Dorothea Zeemann
Dorothea Zeemann, * 20. April 1909 Wien, † 11. Dezember 1993 Wien, Schriftstellerin, Hörspielautorin.
Biografie
Dorothea Zeemann wuchs in bescheidenen Verhältnissen im 3. Wiener Gemeindebezirk auf. Mutter und Großmutter waren emanzipierte Frauen und überzeugte Sozialistinnen. Nach der Mittelschule absolvierte Zeemann eine Pflegeausbildung an der psychiatrischen Abteilung des AKH Wien.
Von 1929 bis zu dessen Tod 1949 war sie mit dem zwölf Jahre älteren Maler Rudolf Holzinger verheiratet, den sie mit 15 kennengelernt hatte. Holzinger führte sie in einen Künstler- und Intellektuellenfreundeskreis ein, der vor allem bei Eugenie Schwarzwald zusammenkam. Der von Schwarzwald geförderte Philosoph Walther Schneider, der ihr enger Freund wurde, stellte Zeemann Egon Friedell vor. Durch diesen als Schriftstellerin ermutigt, begann sie einen Roman über Goethes Schwiegertochter. "Ottilie. Ein Schicksal um Goethe" konnte aber erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs erscheinen. Bereits 1941 veröffentlichte sie unter dem Namen Dora Holzinger ihr erstes Buch, die wenig beachtete Jugenderzählung "Signal aus den Bergen".
Nach dem Tod ihres Ehemannes 1949 verdiente Zeemann mit Rezensionen, Theaterkritiken und Kurzgeschichten für Presse und Rundfunk ihr Geld. Bekanntheit als Schriftstellerin erlangte sie, als 1959 ihr "Rapportbuch" erschien, das vor dem "Anschluss" in einer Wiener Nervenklinik spielt.
1955 lernte sie Heimito von Doderer kennen, mit dem sie eine mehrere Jahre andauernde Beziehung einging – "offenen Auges bei vollem Bewußtsein in den falschen verliebt"[1], wie Zeemann im zweiten Band ihrer Autobiografie, "Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972" (1982), formulierte. Das Buch gibt überaus intime Einblicke in das Verhältnis. Die Empörung, die es wegen seiner Indiskretheit insbesondere bei Doderer-Verehrern auslöste, beeinflusste die Zeemann-Rezeption stark und trug maßgeblich zu ihrer Bekanntheit bei.
Der erste Erinnerungsband, "Einübung in Katastrophen. Leben zwischen 1913 und 1945", war 1979 erschienen, 20 Jahre nach dem "Rapportbuch". Darauf folgten in kürzeren Abständen ein Erzählband ("Eine unsympathische Frau", 1983) und mehrere Romane ("Das heimliche Fest", 1983; "Eine Liebhaberin", 1989; "Reise mit Ernst", 1991).
Indiskret und schonungslos sich selbst und anderen gegenüber befasste sich Zeemann in ihren Texten mit tabuisierten Themen wie weiblicher Sexualität besonders auch im Alter. Laut Anna Baar, die 2023 die erste umfassendere Lebensbeschreibung über Zeemann vorlegte, wurde "[d]ie Überwindung der Scham […] zur Essenz der Geschichten der Dorothea Zeemann".[2]
Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit war Zeemann 1965 bis 1978 Leiterin des Vortragsdienstes der Österreichischen Volkshochschulen und 1970 bis 1972 Generalsekretärin des Österreichischen PEN-Clubs. Mit letzterer Funktion kollidierten ihr politisches Engagement und ihr Einsatz für die Mitglieder der Wiener Gruppe. Zeemann umgab sich besonders in späteren Jahren gern mit von ihr bewunderten jungen Künstlern und Intellektuellen. 1973 wurde Franz Schuh zu Zeemanns Privatlektor und Protegé, der durch sie im Literaturbetrieb Fuß fassen konnte.
