Flussbäder
Lange bevor das Baden und Schwimmen in Strom-, Frei-, Strand- und Kinderbädern an der Donau und ihren Zubringern – oder zumindest in von Flusswasser gespeisten Bädern – im beginnenden 19. Jahrhundert institutionalisiert wurde, nutzen die Städterinnen und Städter ihre Gewässer zur Abkühlung und zum Vergnügen. Dies war zu keiner Zeit ungefährlich: Während im Mittelalter reale, mit mangelnden Schwimmkenntnissen zusammenhängende und mythologische Ängste zu einer Scheu vor dem Baden in fließenden Gewässern geführt hatten, so legten die Menschen mit der Aufklärung diese Ängste ab. An ihre Stelle traten Reglementierungen und Verbote der staatlichen Gewalt. Bereits für das 17. Jahrhundert sind zahlreiche Badeverbote dokumentiert. Niemand sollte "oeffentlich in der Donau oder Wien nackend und aergerlich bade[n]", das sei "sündhaft", "sittenwidrig", "gefährlich", "krankmachend" und "lebensbedrohlich".[1] Die Lebensgefahr wurde anhand von abschreckenden Beispielen tödlich ausgegangener Badeunfälle belegt. Bürgermeister, Magistrat, Niederösterreichische Regierung, die (kirchlichen) Grundherrschaften und die Polizei-Ober-Direktion erließen mit erstaunlicher Beharrlichkeit über Jahrzehnte entsprechende Erlässe, Dekrete, Verfügungen, Kundmachungen und Verordnungen. Bei Missachtung erhielten die widerrechtlich Badenden strenge Strafen, von der Konfiszierung der Kleider und der damit verbundenen Bloßstellung und Erniedrigung bis zum Zuchthaus.
Das Baden in den Flüssen ist durchaus als subversive, sich gegen die strenge Sittenmoral und staatliche Kontrolle auflehnende Praktik zu verstehen. Die beständige Erneuerung der Verbote ist "demzufolge Nachweis für spontan-renitente, unzähmbare, anarchische, subversive Verhaltenstendenzen, innerhalb der Kaltwasser- und Freiluftbadekultur."[2] Welche Plätze für das solcherart an "aller Orthen" getriebene Vergnügen besonders beliebt waren, ist aufgrund des ephemeren Charakters des Badens nicht überliefert. Die Donau und der Wienfluss werden in den Verboten regelmäßig erwähnt, aber vermutlich wurde an allen Fließgewässern, etwa im Rückstau von Mühlwehren, und vor allem in der weniger streng kontrollierten Peripherie gebadet.
Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich der Zugang zum Baden und die Ausrichtung der herrschaftlichen Reglementierung: Es wurden zunehmend gesicherte Badestellen und Flussbäder – vorerst hauptsächlich für Männer - geschaffen, wo nach strengen Regeln gebadet werden konnte. Außerhalb dieser Bäder war das Baden allerdings weiterhin verboten. Dies stand auch im Zusammenhang mit geänderten Vorstellungen von Hygiene und körperlicher Ertüchtigung; das Baden im kalten, frischen Flusswasser galt zunehmend als gesund. In einer Regierungsverordnung von 1807 ist zu lesen: "Das bestehende Verbot des unsittlichen und gefährlichen Badens an öffentlichen Orten und in der Donau wird, nachdem mehrere Menschen durch ihr unvorsichtiges, muthwilliges Benehmen, besonders in solchen Gegenden, wo der Lauf des Stromes heftig oder auch das Flußbeet zu große Tiefe darbietet, ihr Leben verloren haben, mit der Erklärung erneuert, daß die Darwiderhandelnden von der Wache anzuhalten und nach dem Gesetze zu behandeln sind. In den Flüssen und Bächen sind eigene Plätze auszusuchen zu lassen, wo auf eine gefahrlose und anständige Art gebadet werden kann; diese Plätze sind durch eigene Pfähle zu bezeichnen und mit Seilen zu versichern, damit den Badenden jederzeit eine Warnung vor Augen stehe, wo und wie weit sie sich ohne Gefahr ins Wasser wagen können."[3]
