Buchhandlung Richard Lányi
48° 12' 5.91" N, 16° 22' 7.33" E zur Karte im Wien Kulturgut
Nach dem Tod des Wiener Buchhändlers Robert Friedländer am 27. Juli 1912 ergab sich für den langjährigen Mitarbeiter Richard Lányi die Gelegenheit, dessen Buchhandlung zu übernehmen. Friedländer hatte den Betrieb seit 1887 geführt, die Konzession des Unternehmens kann bis auf das Jahr 1785 zurückgeführt werden.
Richard Lányi, der am 9. Dezember 1884 in Wien als Richard Löwy zur Welt gekommen war, besaß wie seine Eltern die ungarische Staatsbürgerschaft. Bereits im Sommer 1909 hatte er aus unbekanntem Grund die Änderung seines Namens beantragt, wozu ihn ein Dekret des königlich ungarischen Ministeriums des Innern vom 4. Februar 1910 schließlich berechtigte.
Am 26. August 1912 trat Lányi der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler bei und ließ die Firma inkorporieren. Wenige Monate später, am 18. Februar 1913, wurde Richard Lányi in das Register für Einzelfirmen als Inhaber eingetragen, doch erst am 20. Oktober 1916 erfolgte die Änderung der Firmenbezeichnung von "Robert Friedländer Buchhandlung" in "Buchhandlung Richard Lányi".
Buchhandlung Richard Lányi und Karl Kraus
Lányi trat in erster Linie als Buch- und Kunsthändler in Erscheinung und führte zudem ein Kartenbüro. Belegt ist, dass die "Robert Friedländer Buchhandlung" im Dezember 1915 erstmals den Kartenvorverkauf für eine Lesung von Karl Kraus übernahm, für eine Lesung am 17. November 1916 firmierte die Vorverkaufsstelle dann schon unter dem Namen "Buchhandlung Richard Lányi". Wann sich Kraus und Lányi kennenlernten, ist allerdings nicht bekannt. Als Verleger präsentierte sich Lányi eher am Rande.
1925 geriet Lányi ins Kreuzfeuer eines Konflikts zwischen Kraus und Békessy, dem Herausgeber der "Stunde", der in einem Bericht mit der Schlagzeile "Enthüllung eines pornografischen Buchhändlers" resultierte. Darin wurde die Buchhandlung Lányi als "Treffpunkt der Wiener homosexuellen Intelligenz" und "als Zentrale derer um Kraus" bezeichnet. Bereits 1922 hatte es gegen Lányi aufgrund eines vertraulichen Hinweises Ermittlungen gegeben, die zu einer Anklage geführt hatten, nachdem im Zuge einer polizeilichen Hausdurchsuchung tatsächlich derartige Materialien aufgefunden worden waren. Lányi wurde allerdings freigesprochen, nachdem er behauptet hatte, von seinen Kunden zum Erwerb der Materialen gedrängt worden zu sein und diese nur an persönlich bekannte oder empfohlene Personen verkauft habe. Der Verfasser des Artikels konnte nie identifiziert werden, Imre Békessy wird allerdings als Urheber vermutet, was die Absicht, in Wirklichkeit Karl Kraus damit zu schaden, verstärkt. Karl Kraus kommentierte den Vorfall in der Fackel und Lányi erstattete wegen Ehrenbeleidigung Strafanzeige gegen "unbekannte Täter" beim Landesgericht für Strafsachen. Es fand sich zwar im verantwortlichen Redakteur Friedrich Kaufmann ein Sündenbock, letztendlich konnte der wahre Verfasser nie eruiert werden. Den Ruf des "Porno-Buchhändlers" konnte Lányi allerdings nicht mehr loswerden, was ihn zur Zielscheibe antisemitisch motivierter Anfeindungen und Denunziation machte.
Buchhandlung Lányi in der NS-Zeit
Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bedeutete das Ende der Buchhandlung Richard Lányi. In den Tagen rund um den "Anschluss" fand eine Plünderung der Buchhandlung statt und die Lagerbestände wurden durch Beschlagnahmungen dezimiert. Nach dem "Anschluss" schloss Richard Lányi für einige Tage sein Geschäft, erhielt dann aber nach eigener Aussage die Berechtigung, seinen Betrieb zunächst weiterzuführen.
