Irene Harand
Irene Harand, * 7. September 1900 Wien, † 2. Februar 1975 New York City, Schriftstellerin, Politikerin, Widerstandskämpferin, Mitbegründerin der Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot ("Harandbewegung").
Biografie
Irene Harand, geborene Wedl, kam als das dritte von vier Kindern eines katholischen Vaters und einer evangelischen Mutter in Wien zur Welt. Ihr Vater, der Anstreichermeister Franz Wedl, war Inhaber eines mittleren Betriebs. Die Mutter Sophie, geborene Markely, stammte aus einer siebenbürger-sächsischen Familie und war als junge Frau nach Wien gekommen. Nach dem Besuch der Pflicht- und Mittelschule absolvierte Irene Wedl eine zweijährige weiterbildende Schule. In Vorbereitung auf ein bürgerliches Leben wurde sie in Französisch, feinen Umgangsformen und Haushaltsführung unterrichtet. 1919 (anderen Angaben zufolge 1921) heiratete sie den k. u. k. Offizier Franz (Frank) Harand (1895–1975). Die Ehe blieb kinderlos. Irene Harand, die durch den Krieg einen beträchtlichen Teil ihres Erbes verloren hatte, arbeitete zunächst als Sekretärin und auch ihr Ehemann fand Anstellung in der Privatwirtschaft. Irene Harand gab ihre Berufstätigkeit auf. Von ihrem Mann unterstützt, engagierte sie sich ehrenamtlich.
Mitte der 1920er Jahre lernte Irene Harand den sozial engagierten jüdischen Rechtsanwalt Moriz Zalman kennen, der für sie Mentor und eine wichtige Bezugsperson wurde. Sie war als Sekretärin in dem von ihm gegründeten "Verband der Kleinrentner und Sparer Österreichs" tätig und fungierte später auch als stellvertretende Obfrau. Im Verbandsorgan "Die Welt am Morgen" bzw. der "Morgenpost" sammelte sie erste publizistische Erfahrungen. 1930 gründete sie gemeinsam mit Zalman und Funktionären des Kleinrentnerverbands die "Österreichische Volkspartei", die in keiner Verbindung zur heutigen ÖVP stand. Bei der "Österreichischen Volkspartei" handelte es sich um eine bürgerlich-freiheitliche Partei, welche sich für ökonomische Sicherheit, die Entschädigung der Kriegsopfer sowie den Kampf gegen Klassen- und Rassenhass einsetzte. Vor allem letzteres Anliegen war in der Parteienlandschaft der 1930er Jahre ein Alleinstellungsmerkmal. Harand, eine überzeugte Monarchistin und Katholikin, stand lange Zeit der christlichsozialen Partei nahe. Bei der Nationalratswahl 1930 kandidierte sie allerdings in einigen Wiener Wahlkreisen für die Österreichische Volkspartei. Auch fungierte sie als Obmannstellvertreterin der Partei.
Dollfuß-Schuschnigg-Regime und NS-Zeit
Nach Gründung der Vaterländischen Front stellte die Österreichische Volkspartei sämtliche Tätigkeiten ein und ging in dieser auf. Gemeinsam mit Zalman gründete Harand nun die "Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot" ("Harandbewegung"). Dieser private Verein war der Versuch, die Anliegen der nicht länger existierenden Partei "unpolitisch" weiterzuverfolgen, wenngleich auch die Harandbewegung Teil der Vaterländischen Front wurde. Ab Herbst 1933 bis zu ihrer Einstellung 1938 gab Harand die Wochenzeitschrift "Gerechtigkeit", das Sprachrohr der Harandbewegung, heraus. Zalman schloss sich der Vaterländischen Front an und auch Irene Harand war – trotz Ablehnung des zunehmenden Antisemitismus – eine Verteidigerin des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes.
Harand, die sich ab den frühen 1930er Jahren intensiver mit den Themen Antisemitismus und Rassismus befasst hatte, trat entschieden gegen antijüdische Ressentiments auf. 1933 publizierte sie mit "So? oder So?" eine Aufklärungsschrift gegen antisemitische Vorurteile. 1935 veröffentlichte sie im Selbstverlag "Sein Kampf. Antwort an Hitler". Als Reaktion auf die Ausstellung "Der ewige Jude" (1937) initiierte die Harandbewegung eine Serie von Verschlussmarken mit Abbildungen verdienstvoller jüdischer Persönlichkeiten.
