay) sowie Einzelveröffentlichungen (unter anderem von Alfred Wolf [Alsergrund-Album, Alsergrund-Chronik], Walter Roller [Meidlinger Spaziergänge] und Franz Polly [Floridsdorf, Jedlesee, Stammersdorf]).
Literatur
- Hans Pemmer: Wiener Heimat-, Orts- und Bezirkskunden der letzten 150 Jahre. In: Wiener Geschichtsblätter 10 (1955), S. 56 ff.
- Nachdruck in: Hans Pemmer: Schriften zur Heimatkunde Wiens. Festgabe zum 80. Geburtstag. Hg. von Hubert Kaut. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1969 (Wiener Schriften, 29), S. 19 ff.
- Hanns Jäger-Sunstenau: Nochmals zum Thema Heimatkunden. In: Wiener Geschichtsblätter 10 (1955), Nr. 4, S. 93 f.
- Hans Pemmer: Heimatkundliches Material in den Veröffentlichungen der Wiener Heimatmuseen. In: Wiener Geschichtsblätter 24 (1969), S. 417 ff.
- Hertha Wohlrab: Heimatkunde und Bezirksgeschichte. Entwicklung - Persönlichkeiten - Publikationen. In: Wiener Geschichtsblätter 36 (1981), Beiheft 1
- Felix Czeike: Die Wiener Stadtgeschichtsschreibung seit 1945. In: Pro civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich 8 (1988), S. 17 ff., besonders 24 ff.
- Ludwig Sackmauer: Die Arbeitsgemeinschaft der Wiener Bezirkmuseen. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 4 (1978), S. 465 ff. (insbesondere Anhang, Publikationen: S. 474 ff.)