In den letzten Lebensmonaten war Dorothea Zeemann mit dem Elektrotechniker Slaheddine Samaali verheiratet. 1993 starb sie 84-jährig in Wien. Günter Kaindlstorfer widmete der "Grand Old Lady der heimischen Dichterzunft" einen Radionachruf. Anlässlich des 80. Geburtstags war (ebenfalls auf Ö1) als "Hörbild zur Literatur" ein "Porträt der Dichterin" ausgestrahlt worden. Beide Sendungen sind in der Österreichischen Mediathek nachzuhören. Das Filmportrait "Das heimliche Fest" von Susanne Freund erschien 1992. Wendelin Schmidt-Dengler bezeichnete Zeemann in seinem Nachruf als "Autorin von Rang […], dessen Besonderheit es noch zu beschreiben gilt"[3]
Aus Zeemanns Nachlass wurden 2010 der Kriminalroman "Uriel", 2023 die Stücke "Auf einem Bein" und "Erbe" (Uraufführung 2024, Theater Nestroyhof Hamakom) veröffentlicht.[4]
Der in der Wienbibliothek im Rathaus verwahrte und 204 Inventarnummern umfassende "Teilnachlass Dorothea Zeemann" enthält Korrespondenzstücke und Werke von Heimito von Doderer.
Publikationen
- Signal aus den Bergen. Erzählung. Dresden: Flechsing 1941
- Ottilie. Ein Schicksal um Goethe. Roman. Salzburg: Pallas 1949
- Das Rapportbuch. Roman. München: Biederstein 1959
- Einübung in Katastrophen. Leben zwischen 1913 und 1945. Autobiografie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979
- Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972. Autobiografie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982
- Eine unsympathische Frau. Erzählungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983
- Das heimliche Fest. Roman. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986
- Eine Liebhaberin. Roman. Frankfurt am Main: Eichborn 1989
- Reise mit Ernst. Roman. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1991
- Uriel. Kriminalroman. Wien: Verlag Der Apfel 2010
- Auf einem Bein. Wien: Thomas Sessler Verlag 2023
- Erbe. Wien: Thomas Sessler Verlag 2023
Quellen
- Österreichische Mediathek: Tonspuren: Eine ins Blaue geredete Vorstellung mit gerieseltem Verkehr zu Dorothea Zeemanns 80. Geburtstag, 16.04.1989
- Wiener Stadt- und Landesarchv, BPD Wien: Historische Meldeunterlagen, K11.Zeemann Dorothea.20.4.1909
- Wienbibliothek im Rathaus: Teilnachlass Dorothea Zeemann
Literatur
- Margarete Affenzeller: Wiener Nachkriegs-Antisemitismus in Dorothea Zeemanns Stück "Erbe". In: Der Standard, 12.4.2024 [Stand: 13.11.2024]
- Laura Freudenthaler: Schreiben und verbrennen. Laura Freudenthaler über Dorothea Zeemann. In: Der Standard, 11.12.2023 [Stand: 13.11.2024]
- Anna Baar: Über Dorothea Zeemann. Wien / Berlin: mandelbaum verlag 2023
- Clemens Ottawa: Österreichs vergessene Literaten. Eine Spurensuche. Wien: Kremayr & Scheriau 2013, S. 200–202
- Franz Schuh: Das Spiel ist aus. In: Die Zeit 19/1999 [Stand: 13.11.2024]
- Wendelin Schmidt-Dengler: Neugierig auf Neugierde. In: Falter 51/52, 1993
- Peter Hamm: Dorothea Zeemann: "Jungfrau und Reptil". In: Die Zeit 19/1982 [Stand: 13.11.2024]
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 3: P-Z. Wien: Böhlau 2016, S. 3622-3623. E-Book [Stand: 13.11.2024]
- Hans Giebisch / Gustav Gugitz: Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Hollinek 1963
- Richard Bamberger [Hg.]: Österreich-Lexikon in zwei Bänden. Wien: Verlags-Gemeinschaft Österreich-Lexikon 1995
- Arbeiter-Zeitung, 26.04.1982, 19.04.1989
- Kurier, 12.12.1993
- Standard, 13.12.1993
- Die Presse, 13.12.1993
- Rathauskorrespondenz, 11.10.1989
Dorothea Zeemann im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.
Weblinks
- Nachlässe in Österreich - Personenlexikon: Dorothea Zeemann
- Wikipedia: Dorothea Zeemann
- Austria-Forum: Dorothea Zeemann
Referenzen
- ↑ Dorothea Zeemann: Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982, S. 56
- ↑ Anna Baar: Über Dorothea Zeemann. Wien / Berlin: mandelbaum verlag 2023, S. 35
- ↑ Wendelin Schmidt-Dengler: Neugierig auf Neugierde. In: Falter 51/52, 1993, o. S.
- ↑ Dorothea Zeemann im Thomas Sessler Verlag [Stand: 06.11.2024]