Am 10. Mai 1938 erschien der gebürtige Wiener Johannes Katzler erstmals in der jüdisch geführten Buchhandlung und bekundete Interesse an einer Übernahme. Das SA-Mitglied Katzler war unter anderem in den 1930er Jahren im Münchner Franz-Eher-Verlag – in dem Verlag der NSDAP erschien unter anderem Adolf Hitlers Programmschrift "Mein Kampf" – tätig gewesen und erst kurz zuvor nach Wien zurückgekommen. Der zwischen beiden abgeschlossene Vorvertrag hielt fest, dass die Buchhandlung für 40.000 Reichsmark an Johannes Katzler verkauft werden sollte, auch die Verpflichtungen in Höhe von 21.000 Reichsmark wollte dieser übernehmen. Die Übertragung der Buchhandlung erfolgte sofort. Bereits wenige Tage später war an dem Geschäft ein Schild mit der Bezeichnung "arische Firma Inhaber Johannes Katzler" angebracht.
Bei seiner am 10. Juli 1938 unternommenen Vermögensanmeldung hatte Richard Lányi zum Stichtag 27. April 1938 noch einen Betriebswert in Höhe von 19.000 Reichsmark angegeben. Bei einer Inventur am 29. Juli 1938 stellte sich dann heraus, dass keinerlei Betriebsvermögen mehr vorhanden war. Nicht nur hatte die Gestapo viele Druckwerke mitgenommen, auch Johannes Katzler trieb die Buchhandlung weiter in den Ruin: Er verschenkte Werke an die Staatspolizei, eignete sich widerrechtlich Bücher sowie Lányis Gemälde- und Grafiksammlung an und steckte Einnahmen aus dem Unternehmen in die eigene Tasche. Wahrscheinlich ging im Zuge dessen auch die Kraus-Sammlung, in der sich womöglich Original-Manuskripte befunden haben, verloren oder wurde vernichtet.
Im Anschluss an die Inventur weigerte sich Katzler, den vereinbarten Kaufpreis zu bezahlen. Allerdings wollte er zunächst noch das Geschäft zum Wert der Passiva übernehmen. Ende Oktober 1938 teilte Johannes Katzler schließlich mit, dass er die Buchhandlung doch nicht erwerben könne. Er erklärte sich jedoch bereit, das Lager um den Betrag von 20.000 Reichsmark zu kaufen, und Lányi sah sich gezwungen, auf diesen Vorschlag einzugehen.
Auf ähnliche Weise "arisierte" Johannes Katzler weitere sechs "jüdische" Buchhandlungen in Wien: Alois Reichmann, Josef Kende, Moritz Perles, M. Breitenstein, C. W. Stern und Heinrich Saar. Als Katzler schließlich Ende Mai 1947 wegen Illegalität, missbräuchlicher Bereicherung und Verletzung der Menschenwürde vor dem Volksgericht stand, zeigte sich dieses milde. Johannes Katzler wurde in allen Punkten der Anklage für schuldig befunden, kam jedoch mit 18 Monaten schweren Kerkers davon.
Ende November 1938 musste Richard Lányi Konkurs anmelden. Beendet wurde das Konkursverfahren allerdings erst im März 1943. Als letztes Lebenszeichen vermerkt der Konkursakt Lányis Erscheinen zu Gerichtsverhandlungen im Februar und März 1939. Ein letztes Schreiben des Gerichts konnte, wie ein "Postfehlbericht" vom 13. Februar 1943 belegt, nicht mehr zugestellt werden. Richard Lányi war bereits am 2. Februar 1942 von der Gestapo verhaftet worden und am 28. Mai 1942 in Auschwitz verstorben.
