Erika Weinzierl
Erika Weinzierl, * 6. Juni 1925 Wien, † 28. Oktober 2014 Wien, Historikerin.
Biografie
Erika Weinzierl kam als Tochter des sozialdemokratisch gesinnten Schulinspektors Otto Fischer und seiner Frau Maria, der Tochter eines hochrangigen k.u.k.-Offiziers, in Wien zur Welt. Nach der Volksschule besuchte sie das Humanistische Gymnasium in Wien VI., Rahlgasse, maturierte 1943 und wurde sofort vom NS-Regime zum Arbeitsdienst verpflichtet. Sie arbeitete als Krankenschwester, Tramwayschaffnerin und Metalldreherin in Wien und auf einem Bauernhof im Waldviertel. 1944/1945 studierte sie Medizin, sattelte jedoch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Geschichte und Kunstgeschichte um und absolvierte den Ausbildungslehrgang am Institut für Österreichische Geschichtsforschung. 1948 wurde sie mit ihrer Dissertation über die Geschichte des Benediktinerklosters Millstatt in Kärnten zum Dr. phil. promoviert. Im selben Jahr heiratete Erika Fischer den Physiker und späteren Ordinarius am Institut für Physik Peter Weinzierl. 1950 und 1954 wurden ihre beiden Söhne Michael († 2002) und Ulrich geboren.
Von 1948 bis 1964 war Erika Weinzierl als Archivarin im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien tätig. Sie habilitierte sich 1961 als Dozentin für österreichische Geschichte an der Universität Wien. Ab 1964 war sie Vorstand des Instituts für kirchliche Zeitgeschichte an der Universität Salzburg und wurde 1967 a. o. Professorin sowie 1969 ordentliche Professorin für österreichische Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Salzburg.
Nach dem Ableben Ludwig Jedlickas erfolgte nach längerem Tauziehen ihre Berufung als dessen Nachfolgerin an das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, an der sie von 1979 bis 1995 lehrte.
Neben ihrer Lehrtätigkeit an der Universität Wien leitete sie ab 1979 das Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften (seit 1991 Institut für Geschichte und Gesellschaft, das sie gemeinsam mit Oliver Rathkolb und Siegfried Mattl leitete). Sie engagierte sich als Vizepräsidentin des Katholischen Akademikerverbandes und der Sigmund Freud-Gesellschaft, Vorstandsmitglied der Liga der Freunde des Judentums, der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich, der Gesellschaft für politische Aufklärung, des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, der Stiftung "Bruno Kreisky-Archiv". Erika Weinzierl war Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Instituts "Wiener Kreis", Jury-Mitglied für den Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte, Mitglied des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, Mitglied der kirchlichen Kommission "Justitia et Pax", Mitglied des Beirates "Topographie des Terrors" in Berlin und Vorsitzende des Beirates der Stiftung Volkstheater. Außerdem fungierte sie als Ehrenvorsitzende der österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte und Ehrenpräsidentin der Aktion gegen den Antisemitismus.
Erika Weinzierl wurde für ihre wissenschaftlichen Leitungen vielfach ausgezeichnet.
Seit 2002 vergibt die Universität Salzburg für hervorragende Abschlussarbeiten aus der Frauen- und Geschlechterforschung den Erika-Weinzierl-Preis und das Erika-Weinzierl-Stipendium. 2016 wurde der der Hörsaal 28 an der Universität Wien in Erika-Weinzierl-Saal umbenannt.
Seit 2022 erinnert der Platz vor der Mariahilfer Kirche an die Historikerin.
Werke
Ihr wissenschaftliches Œuvre ist umfangreich: "Geschichte des Benediktinerklosters Millstatt in Kärnten" (1951), "Die österr. Konkordate von 1855 und 1933" (1960), "Österreichische Zeitgeschichte in Bildern" (1968, 2. Aufl., 1975), "Emanzipation? Österr. Frauen 1900 bis 1975" (1975), "Das neue Österreich. Geschichte der Zweiten Republik" (1975, hg. gemeinsam mit Kurt Skalnik), ebenfalls gemeinsam mit Kurt Skalnik "Österreich 1918 bis 1938. Geschichte der 1. Republik" (1983).
Ferner war Erika Weinzierl Mitherausgeberin der "Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften", der "Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte" und der Zeitschrift "Zeitgeschichte". Gemeinsam mit Friedrich Weissensteiner gab sie 1983 das biografische Standardwerk "Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk" heraus.
Ihr besonderes Engagement bei der Bekämpfung des latenten Antisemitismus in Österreich manifestierte sich in ihrem Werk "Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945" (1969, wesentlich erweiterte Neuauflage 1985 und 1997). 1987 gab sie gemeinsam mit Anton Pelinka "Das große Tabu: Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit" heraus, das 1997 neu aufgelegt wurde. Im Jahr 1988 veröffentlichte sie "Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus" und gab die Vorträge eines Forschungsgespräches "Christen und Juden in Offenbarung und kirchlichen Erklärungen vom Urchristentum bis zur Gegenwart" (mit einem eigenen Vortrag über "Christen und Juden in der Ära des Faschismus") heraus. 1992 veröffentlichte sie nach umfangreichen Studien den Band "Vertreibung und Neubeginn. Israelische Bürger österreichischer Herkunft" (gemeinsam mit Otto D. Kulka). Zusammen mit Christian Klösch und Kurt Scharr legte sie 2004 die Biografie der Schriftstellerin und Widerstandskämpferin Irene Harand vor.
Auch auf pädagogischem Gebiet hat Erika Weinzierl als Präsidentin des Katholischen Akademikerverbandes Aktivitäten als Herausgeberin entfaltet: 1981 edierte sie gemeinsam mit Richard Olechowski "Neue Mittelstufe. Skizze eines Modells für die Sekundarstufe I."
Anlässlich ihres 60. Geburtstages erschien die umfangreiche Festschrift "Unterdrückung und Emanzipation" mit einem 48 Seiten umfassenden Schriftenverzeichnis.
Quellen
- Trauer um "Mutter Courage". In: Wiener Zeitung, 31.10.2015, S. 29
- Historikerin Erika Weinzierl starb mit 89. In: Kurier, 29.10.2015, S. 18
- Kämpferin für die Menschlichkeit. In: Wiener Zeitung, 29.10.2014, S. 29
- Oliver Rathkolb: In Memoriam Erika Weinzierl. In: uni:view, 29.10.2014 [Stand: 11.04.2024]