Private Investoren und öffentliche Institutionen errichteten zahlreiche Flussbäder an der Donau und an kleineren Fließgewässern wie dem Wienfluss. Entlang des Wienflusses bestanden Mitte des 19. Jahrhunderts drei Bäder, die mit Flusswasser gespeist wurden – in Penzing, Hietzing und Hacking. Das Flusswasser wurde in hölzernen Gerinnen aus dem Fluss oder einem Mühlbach abgeleitet. Im 1816 gegründeten Hietzinger Badhaus wurde das Flusswasser aus dem Mühlbach bezogen, aufgewärmt und stand den Badenden in 20 Wannen zur Verfügung. Die "Schwimmanstalt" in der Penzinger Au war in zwei Teile für Männer und Frauen geteilt und bot auch eine Parkanlage, die sich bis an den Fluss erstreckte, sowie eine Meierei und ein Gasthaus. Im "Kaltwasserbad" von Hacking gab es 33 mit kaltem und elf mit warmem Wasser befüllte Wannen, Duschen sowie ein Schwimmbecken mit 1,4 Metern Wassertiefe. Der Badepreis betrug 12 bis 24 Kreuzer C.M. 1917 eröffnete die Gemeinde Wien das erste Kinderfreibad im Retentionsbecken des Wienflusses. Dort konnten Kinder bei freiem Eintritt gefahrlos baden. Wo sie andernorts – verbotener Weise – in den Flüssen und Bächen sowie im Wiener Neustädter Kanal badeten, kam es immer wieder zu tragischen Unfällen, nicht zuletzt wenn Kinder vor Polizisten flohen, wie ein Simmeringer Arbeiter in einem Leserbrief an die Arbeiter-Zeitung schrieb.[4] Gerade für Arbeiterkinder, aber auch für arme Erwachsene waren die Wiener Bäche wohl bis ins 20. Jahrhundert wichtige Badeorte, da sie die Donaubäder mangels öffentlicher Verkehrsmittel und der weiten Entfernung zu ihren Wohnorten schwer erreichen und sich die Eintrittsgebühr nicht leisten konnten.
Siehe auch
Literatur
- Ernst Gerhard Eder: Baden an freien Gewässern. In: Wiener Geschichtsblätter 43 (1988), S. 93 ff.
- Ernst Gerhard Eder: Freizeit am Wasser. Baden, Schwimmen, Bootfahren, Segeln in der Donaulandschaft bis 1870. In: Karl Brunner / Petra Schneider [Hg.]: Umwelt Stadt. Geschichte des Natur- und Lebensraumes Wien. Wien: Böhlau 2005, S. 512-521
- Hans-Christian Heintschel: An der Alten Donau. Eine Freizeitgeschichte. In: Karl Brunner / Petra Schneider [Hg.]: Umwelt Stadt. Geschichte des Natur- und Lebensraumes Wien. Wien: Böhlau 2005, S. 522-528
- Christina Spitzbart-Glasl: Die topographische und hydrotechnische Aufnahme des Wienflusses unter Prof. Josef Stummer 1847-1857. Wien: Zentrum für Umweltgeschichte 2015 (Materialien zur Umweltgeschichte Österreichs, 4)
- Wiener Kinderfürsorge. Keine Bade-, nur Ertrinkungsgelegenheiten für Kinder. In: Arbeiter-Zeitung, 25.07.1914, S. 7
Einzelnachweise
- ↑ Ernst Gerhard Eder: Baden an freien Gewässern. In: Wiener Geschichtsblätter 43 (1988), S. 97.
- ↑ Ernst Gerhard Eder: Baden an freien Gewässern. In: Wiener Geschichtsblätter 43 (1988), S. 114.
- ↑ Niederösterreichische Regierungsverordnung, 08.08.1807, Z. 36384, erneuert am 21.04.1822 und 21.08.1839, Z. 47552, zitiert nach Ernst Gerhard Eder: Baden an freien Gewässern. In: Wiener Geschichtsblätter 43 (1988), S. 103.
- ↑ Wiener Kinderfürsorge. Keine Bade-, nur Ertrinkungsgelegenheiten für Kinder. In: Arbeiter-Zeitung, 25.07.1914, S. 7.