Zum Zeitpunkt des sogenannten Anschlusses im März 1938 befand sich Irene Harand auf Vortragsreise in London und kehrte nicht mehr nach Österreich zurück. Die Nationalsozialisten stürmten das Büro der Harandbewegung und setzten auf Irene Harand ein Kopfgeld aus, ihre Bücher wurden in Salzburg öffentlich verbrannt. Ihrem Mann gelang die Flucht über die Tschechoslowakei und im September 1938 verließ das Ehepaar von London aus Europa in Richtung USA. Dort bauten sich die beiden in New York City ein neues Leben auf.
Im Exil
Ihren Kampf gegen Antisemitismus und Krieg setzte Irene Harand in den USA fort. Gemeinsam mit anderen Exilantinnen und Exilanten gründete sie 1939 das Austro-American-Center beziehungsweise die Austrian-American-League und organisierte Anti-Kriegskundgebungen, bei denen sie auch als Rednerin auftrat. Zusammen mit B'nai B'rith und Stephen Wise ermöglichte sie mehr als 100 österreichischen Jüdinnen und Juden die Einreise in die USA, indem sie die nötigen Einreiseunterlagen organisierte. Eine amerikanische Ausgabe von "Sein Kampf" wurde während des Zweiten Weltkriegs durch die "Anti-Defamation League" an alle öffentlichen Bibliotheken der USA verteilt. 1943 war Irene Harand maßgeblich an der Gründung eines Instituts für jüdische Schriftsteller*innen und Künstler*innen, die 1938 Österreich verlassen mussten, beteiligt. Dabei handelte es sich um das nachmalige Austrian Institute beziehungsweise Austrian Forum, dem sie in ihren letzten Lebensjahren als Präsidentin vorstand. Ebenfalls 1943 wurde sie Vorsitzende der Women's Division der "Anti Nazi League" New York.
1949 kehrte sie erstmals ins Nachkriegsösterreich zurück, ab den 1960er Jahren stattete sie der alten Heimat regelmäßig Besuche ab, ließ sich aber nicht mehr dauerhaft hier nieder. Irene Harand verstarb 1975 in New York. Ihre Urne wurde wenige Monate später auf dem Zentralfriedhof bestattet. Carry Hauser hielt bei der Urnenbeisetzung die Trauerrede.
Irene Harand war eine der wichtigsten Vertreterinnen des christlich-konservativen Widerstands in Österreich. Bereits zur Zeit der Ersten Republik trat sie entschlossen gegen den politischen Antisemitismus und die schleichende Unterwanderung Österreichs durch den Nationalsozialismus auf. Sie wurde 1967 von Yad Vashem als "Gerechte der Völker" ausgezeichnet und 1971 mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich geehrt.
Werke
- Irene Harand: So? oder So? Die Wahrheit über den Antisemitismus. Schrift der österreichischen Volkspartei. Wien: Österreichische Volkspartei 1933
- Irene Harand: Sein Kampf. Antwort an Hitler. Wien: Selbstverlag 1935 (1936 französische, 1937 englische Übersetzung, 2005 Neuauflage)
Quellen
- Taufbuch der Pfarre St. Florian (Matzleinsdorf), Signatur: 01-62b, folio86
- Wienbibliothek im Rathaus, Tagblattarchiv: Harand, Irene [Sign.: TP 018208]
Literatur
- Christian Klösch: Irene Harand – Die Frau, die Hitler den Kampf ansagte. In: Zwischenwelt, 40. Jahrgang, Nr. 1–2, Mai, Wien 2023, S. 22–25
- Brigitte Bailer: Irene Harand – eine Frau im Kampf gegen Nationalsozialismus und Antisemitismus. In: Die umkämpfte Republik. Österreich von 1918–1938. Hg. von Stefan Karner. Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2017, S. 227–230
- Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 1. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2016, S. 1190 f. [abweichende Lebensdaten]
- Rathauskorrespondenz, 15.10.2004, 24.10.2008, 04.11.2010
- Peter Autengruber: Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, Hintergrundinformation, Frühere Bezeichnung(en). Wien: Pichler-Verlag 2014, S. 144
- Christian Klösch / Kurt Scharr: Irene Harand in Wien und New York. In: Vom Weggehen. Zum Exil von Kunst und Wissenschaft. Hg. von Sandra Wiesinger-Stock, Erika Weinzierl und Konstantin Kaiser. Wien: Mandelbaum-Verlag 2006, S. 56–70
- Christian Klösch / Kurt Scharr / Erika Weinzierl: "Gegen Rassenhass und Menschennot". Irene Harand – Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin. Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2004
- Austrian Writers in the United States 1938–1968. An Exhibition of the Austrian Institute and the Austrian Forum, 5.–26. April 1968. Hg. von Irene Harand und Gottfried Heindl. New York: Austrian Institute 1968
- Yad Vashem: The Righteous Among the Nations Database: Harand Irene [Stand: 28.03.2022]
Irene Harand im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.