Die Produktion
Von den rund 60 Büchern, die zwischen 1917 und 1937 veröffentlicht wurden, erschien etwas weniger als die Hälfte ab 1930. Die erste dokumentierte Publikation des "Verlags der Buchhandlung Richard Lányi" war eine Mappe mit zwölf Zeichnungen von Egon Schiele aus dem Jahr 1917. Als letzte Veröffentlichung gilt "Richard Lányi’s Almanach 1938". Der von Leopold Schmidt herausgegebene Band enthält neben acht Original-Kunstblättern ausschließlich musikwissenschaftliche Beiträge.
Ungefähr ein Viertel der veröffentlichten Titel hatte einen Bezug zu Karl Kraus. Nestroy- oder Shakespeare-Bearbeitungen durch Kraus zählten ebenso dazu wie Reden oder Würdigungen des Publizisten und Schriftstellers beispielsweise durch Berthold Viertel, Leopold Liegler Heinrich Fischer, Max Rychner oder Georg Moenius.
Neben Werken zu oder von Karl Kraus verlegte Richard Lányi einerseits Lyrik und andererseits Bücher über zeitgenössische Kunst. Bis 1937 kamen beispielsweise Lyrikbände von H. Barber, Käthe Braun-Prager, Carl Dallago, F. L. G. Goeckingk, Alfred Golfar, Rolf Henkl, M. Kornitzer, Heinrich Schaffer, Franz Schiller, Moriz Seeler oder "Verse von A.E.H." heraus.
Im Bereich der zeitgenössischen Kunst wiederum erschienen Werke von und über Egon Schiele – "Briefe und Prosa" oder "In Memoriam Egon Schiele" wurden beide von Arthur Roessler herausgegeben –, Hans Brühlmann, Uriel Birnbaum oder Bruno Beran. Der Verlag der Buchhandlung Richard Lányi gab aber auch Flugschriften der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien heraus.
Gelegentlich wurden auch Schriften verlegt, die sich in irgendeiner Form mit jüdischen Themen beschäftigten. Zu nennen sind hier "Das Land der Söhne. Palästina näher gerückt" (1934) von Erich Gottgetreu, "Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland" (1934) von Lili Körber oder "Ludwig Börne oder: Die Überwindung des Judentums" (1931) von Botho Laserstein.
Quellen
- Vorne Sittlichkeit, hinten Kriminalität. In: Die Fackel, Heft 697–705 10. 1925, Vol. XXVII. Jahr, S. 49ff.
- ANNO: Konkurs des jüdischen Pornographen. In: Der Bezirksbote für den politischen Bezirks Bruck an der Leitha, 09.12.1938, S. 5
- ANNO: Lanyi will nicht vor die Geschworenen. In: Die Stunde, 04.12.1925, S. 7
- ANNO: Verurteilung wegen bedenklichen Ankaufes. In: Österreichische Buchhändler-Correspondenz, 16.01.1918, S.28
Literatur
- Murray G. Hall: Verlage um Karl Kraus. In: Sigurd Paul Scheichl/Christian Wagenknecht (Hg.): Kraus Hefte. München: edition text+kritik GmbH
- Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918–1938. Band II: Lexikon der belletristischen Verlage. Wien: Böhlau 1985 [Stand: 23.02.2021]
- Katja Bertz: „Arisierung“ im österreichischen Buchhandel. Auf den Spuren der Buchhandlungen Richard Lányi, Alois Reichmann, Josef Kende, Moritz Perles, M. Breitenstein, Heinrich Saar und Dr. Carl Wilhelm Stern. Dipl.-Arb. Univ. Wien. Wien 2009 [Stand: 23.02.2021]
- Lexikon der österreichischen Provenienzforschung: Richard Lanyi [Stand: 23.02.2021]
- Lexikon der österreichischen Provenienzforschung: Johannes Katzler [Stand: 23.02.2021]
- Katharina Prager/Simon Ganahl: Karl Kraus-Handbuch. Leben–Werk–Wirkung. Berlin: J.B. Metzler, 2022, S. 386
- Edward Timms: Karl Kraus. Die Krise der Nachkriegszeit und der Aufstieg des Hakenkreuzes. Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz 2016, S. 359
Richard Lányi im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.